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Metamorphosen. Die Performerin Nuray Demir und die Tänzerin Tümay Kilinçel.

© promo

Performance „Wow“ im HAU3: Stoffe, aus denen Träume sind

Tücher, Teppiche und Tulpen: Die Performerin Nuray Demir und die Tänzerin Tümay Kilinçel zeigen im HAU3 ihre sinnlich-subtile Performance „Wow“. Ein vielversprechendes Debüt.

Von Sandra Luzina

Hat sich das kleine HAU3 am Tempelhofer Ufer etwa in eine Wellness-Oase verwandelt? Beim Eintreten werden die Zuschauer freundlich von den Performerinnen Nuray Demir und Tümay Kilinçel begrüßt und dann gebeten, ihre Schuhe auszuziehen. In Frottee-Slippern laufen sie über ausgebreitete Tücher und Teppiche, mit denen der Boden in mehreren Schichten bedeckt ist. Ein Patchwork aus verschiedenen Materialien, dass immer wieder neu arrangiert wird.

An den Wänden und der Decke sind Spiegel befestigt, sodass man die Aktionen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten kann. Nuray Demir kommt von der bildenden Kunst, Tümay Kilinçel hat zeitgenössischen Tanz studiert. „Wow“ ist die erste Arbeit, die die beiden am HAU präsentieren. In dem kaleidoskopischen Raum, den sie entworfen haben, geraten auch die Bedeutungen ins Fließen. Der Abend lebt vor allem von textilen Fantasien. Nuray Demir kämmt anfangs hingebungsvoll die Fransen eines Pfauenteppichs, als wollte sie die Zuschauer in ihr Wohnzimmer einladen. Die Tücher werden gefaltet wie Betttücher oder zu kleinen Stoffnestern zusammengedreht, die sich schon mal in eine orientalische Kopfbedeckung verwandeln. Demir drapiert sich ein Tuch um die Hüften wie einen Sarong und trippelt anmutig über die Bühne. Das Spiel mit dem Stofflichen beflügelt die Fantasie und löst immer mehr die kulturellen Zuschreibungen auf. Tümay Kilinçel flicht aus mehreren Stoffbahnen einen Zopf und wickelt ihn sich um den Kopf – ein Riesen-Turban, unter dem ihr Gesicht bald verschwindet.

Die Tulpenmanie als historisches Fundament

Vom Turban ist es nicht weit bis zur Tulpe. In einem botanischen Exkurs erfährt man, dass die Blume, die von Persien in die Türkei kam, ein charakteristisches Symbol in der osmanischen Kunst war. Der Name Tulipa rührt daher, dass die Sultane sich gern eine Tulpe in den Turban steckten.

Aus dem Osmanischen Reich gelangte die Tulpe erst im 16.Jahrhundert in die Niederlande. Die Tulpenzwiebeln wurden zum Spekulationsobjekt, die Preise stiegen exorbitant, bis die Blase platzte. Die Tulpenmanie gilt als erste Finanzkrise der Wirtschaftsgeschichte. Was sich wie die blumigen Fantasien von Märchenerzählerinnen anhört, sind historisch verbürgte Tatsachen. Erfunden klingt aber die Geschichte, dass auf Hawaii eine besondere Tulpenart wachse, die bei Frauen ekstatische Gefühle auslöse.

Geheimnisvolle Klanglandschaften

Den beiden Künstlerinnen gelingt es, eine entspannte und offene Atmosphäre zu kreieren – und die Neugier der Zuschauer zu kitzeln. Einen großen Anteil daran hat auch die Soundkünstlerin Nguyen Baly, die geheimnisvolle Klanglandschaften erschafft. Auch ein exotisches Instrument wie das Theremin kommt zum Einsatz. Es sieht wie ein Tanz aus, wenn Nguyen Baly nur durch die Bewegungen ihrer Arme, aber ohne Berührung des Theremin, Tonhöhe und Lautstärke verändert.

„Wow“ ist ein Abend der ständigen Metamorphosen. Einmal überklebt Demir Ingres’ berühmtes Gemälde „Das türkische Bad“, eine schwülstige Haremsfantasie von 1858, mit Fotos der Performerinnen. Nuray Demir und Tümay Kilinçel sind angetreten, ihre eigenen Bilder von Weiblichkeit zu entwerfen. Ein vielversprechendes Debüt.

Wieder am heutigen Sonntag um 17 Uhr sowie am 20.11. um 20 Uhr.

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