zum Hauptinhalt
Klangerforscherin. Pan Daijings erste EP erschien als Kassette.

© Nadine Fraczkowski

Pan Daijings Debütalbum „Lack“: Düsenjets beim Starten zuhören

Die chinesische Wahl-Berlinerin Pan Daijing macht auf ihrem ersten Album „Lack“ spannende Krachmusik – ein Treffen mit der Künstlerin.

Im Südblock Kreuzberg sitzt eine junge, zuvorkommende, freundliche Frau vor einem. Sie lächelt tatsächlich hin und wieder. Beim Erarbeiten ihres vor Kurzem erschienenen Debütalbums „Lack“ stellt man sich die Urheberin dieser Krachoper ein wenig anders vor. All dieses dunkle Schaben und Klirren, das dort zu hören ist, dazu eine fauchende Stimme, die sich immer wieder in die Kakophonie schleicht. Das hört sich eher so an, als habe es ein Wesen aus einem Gemälde von Hieronymus Bosch in seinem Hexenkessel zusammengebraut. Auch auf Pressefotos wirkt Pan Daijing, die Urheberin, meist wie eine furchteinflößende Königin der Nacht.

Aber da sitzt Pan Daijing nun ganz entspannt, nicht einmal in Schwarz gekleidet. Unterhält man sich mit ihr über Lieblingsfilme, so lässt sie auf diesem Terrain keineswegs nur „Eraserhead“ von David Lynch gelten. Stattdessen erklärt die Künstlerin , dass sie auch „Titanic“ ganz gerne mag. „Ich bin als Person auch nicht aggressiv oder wütend“, sagt sie. „Ich möchte eigentlich ganz normal sein.“ Na dann.

Pan Daijing erzählt dann erst einmal ausführlich von sich und davon, dass sie auf dem besten Wege war, einen überaus normalen, vergleichsweise bürgerlichen Lebensweg einzuschlagen, bevor sie Gefallen am Produzieren verstörender Klänge fand. Aufgewachsen ist sie in Guiyang im Südwesten Chinas, in einer dieser zahllosen chinesischen Städte, die hierzulande kaum einer kennt und die trotzdem fast so viele Einwohner haben wie Berlin. In Peking studierte Pan Daijing zunächst Rechnungswesen an einer gehobenen Universität.

„Uns Chinesen kann man nicht so leicht erschrecken“

Vielleicht würde sie mit ihren 25 Jahren jetzt schon Geld wie Heu in der Wirtschaft verdienen, hätte sie nicht während des Studiums ein Jahr in San Francisco verbracht. Dort kam Pan Daijing in Kontakt mit Musikern und Produzenten der lokalen Noise-Szene, echten Krachmachern, und erarbeitete sich erst einmal den Kanon der extremen Musik. Merzbow und KK Null nennt die Künstlerin als Musiker, zwei Großmeister des Soundterrors aus Japan, die sie in dieser Zeit stark beeindruckt und zum Selbstproduzieren gebracht hätten.

Um die Musik von Merzbow oder KK Null auszuhalten, braucht man eine gewisse akustische Belastbarkeit. Für die meisten klingt sie nicht viel anders, als lauschten sie einem Düsenjet beim Start. Pan Daijing dagegen erklärt, diese Akustikfolter gut ertragen zu können; sie sei in gewisser Weise „typisch chinesisch“. Chinesen, so die Künstlerin, hätten einfach eine „hohe Toleranz“, seien gut darin, fremden Dingen unvoreingenommen und neugierig gegenüberzustehen. „Uns Chinesen kann man nicht so leicht mit irgendetwas erschrecken“, sagt Pan Daijing. Daher kommt es, dass sie selbst ästhetisch so gut wie allem gegenüber offensteht: „Ich mag Oper, Krach, verschiedene Arten von Filmen, alles Mögliche.“ Und fügt noch hinzu: „An meiner Musik ist klanglich rein gar nichts typisch chinesisch. Gleichzeitig glaube ich, dass sie sehr chinesisch ist, weil ich einfach chinesisch denke.“

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Auf ihrem Album vermeidet es Pan Daijing dann auch strikt, sich auf eine bestimmte Soundformel festzulegen oder musikalisch zu beschränken. Einen Moment lang lässt sie ihre Stimme strahlen wie eine Opernsängerin, dann bringt sie kurz technoartige Beats zum Blubbern, um im nächsten Augenblick jede Andeutung von Struktur schon wieder in sich zusammenfallen zu lassen. Für Chinesen mag das – entsprechend der These von Pan Daijing – leichte Hörkost sein, für alle anderen ist „Lack“ eine Platte, an der man sich eine Weile lang abarbeiten kann.

Das Album entstand in den letzten beiden Jahren. Begonnen hat die Künstlerin mit der Arbeit daran ungefähr zu der Zeit, in der sie nach Berlin gezogen ist. An die Spree kam sie übrigens gar nicht so sehr wegen des Rufs von Berlin als Musikstadt, erklärt sie, sondern weil sie einfach nach Europa wollte. Da die Künstlerin seit ihrem Umzug viel unterwegs war – inzwischen wird sie weltweit für ihre expressiven Performances gebucht, bei denen sie auch tanzt –, hat sie sich nicht nur in ihrer Kreuzberger Wohnung für das Album hinter ihre Synthesizer und Klangmaschinen geklemmt, sondern auch in Kanada und China. Die Zerrissenheit dieser Produktionsbedingungen meint man „Lack“ denn auch anzuhören. Keines der Stücke ähnelt dem anderen, gerne zerbröseln die Nummern in sich.

Ihre Arbeit soll für sich selbst stehen

Bevor Pan Daijing endgültig nach Berlin gezogen ist, lebte sie bereits für ein paar Monate hier. Kontakte in die Stadt hatte sie auch schon zuvor. Der Betreiber des kleinen Berliner Kassettenlabels Noisekölln-Tapes hatte sich bei der Musikerin in China gemeldet, weil er etwas von ihr veröffentlichen wollte. Ihre erste EP mit dem Titel „Sex & Disease“ ist deswegen eine Kassette mit inzwischen einigem Sammlerwert.

Teil der Berliner Noise-Szene, die zwar vergleichsweise klein, aber dennoch vorhanden ist, sei sie trotzdem nicht, erklärt Pan Daijing. „Ich bin eine Außenseiterin“, sagt sie. So sucht sie auch gar nicht erst den Kontakt zu anderen Produzenten – „weil ich nicht zu sehr von anderen Künstlern beeinflusst werden möchte“. Andererseits hat sie erst vor Kurzem gemeinsam mit dem italienischen Elektronikproduzenten Valerio Tricoli und dem österreichischen Improvisationsmusiker Werner Dafeldecker in der Berliner St.-Elisabeth-Kirche eine kollektiv erarbeitete Spoken-Word-Komposition aufgeführt.

Fragt man allerdings, ob sie sich als feministische Künstlerin verstehe angesichts eines Titels wie „Sex & Disease“, der vieldeutig Sex mit Krankheit verbindet, und ihrer performativ fordernden Körperlichkeit, gibt sich Pan Daijing verschlossen. „Meine Arbeit soll für sich selbst stehen“, sagt sie. „Ich möchte nichts erklären, meine Musik soll sich selbst erklären.“ Schließlich bekennt sie sich doch noch zu einem Film von David Lynch, allerdings zu dem düsteren Rätseldrama „Mulholland Drive“. Einem Film, der auch nichts erklärt und viele Fragen offen lässt.

Pan Daijing tritt am 20. 10. im Berghain auf und vom 9. bis zum 12. 11. im Haus der Kulturen der Welt beim No! Music Festival.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false