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Gott meldet sich per Walkman. Der Priester (Rafał Dziemidok) lauscht gemeinsam mit dem Publikum seiner Nachricht.

© Falko Siewert

Opernkompanie Novoflot: Die Rettung kommt per Paketbote

Im Reformationsjahr deuten die Opernkompanie Novoflot die Bibel neu. Teil Eins fand im Frühjahr statt, jetzt folgt der Doppelschlag mit den letzten beiden Teilen.

Hurra, eine Antwort! Hatten die Performer von Novoflot im ersten Teil ihrer „Bibel“-Reihe (#1 Der Schrei) noch in einer halbversunkenen Kirche vor der Volksbühne vergeblich darum gerungen, von Gott eine Reaktion zu bekommen, redet jetzt immerhin der Lautsprecher: „Du wirst ein Zeichen erhalten“, tönt es aus einer Box in der Parochialkirche. Prompt kommt ein sehr heutiger Paketbote mit dem göttlichen Namen Hermes und bringt – einen Walkman. Gemeinsam mit dem kahlköpfigen Priester (Rafał Dziemidok) hören wir Auszüge aus Mendelssohns „Elias“-Oratorium, wo bekanntlich das Kommen Christi angekündigt wird.

Im Jahr des Reformationsjubiläums setzt sich Novoflot-Regisseur Sven Holm mit den Unzulänglichkeiten von Luthers Projekt auseinander. Hat es uns mehr gebracht als Humorlosigkeit und moralische Rigidität? Brauchen wir eine echte Gegenreformation, einen neuen Gott, gar eine neue Götterschar? Die hatten wir schließlich schon, in der Antike tummelte sie sich auf dem Olymp, Fernando Pessoa erinnert daran in „Die Rückkehr der Götter“.

Für „#2 Oase“ sind wir jetzt also in einer richtigen, jüngst um ihren Turmaufsatz ergänzten Kirche – der ersten, die für die Reformierten in Berlin errichtet wurde (1695). Sie steht im Klosterviertel, einer zu Unrecht vergessenen Ecke im Windschatten des Alexanderplatzes. Die Kirchbänke sind wie freie Radikale über den Saal verteilt, spiegeln eine Gemeinde in heilloser Unordnung. Nackte Ziegelwänden werfen den sphärischen Sopran von Yuka Yanagihara, die das Oratorium singt und von zwei Gitarren begleitet wird, höchst eindrucksvoll zurück. Alle Besucher bekommen ein Foto ausgehändigt, es zeigt eine Frau, deren Gesicht von einem vorhangartigen Zottelschleier bedeckt wird. „Jetzt hast du ein Bild von mir“, kommentiert der Lautsprecher.

Geistige Leere in Berlin anprangern

Auf dem Weg zum Fernsehturm, wo es in den früheren Räumen von „Fitness First“ weitergeht, begegnet den Besuchern eben jene markante Gestalt vom Foto. Stumm wandelt sie gegen den Menschenstrom auf der Grunerstraße an. „Fällt in Berlin gar nicht weiter auf“, sagt ein Besucher. Es ist die Schauspielerin Ichi Go, die hier so etwas wie eine Verkünderin darstellt und später auch auf der Leinwand zu sehen ist. In dem in einen Rohbau zurückverwandelten Fitnessstudio singt ein Laienchor (Leitung: Vicente Larrañaga) in quietschbunten Cindy-aus-Marzahn-Klamotten, der aussieht wie eine Parodie der Kelly Family, eine unerhört harmonische, streckenweise fugierte Komposition des Schweizer Klarinettisten Claudio Puntin: Klänge des Trostes im Stil der Minimal Music. Die neuen Götter, die hier gepriesen werden sollen, sind offenbar keine unsympathischen Leute.

Man bekommt sie zu sehen, im dritten Teil (#3 Im Fegefeuer). Sven Holm will mit dieser Produktion, wie er sagt, eine „geistige Leere“ anprangern, die gerade in Berlin immer mehr um sich greife. Verlässt man den Raum und taucht ein in die real existierende Touristenhölle, die die riesigen kahlgeschlagenen Flächen zu Füßen des Fernsehturms besiedelt, wo sich Menschen von neckischen Springbrunnen und „Festival of Light“-Installationen bespaßen lassen und sich dabei in der Mitte Berlins wähnen, dann ahnt man, was er meinen könnte.

Wieder am 18., 20. und 22. Oktober, jeweils 19 Uhr, Infos: www.novoflot.de

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