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Schauspielerin Lupita Nyong’o (l.) und Filmemacher Steve McQueen (r.) mit ihren Goldjungen für „12 Years a Slave“. Den Oscar für den besten Film gewann erstmals ein schwarzer Regisseur, zwei weitere Trophäen gingen an das Sklavendrama.

© Reuters

Oscars 2014: die Bilanz: Familienfeier und Favoritenstürze

Die 86. Oscars feiern klassische Werte und rechnen mit der amerikanischen Sklavenvergangenheit ab. Filme, die die Gegenwart kritisieren, haben es schwerer.

Familienfeiern sind was Schönes. Man hat einen Anlass, auf den sich alle verständigen und der mit würdigen oder launigen Einlassungen hervorgehoben wird. Man trifft entlegene Verwandte wieder, denen man sich im gelungenen Fall verblüffend verbunden fühlt. Man schaut auf manchen Lapsus der anderen, muss sich aber nicht fremdschämen; die Panne bleibt ja in der Familie. Und gelegentlich kommt es zu spontanen Inszenierungen, bei denen man selber mitmischt – absolut unpeinlich, versteht sich.

So gesehen, ist der entschiedene Versuch von Ellen DeGeneres, die 86. Oscar-Gala in Los Angeles zur Weltfamilienfeier hochzujazzen, immerhin teilweise gelungen. Die Moderatorin scherzt mal cool, mal gallig über diesen oder jene, und ihren Spaß, aus der Idee mit dem Pizzadienst saaldramaturgisch das Äußerste herauszuholen, dürften die Macher wohl als genialen Beitrag zur Geschichte der Mutter aller Zeremonien buchen. Nur: Hat es nicht reichlich Fremdschämpotenzial, als der große Martin Scorsese sich beim Wegklauben geachtelten Käseklebstoffs vom Karton fast die Hose bekleckert? Und erst recht, als DeGeneres mit Pharrell Williams’ Beulenhut rumgeht und zwecks Auslösung des Pizzaboten allerlei Celebrities von Harvey Weinstein bis Brad Pitt zum mal gönnerhaften, mal zerquälten Abdrücken von Dollarscheinen nötigt?

Manch sensibler Bildschirm-Zaungast mag da weitere Fremdscham mobilisieren, als DeGeneres ihr Smartphone zwecks Selfie zückt und die Stars sich dutzendweise vom Gestühl in die Gasse stürzen, um bloß auch hier noch im Bild zu sein. Ist nicht Dabeisein schon alles, vier Stunden live vor der interessierten Weltöffentlichkeit? Andererseits, spätestens wenn’s historisch wird, drängt es jeden zu seinen fifteen pixels of fame. Und Geschichte wird geschrieben in jener denkwürdigen Nacht: Das Foto, binnen Stunden zweieinhalbmillionenfach weiterverbreitet, legt Twitter lahm – und den Rekord von Michelle und Barack Obama („Four more years“) in Schutt und Asche.

Lupita Nyong'o gewinnt einen Oscar für eine starke Nebenrolle - und glänzt auch auf der Bühne

Kommen wir zum Wesentlichen. Diese Oscar-Verleihung, das geht in der extrem länglichen ersten Hälfte des Rituals fast unter, hat durchaus bleibende Momente – gekrönt von einem wahrhaft historischen Finale. Im glücklichen Gestammel des nie besonders telegen auftretenden Preisträgers mag es kaum erkennbar sein; dafür kann sich „12 Years a Slave“-Regisseur Steve McQueen auf eine souveräne Sekundantin verlassen. Die 30-jährige Kenianerin Lupita Nyong’o, die in seinem Drama die tapfere und grausam geschundene Sklavin Patsey spielt, hat soeben den Oscar für ihre starke Nebenrolle gewonnen und glänzt nun auf der Bühne.

Ein paar Tränen vergießt sie, klar, vor allem aber erstrahlen in der zum Star gewordenen Debütantin gleichermaßen Energie und Glück. Und eine Botschaft hat sie auch, weniger für die Leute im Saal als für ihre Heimat und die ganze Welt: „Egal, wo ihr herkommt, eure Träume gelten was!“

Lupita Nyong’o mag bereits die siebte Schwarze sein, die den Oscar gewinnt, aber mit ihrem wunderbaren inneren Feuer bahnt sie dem Triumph dieser Nacht den Weg. Steve McQueen macht, nach den fulminanten Filmen „Hunger“ und „Shame“, mit seinem Sklavendrama den sich so quälend langsam über Jahrzehnte erstreckenden Siegeszug des schwarzen Kinos mit der Top-Trophäe „Bester Film“ perfekt. „12 Years a Slave“, die wahre Geschichte des in den 1840er Jahren verschleppten freien Schwarzen Solomon Northup, ist eine einzige sinn-, text- und bildgewaltige Abrechnung mit einer Kapitalschande der US-Geschichte – gewählt von der rund 6000 Kreativköpfe starken Oscar-Academy, deren Mitglieder zu 94 Prozent weiß und zu 77 Prozent männlich sind. Eine Revolution, diese Wahl? Eher eine Erlösung. Und eine Selbstverständlichkeit des Jahres 2014.

Filme, die aktuelle amerikanische Selbstkritik betreiben, gehen leer aus

Hinter diesen Erfolg, der mit schlanken drei Oscars erreicht wurde, treten alle anderen Glanzmomente der Gala zurück. Alfonso Cuaróns visuell bestechendes Weltraumabenteuer „Gravity“ sammelt erwartungsgemäß sieben Statuetten vor allem in den technischen Disziplinen; auch der Achtungserfolg für den Kanadier Jean-Marc Vallée und sein hochvitales Aids-Drama „Dallas Buyers Club“, das sechs Nominierungen in drei Oscars verwandelt, überrascht kaum. Und Matthew McConaughey krönt seine filmische Power-Performance mit einer Dankesrede, die an Selbstwusstsein erneut nichts zu wünschen übrig lässt.

Nun mögen sich manche flink in der Spektakelthese bestätigt sehen, ein Schauspieler müsse sich bloß 20 Kilo runterhungern, schon sei ihm der Oscar sicher. Zumindest diesmal steckt mehr dahinter: Unter den neun Kandidaten hat die Academy jene drei Filme besonders beschenkt, deren Helden sich mit unbeugsamem Willen ganz alleine durchsetzen. Northup hält zwölf Jahre Unterjochung in Südstaaten-Plantagen aus, ohne daran zu zerbrechen. Die von Sandra Bullock in „Gravity“ verkörperte Astronautin schafft es nach der Katastrophe im Weltraum mit letzter Kraft zurück auf die Erde. Und „Dallas“-Held Ron Woodroof wehrt sich nicht nur für sich selbst gegen das von den Ärzten verhängte Todesurteil, sondern erkämpft Hunderten anderer Aids-Kranker mit illegal importierten Medikamenten ein längeres Leben.

Sehr amerikanische Vorbilder-Geschichten sind das, mit nahezu vergleichbarer Botschaft; Hymnen auf das Individuum. Fast zu wohlfeil kann man sich auf sie einigen, arg vertraut auch erscheinen sie im filmgeschichtlichen Kontext. Tatsächlich setzt die Academy – Durchschnittsalter 62 Jahre! – im Wesentlichen aufs Bewährte, ja, aufs Altmodische. Ganz hintangestellt hat sie, mit „American Hustle“, „The Wolf of Wall Street“ und „Nebraska“, drei absolute Meisterwerke, die freilich weitaus kritischer und aktueller amerikanische Selbstreflexion betreiben. In diesen Filmen tummeln sich – brüllend komisch, fantastisch pathetisch, zart tragisch – verbogene Existenzen, die dem Geld hinterherjagen und sonst gar nichts. 21 Nominierungen brachten diese drei Filme auf die Goldwaage, nur vier weniger als das Erfolgstrio, doch kein einziger Oscar sprang – bei immerhin 18 Auszeichnungskategorien – für sie heraus.

Wenn das kein massives Statement ist! Auch die Filmindustrie, zumal die unsubventionierte amerikanische, jagt vor allem dem Geld hinterher. Wenn es aber ans Feiern geht, mag kaum einer ihrer Protagonisten in den hässlichen Spiegel sehen. Darauf eine Pizza Cheeeeese.

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