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Denken über den Aschen der trotzkistischen Revolutionary Communist Party. Der Soziologe Frank Furedi.

© David Shankbone

Online-Magazin "Spiked": Ein bisschen Trotz muss sein

Links oder rechts? Das englische Online-Magazine "Spiked" treibt ein verwirrendes Spiel und findet dabei auch auf dem Kontinent Gehör. Eine Zeitschriftenkolumne.

Von Gregor Dotzauer

In England betrachten sie sich, wie „Spiked“, der Titel ihres Online-Magazins andeutet, als politische Stacheltiere. Missgünstige Stimmen nennen die schrägen Vögel, die Mick Hume 2001 um die Konkursmasse des trotzkistischen Blattes „Living Marxism“ versammelte, aber auch schlicht „professional contrarians“: Egal was, wir sind dagegen! Wo sie politisch stehen, lässt sich jedenfalls nicht so einfach fassen. Die Website mediabiasfactcheck.com verortet „Spiked“ (www.spiked-online.com) zwischen Mitte-Rechts und Rechts, während sich die Redakteure als Teil einer universalistischen, aufklärerischen, antirassistisch, feministisch und humanistisch geschulten Linken sehen.

Am nächsten kommt man „Spiked“, das gern über allen herkömmlichen Lagern schweben würde, vielleicht mit der Bezeichnung libertär. Die Skepsis gegenüber dem Staat ist groß. Der Brexit gilt als freudiges Ereignis – und ökologisches Handeln im Angesicht des Klimawandels als Hemmnis globalen Fortschritts. Und die Attacken auf eine linke Identitätspolitik, die an allen minoritären Ecken und Enden Erniedrigte und Beleidigte wittert, klagen eine Solidarisierung ein, die in der Multiplikation der Diskriminierungen verloren zu gehen droht. Dieser Nonkonformismus um fast jeden Preis speist sich aus keinerlei identitären Fantasien, aber er fällt da, wo man nicht ausreichend gegen sie gefeit ist, auf fruchtbaren Boden.

So finden die Beiträge des Soziologen Frank Furedi (frankfuredi.com) neuerdings regelmäßig Eingang ins Feuilleton der „Neuen Zürcher Zeitung“. Dort beschrieb er zuletzt, wie ein Ende des 18. Jahrhunderts aufgekommenes national-antiaufklärerisches Beharren auf Identität zum Credo der zeitgenössischen Linken werden konnte. Insbesondere der damit verbundene Opferdiskurs, der jeder Hautfarbe und sexuellen Schattierung Gerechtigkeit zu zollen versucht, ist Furedi ein Dorn im Auge. Was eigentlich emanzipatorisch gedacht ist, erfährt zwischen den Schweizer Bergwänden ein seltsam verzerrtes Echo.

Populismus mit liberalen Argumenten verteidigen

Der gebürtige Ungar Furedi, der 1956 vor der sowjetischen Invasion im Alter von neun Jahren mit seinen Eltern nach Kanada floh, kennt jedenfalls wenig Berührungsängste: Im Mai bei soll er im Auftrag einer Stiftung, die der Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán nahesteht, bei einem Symposion über „Die Zukunft Europas“ auftreten. Er will dort den rechtspopulistischen Kurs der Fidesz-Regierung mit liberalen Argumenten verteidigen – so, wie er es bereits in seinem jüngsten Buch „Populism and the European Culture Wars“ (Taylor & Francis) getan hat. Dabei Seite an Seite mit dem deutschen Rechtsaußen Götz Kubitschek und dem britischen Alt-Rightisten Milo Yiannopoulos („Gays for Trump“) aufzutreten, rückt die Sache jedoch in ein unheimliches Licht.

Zum einen entsteht eine Gemengelage, in der klassischer Journalismus, politisches Rabaukentum und Social-Media-Meinungssuppe verwirrend eng zusammenrücken. „Novo – Argumente für den Fortschritt“ (novo-argumente.com), das pathologisch industriefreundliche deutsche Partnermagazin von „Spiked“, assistiert der „NZZ“ dabei von seinem publizistischen Rand aus. Ein Beitrag des „Novo“-Gründers Thomas Deichmann über die angeblich verzerrte westliche Darstellung der serbischen Verbrechen an den bosnischen Muslimen hatte 1992 zu einer Verleumdungsklage der englischen TV-Agentur ITN geführt: Mick Humes Magazin „LM“, aus den Aschen von „Living Marxism“ geboren, überlebte sie nicht.

Zum anderen wird eine europäische Einheit suggeriert, die es so nicht gibt. Ungarn, Deutschland und Großbritannien bewegen sich in unterschiedlichen politischen Klimazonen. Die Reglementierung der öffentlichen Rede an englischen und amerikanischen Universitäten, die jede rhetorische „Mikroaggression“ in „Safe Spaces“ wegfiltern will, mag sich auch hierzulande verbreiten. Was „Spiked“-Redakteur Tom Slater, der junge Wortführer der „Free Speech on Campus“-Kampagne im Sinn hat, wenn er von Meinungsfreiheit spricht, würde man sich im autoritären Ungarn aber wohl schnell verbitten – ganz jenseits von geschlechtlichen und ethnischen Empfindlichkeiten.

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