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Patricia Kopatchinskaja, Jahrgang 1977, ist in dieser Saison Artistin in Residence am Berliner Konzerthaus.

© Marco Borggreve/Konzerthaus

Patricia Kopatchinskaja: Die Tiere sind los

Die Geigerin Kopatchinskaja verwandelt den Kleinen Saal im Berliner Konzerthaus in einen Abenteuerspielplatz. Mit Biber und Crumb, Kurtág und Beethoven.

Ein Konzertsaal ist keine Wellnessoase, sagt Patricia Kopatchinskaja. Die Geigerin, Artist in Residence am Berliner Konzerthaus, hält leidenschaftlich dagegen – und verwandelt den Kleinen Saal des Musentempels am Gendarmenmarkt in einen Abenteuerspielplatz. Barock meets Moderne, Beethoven goes Avantgarde, eine wilde Programmmischung. Zuerst einmal sind die Tiere los, versammelt Heinrich I. F. Bibers „Sonata Representativa“ doch die zwitschernde, quakende, maunzende Fauna, vom geigenbogen-knarzenden Frosch über die glissando um die Häuserecken schleichende Katze bis zu Henne und Hahn, zweifellos Countrymusiker.

Die Bühne steht voll mit Instrumenten, Hammerklavier, Flügel, Cembalo, das Cimbalom, das Kopatchinskajas moldawischer Vater Victor Kopatchinsky in den Kurtág-Duos furios mit seinen Klöppeln traktiert, dazu vier, fünf Notenständer, zwischen denen die Musikerin hin und her vagabundiert. Mal greift sie nach der Pressenda, mal nach der Gagliano mit Darmsaiten, das Barockinstrument ist fast unmöglich sauber zu spielen.

Patricia Kopatchinskaja mag keine saubere Musik. Der Klang der Zeit, die Gebrauchsspuren der Jahrhunderte, man soll sie ruhig hören. Und bloß nicht nur tote Komponistin, die Gegenwart gehört für sie unbedingt dazu, nahtlos im Anschluss. Das Migrantenkind mit Jugend in Wien und Wohnsitz in der Schweiz liefert sich mit dem in Belgien lebenden australischen Pianisten Anthony Romaniuk zärtliche Pas de deux und wüste Duelle, klopft bei George Crumbs „Four Nocturnes“ auf Holz und haut dem Mann am Klavier auch mal auf die Finger. Ein Spiel, ein Spaß.

Clownerien und Seelenwanderungen, eine wilde Mischung

Aber der Abend erschöpft sich nicht in Clownerien und in Maskenspielen der Musikgeschichte. Kopatchinskaja lädt vielmehr zur Seelenwanderung ein, umrundet die Werke wie rätselhafte Meteoriten, staunend, erschrocken, mal bezaubert, mal paralysiert. Ja, sie ist ein Unruhegeist, dessen Kurzweil sich manchmal in Kurzatmigkeit erschöpft, etwa in Beethovens a-Moll-Sonate. Aber im nächsten Moment reißt sie den Horizont auf.

Nichts ist gewiss. Nach der Pause wird es finster im Saal, Romaniuk spinnt die Assoziationsfäden von Carl Philipp Emanuel Bachs fis-Moll-Fantasie in die Dunkelheit hinein. Kopatchinskaja interveniert von oben auf der Empore, ihre Geige steuert stille Gedankenverlorenheiten bei, eine Meisterin der Fußnote, Begleiterin des Continuo-Instruments, verkehrte Welt.

Kopatchinskaja, ein Derwisch auf Darmsaiten

Folgt Beethovens verrücktes Scherzo aus der Frühlingssonate, wer sagt denn, dass Kompositionen im Konzert immer komplett gespielt werden müssen? Die Violine verfehlt darin knapp den Takt, stolpert dem Klavier hinterher, bis zur letzten Note. Die in den Niederlanden lebende US-Komponistin Vanessa Lann hat mit „Springs Eternal“ ein Stück Miniatur-Musiktheater dazu verfasst, eine kecke Improvisation auf klassische Posen. Und noch einmal Kopatchinskaja als Derwisch auf Darmsaiten, in der über alle Ufer wuchernden Chaconne von Bachs d-Moll-Partita. Der zittrige Pianissimoschluss nach dem Wahnwitz verrät: Manchmal ist die Musik ein kleines, ängstliches Tier.

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