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Agnieszka Mandat als Janina Duszejko und Miroslav Krobot als Boros in "Die Spur".

© FilmKinoText/dpa

Ökomärchen "Die Spur" im Kino: Ein Männlein steht im Walde

Von Jägern, Pilzsammlern und einer Ritterin: Agnieszka Hollands Ökomärchen „Die Spur“, das auf der Berlinale den Silbernen Bären gewann.

Sie stapft durch den Schnee, liest Fährten im Wald, sammelt die blutigen Reste der Jagdbeute ein und kommt im Wolfskostüm zum Pilzsammler-Ball. Sie hat mal Brücken gebaut im Mittleren Osten, tollt mit ihren Hunden auf der Wiese herum, kennt sich aus mit Astrologie und bringt den Schulkindern Englisch bei, dabei ist sie längst pensioniert. Planeten kreisen auf dem PC-Bildschirmschoner in ihrem Häuschen am Waldrand. Hier lebt Janina Duszeijko, alleine, abseits eines Bergdorfs irgendwo an der polnisch-tschechischen Grenze.

Duszeijko, nicht Duszenko! Ständig sprechen die Männer ihren Namen falsch aus. Ihren Vornamen mag sie schon gar nicht hören, da wird sie böse. Was für eine Kinoheldin: Agnieszka Mandat ist Duszeijko in Agnieszka Hollands „Die Spur“, einem „anarchistischen, feministischen Ökothriller mit Elementen einer schwarzen Komödie“, wie die Grande Dame des polnischen Kinos den Film selbst charakterisiert.

Frauen wie diese resolute, ruppige Duszeijko sind im Kino eine Seltenheit, schon wegen ihres Alters. Das verleiht ihrer Wut auf das Unrecht in der Welt Würde und Autorität. Der Wut auf die Jagdsaison, in der ihre geliebten Hunde plötzlich verschwinden. Auf den Fuchsfarmer, der die geschundenen Tiere in Käfige pfercht, den Wilderer, den korrupten Polizeichef, den feisten Bürgermeister – all diese Männer, die so gerne losziehen, um Tiere zu töten. Bis eine mysteriöse Mordserie das Dorf heimsucht. Einer nach dem anderen kommen die Jäger grausam ums Leben. Und immer finden sich Tierspuren am Tatort, von Hirschhufen, Wildschweinen, Maden ...

Das Schreien der Tiere im Wald

Der Pfarrer stößt Duszeijko auch vor den Kopf. Gott habe die Tiere den Menschen untergeordnet, sagt er, und dass die Jäger Gottes Botschafter seien. In der Kirche liegt der erlegte Eber zum Hubertusfest aufgebahrt vor dem Altar. Duszeijko legt sich lieber auf den Waldboden, neben den toten Frischling. Das Schreien der Tiere im Wald, sie hält es kaum aus, besonders im März, wenn gar nicht gejagt werden darf! Wenn die Jäger sich wenigstens ans Gesetz halten würden.

Es ist kein Hass, der Duszeijko antreibt, sondern ein natürlicher, existenzieller Widersinn, der seinerseits so viel Furor freisetzt, dass es bald für eine kleine Guerilla-Truppe reicht. Für den alten Nachbarn Matoga, Ex-Terrorist und Pilzsammler (Wiktor Zborowski), den jungen bebrillten Polizei-Informatiker (mit gelegentlichen epileptischen Anfällen) und die sanfte Dorfschöne mit traumatischer Vergangenheit und Zwangsprostitutions-Gegenwart. Lauter Außenseiter, Einzelgänger, Dissidenten. Sie raufen sich zur Viererbande zusammen, vorübergehend verstärkt durch Boros, einen durchreisenden Insektenforscher, der es nicht mag, wenn die Jäger den Habitatschutz mit Füßen treten.

Agnieszka Holland („Bittere Ernte“, „Hitlerjunge Salomon“) geht in „Die Spur“ so frech und frei und ruppig zu Werke wie ihre Protagonistin, manchmal auch überdeutlich. Aber vor allem nimmt die 69-jährige Regisseurin es sich heraus, ihre Genremischung nicht elegant zu verschleifen. Mal schlägt sie Märchentöne an (von Fantasy bis Grausamkeit à la Gebrüder Grimm), mal bläst sie dröhnend zum Marsch, mal beschwört sie den Zauber eines Waldrands im Morgennebel herauf. Um dann wieder blutigen Realismus walten zu lassen.

Es ist Jagdsaison, sogar Krieg

Ja, es herrscht Jagdsaison, es herrscht Krieg. Könnte es sein, dass die Tiere die Mörder sind und die Natur sich rächt? Agnieszka Holland besitzt genügend Humor, um ihr parabelhaftes Tierschutz-Whodunnit mit wissenschaftlichen Hinweisen anzureichern und auf Phänomene wie die Vogelgrippe oder tödliche Bienenschwarmattacken hinzuweisen.

Duszeijko, diese energische Ritterin, hat zahlreiche Schöpferinnen. Als Ko-Regisseurin der internationalen Koproduktion firmiert Hollands Tochter Kasia Adamik. Die Romanvorlage, „Der Gesang der Fledermäuse“, stammt von Olga Tokarczuk. Kamerafrau Jolanta Dylewska fügt dem oft nachtschwarzen, sich durch die Dunkelheit bewegenden Film eine Portion Mystery hinzu, mit einer wie magisch schwebenden Kamera.

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Nicht von ungefähr schwingt in Duszeijkos Aktivismus auch die Wut der Frauen auf die Männerdominanz der Filmbranche mit. Auf das Abgemeldetsein, sobald frau nicht mehr die Jüngste ist. Gewiss auch die Wut der Regisseurin auf die politische Situation in Polen unter der nationalkonservativen PiS-Partei, in der die Künste ihre Freiheit verlieren und deren Einfluss bis nach Berlin reicht, wo die engagiert-liberale Direktorin des Polnischen Instituts, Katarzyna Wielga-Skolimowska, abgesetzt wurde.

Sie gewann den Silbernen Berlinale-Bären

Apropos Männerwelt: Agnieszka Holland, die für „Die Spur“ auf der Berlinale 2017 mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, hat in den letzten Jahren in den USA gearbeitet und dort bei Serien Regie geführt. Bei "The Killing", bei "Treme" und zwei Folgen von "House of Cards". Ausgerechnet jener Serie, deren Finale wegen des Missbrauchsskandals nun ohne Kevin Spacey gedreht wird. Auch ihre ungarische Kollegin Ildikó Enyedi, die lange keinen Film in ihrer Heimat realisieren konnte, arbeitete für eine HBO-Serie. Das Know-how osteuropäischer Autorenfilmerinnen wird in den USA offenbar geschätzt. Enyedi gewann auf der Berlinale den Goldenen Bären; auch ihr Film „Körper und Seele“ bemisst den Humanismus am Umgang des Menschen mit Jagdwild und Schlachtvieh.

Schönes Wechselspiel: Die Serienerfahrung schlägt sich bei Agnieszka Holland in der Kinodramaturgie nieder. Etwa wenn sie die Story nach Jagdmonats-Kapiteln sortiert, als handele es sich bei den Männermorden in Serie um die Folgen einer Serienstaffel. So erzählt sie flott und altmodisch zugleich, episodisch und episch, souverän zwischen Tempi und Zeitebenen wechselnd. Und wenn sie nicht gestorben sind: Ihrer kriegerisch-märchenhaften Heldin, die allen Dunkelmännern den Kampf ansagt, schenkt die Regisseurin ein utopisch-sonnendurchflutetes Happy End.

In sieben Berliner Kinos

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