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In den Straßen von New York. Seine eigenen Werke stellte der Galerist Norbert Bunge nie aus, dafür ist jetzt ein Bildband erschienen.

© Norbert Bunge

Norbert Bunge und die Galerie Argus Fotokunst: Schwarzweiß ist eine starke Farbe

Reduktion, Abstand, Hingabe: Norbert Bunge hat seiner Galerie Argus Fotokunst ein ganz spezielles Profil gegeben. Ein Besuch.

Der amerikanische Fotograf Will McBride mag sich ziemlich gewundert haben, als ihn 1996 die Anfrage eines ihm völlig unbekannten Mannes aus Berlin erreichte, ob er bereit wäre, in seiner Galerie auszustellen. Denn diese Galerie existierte noch gar nicht. Aber schließlich war McBride zu einem Treffen bereit – und willigte ein. „Es wurde meine erfolgreichste Ausstellung“, schwärmt Norbert Bunge, als wir uns am Tisch in seinem großen Ausstellungsraum in der Marienstraße gegenübersitzen. Warum gerade McBride, dem nach seinem Armeedienst in Deutschland hängen gebliebenen Straßenfotografen? Aber wer hätte es sonst sein können für den gestandenen Kameramann und Autor zahlreicher Dokumentarfilme für das Fernsehen, der sich damals, bereits Mitte fünfzig, nach einem neuen Tätigkeitsfeld umsah, wenn nicht der Mann, dessen Fotos ihn in der vom Geist der 68er geprägten Zeitschrift „Twen“ begeistert hatten?

Sechs weitere Ausstellungen hat die Galerie mit dem rasch gefundenen Namen Argus Fotokunst ihrem Geburtshelfer noch eingerichtet. Damit sind wir schon mitten in Norbert Bunges Konzept. Mit einer einzigen Ausstellung ist es bei ihm selten getan. Hat ihn einmal die Bildsprache eines Fotografen oder einer Fotografin überzeugt, reißt der Faden so schnell nicht wieder ab. Man hat sich kennengelernt und gemeinsam eine Auswahl getroffen, da könnte auch bald eine zweite, eine dritte folgen. Ist das eine gute Geschäftsidee? Von Geschäften ist in dieser Galerie, die geografisch zu den angesagten Galerievierteln Berlins Distanz hält, obgleich sie, nahe beim Bahnhof Friedrichstraße, gut gelegen ist, immer erst in zweiter Linie die Rede. Zu Argus Fotokunst kommt man gezielt, sagt Norbert Bunge, kaum, um sein Vermögen in fünfstellig teuren Objekten – wozu auf dem überhitzten Kunstmarkt längst auch Fotografien gehören – anzulegen. Vielleicht könnte man bei dieser Galerie eher vom Zentrum eines weit gespannten Netzes verwandter Fotografenseelen sprechen.

Menschen in ihrer realen Umwelt

Damit ist Norbert Bunge, bei allem Auf und Ab der Erfolge, immer gut gefahren, so gut, dass er, schon über siebzig, nicht ans Aufhören denkt. Diese Nische bliebe ohne ihn vermutlich unbesetzt: eine ausschließlich für schwarzweiße Fotografien reservierte Galerie. Warum die Beschränkung? Wer die Welt schwarzweiß abbildet, kann alle Arbeitsschritte in der Hand haben, vom Entwickeln bis zur Vergrößerung, sagt Bunge. Die eigene Dunkelkammer ist Werkstatt für ein leicht erlernbares Handwerk und selbstverständlich hat auch er eine.

Außerdem regt ein gutes Schwarzweißbild immer die Fantasie des Betrachters an, weil sie das bunte Farbspektrum unserer Welt auf unterschiedlich starke Grautöne reduziert. Es mag auch die Anderen geben, die Fotokünstler (Bunge mag das Wort nicht, jedenfalls nicht für sich als Fotograf), die ihre Arbeiten am Computer generieren, nicht selten auf dem Weg zu einer visuellen Illusion. Die Fotokunst in seiner Galerie soll Wirklichkeit zeigen, Menschen in ihrer realen Umwelt, Gesichter, Gesten, Begegnungen des Fotografen – und damit eine Begegnung mit dem Betrachter ermöglichen.

Dieses Programm lässt sich gut von der Liste der Dokumentarfilme ablesen, die Bunge zwischen 1971 und 2000 realisiert hat. Viele sind engagierten Künstlern gewidmet: dem Malik-Verleger Wieland Herzfelde, Käthe Kollwitz, dem Bildhauer Fritz Cremer und anderen. Oder sie folgen einem Peter Weiss, Bertolt Brecht oder George Grosz ins Exil. Besonders wichtig ist Bunge, dass ihm die Wiederentdeckung des vertriebenen, vergessenen Fotografen Clemens Kalischer gelang. Immer ist es das wenig bekannte Werk, das ihn reizt, wie die im Westen lange Zeit ignorierte Fotografie in der DDR.

Ein Weltbebilderer wollte Bunge nie sein

Die verstorbenen Arno Fischer, Sibylle Bergemann, Christian Borchert, um nur drei Namen zu nennen, gingen hier einstmals ein und aus und er in ihren Studios. Vielleicht rührt solche Nähe auch daher, dass Bunge, obgleich 1941 in Ruhleben geboren, die ersten Schuljahre im Ostteil verbrachte, sogar stolz das blaue Halstuch der Jungen Pioniere trug, bis seine vor drohender Verfolgung gewarnte Mutter 1951 mit ihm in den Westteil floh, wo sich der Sohn nach Schulabschluss und Volontariat beim SFB eine Position als Kameramann und schließlich als freier Autor erarbeitete.

Norbert Bunge, Leiter der Galerie Argus Fotokunst.
Norbert Bunge, Leiter der Galerie Argus Fotokunst.

© Hans Hammarski

Nur ein Fotograf blieb bei den insgesamt etwa 120 Ausstellungen stets außen vor: er selbst. Seit 1962 hat Norbert Bunge sich auch einen Namen als Fotograf gemacht. In Büchern, Tageszeitungen und Magazinen bis hin zum „Spiegel“ war er vertreten. Nun aber wurde es Zeit, dass der Kurator Mathias Bertram und der Leipziger Lehmstedt Verlag eine Auswahl aus diesem umfangreichen Werk trafen. Ein hervorragend gestalteter, bestens gedruckter Band, mit einem kundigen Vorwort des Herausgebers versehen, liegt unter dem schlichten Titel „Fotografien“ vor (175 S., 30 Euro). Abgesehen von zehn Berlin-Fotos lässt der Band direkt an den vielen Reisen Bunges als Kameramann und Autor über alle fünf Kontinente teilhaben. Amerika ist am stärksten vertreten, mit Abstand gefolgt von Paris, Namibia und Syrien vor dem Bürgerkrieg, Osteuropa etwas spärlich. Aber ein Weltbebilderer wollte Bunge nie sein, auch nicht mit seinem Fotoband, der ein Credo ist, auf Menschen zu achten, auf das eigentümliche Fluidum einer Straße, einer Szene in der Metrostation, auf einem Markt. Jedes Bild erzählt zugleich von Zeit und Ort.

Es bleibt immer etwas zu entdecken

Eine gute Stunde haben wir uns unterhalten, ohne dass ein Besucher gestört hätte. Flaneure passieren selten die Marienstraße, obwohl die, mit ihren klassizistischen weißen Fassaden, heute eine der schönsten und ältesten, aber auch ruhigsten Straßen in Berlins Mitte ist. Ein bisschen mehr Bewegung könnte schon sein, seufzt der Galerist und tröstet sich damit, dass den Weg zu Argus findet, wer ihn sucht, derzeit zum Beispiel zu den Berlin-Fotografien von Lothar Reher, der später als Art-Direktor des Verlags Volk und Welt von sich reden machte. Das ist wieder eine typische Entdeckung Norbert Bunges: Rehers ungeschönte Bilder spielender Kindern in der Ruinen- und Nachkriegslandschaft Berlins. Ab dem 3. November steht der Schweizer Fotograf Hugo Jaeggi auf dem Programm. Es bleibt immer etwas zu entdecken, mehr als in ein Leben passt.

Galerie Argus Fotokunst, Marienstr. 26, Mitte, Mi-Sa 14-18 Uhr

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