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Sanfte Kehle. Die US-amerikanische Musikerin Norah Jones.

© promo

Norah Jones im Tempodrom: Das Schweben ist schön

Norah Jones singt im Berliner Tempodrom. Vom ersten Offbeat-Country-Twang bis zum letzten dahinwalzernden „Come Away With Me“ zermahlt sie jede Tagesaggressivität im Wohlklang.

Von Gregor Dotzauer

Der durchschnittliche Floating-Tank misst zweieinhalb Meter in der Länge, anderthalb in der Breite und bringt in seiner Salzwasserkammer genau eine Person zum Schweben. Das Berliner Tempodrom vermittelt unter seinem stählernen Zeltdach locker 3000 Menschen das Gefühl von Schwerelosigkeit. Man muss dazu nur Norah Jones auf die Bühne holen, unter die Notbeleuchtung bunter Scheinwerfer, in deren Dämmer die fünfköpfige Begleitband manchmal wie eine Geistertruppe abtaucht. Und man muss sich dem Schuckeln und Schuffeln entspannter Rhythmen und Akkordgefüge überlassen, die vom ersten Offbeat-Country-Twang bis zum letzten dahinwalzernden „Come Away With Me“ jede Tagesaggressivität im Wohlklang zermahlen.

Es passiert nicht viel im Lauf von 90 genau abgemessenen Minuten, und es ist wunderbar, dass nicht viel passiert. Jones, im schwarzen Wallekleid mit Glitzereffekten, hat die Setlist mal wieder leicht durchgeschüttelt, singt sich ansonsten aber durch ihr gesamtes Repertoire bis zur jüngsten CD „Day Breaks“. Mit kleinen Ausschlägen nach unten und oben regiert ein mittleres Tempo. Kaum ein Solo überlebt länger als ein paar Takte. Nur der Gitarrist darf einmal zeigen, dass er nicht nur für den Hintergrund taugt. Und doch setzt Pete Remm mit Hammond- Tupfern schimmernde Akzente, und Dan Leads Pedal-Steel-Gitarre zieht sehnsüchtige Schlieren inmitten des perfekt ausbalancierten Sounds.

Sie besitzt eine ureigene Mischung aus Rauch und Geschmeidigkeit

Bei alledem macht die Frau im Vordergrund den Eindruck, dass sie dies fast wider Willen ist. Außer einem „Dankescheen“, der Erwähnung eines Mitmusikers oder der hilflosen Frage nach dem Befinden des Publikums, stellt allein die Musik selbst den Kontakt her – und dabei vor allem die Leuchtspur der sanften, zwischen Jazz und Folk alles besänftigenden Stimme von Norah Jones. Sie ist eine ordentliche Pianistin, eine passable Gitarristin, doch nur in ihrer ureigenen Mischung aus Rauch und Geschmeidigkeit, die noch im kräftig Ausgesungenen wie gehaucht wirken kann, ein unverwechselbares Phrasierungswunder. Ob Ohrwürmer aus eigener Herstellung wie „Sunrise“ oder eine Jazzballade wie Horace Silvers „Peace“, die als Trionummer erklingt: Sie löst jeden musikalischen Stoff, auch Neil Youngs schwerblütigen Klassiker „Don’t Be Denied“, rückstandsfrei auf, ohne das Original zu verraten. Selbst ihr größter Hit „Don’t Know Why“, den sie mit derselben Inbrunst singt wie vor 15 Jahren, ist ein Cover von Jesse Harris.

In jenem Americana-Land, das sie besiedelt, ist sie schon lange nicht mehr allein. Sie war es nie. Man kann bis in die sechziger Jahre zurückgehen, zu Vibrafonist Gary Burtons „Tennessee Firebird“, um auf jene Überschreitung von Jazz in Richtung Country und umgekehrt zu stoßen, die heute gang und gäbe ist. Norah Jones praktizierte sie 2003 auf einem herrlichen Album des Gitarristen Jesse Harrison mit einer Version von Jonny Cashs „I Walk The Line“. Sie teilt sie mit Bill Frisells Sextenseligkeit, die wiederum bei Lucinda Williams Anklang fand. Und sie begegnet ihr, wenn Brian Blade, der raffinierte Schlagzeuger des Quartetts von Wayne Shorter, der ihr auf „Day Breaks“ einige Sopransaxofonjuchzer schenkt, mit seiner Band Mama Rosa alle Komplexitäten des Jazz abstreift und sich als Singer/Songwriter versucht.

Nach zwei Unplugged-Zugaben am vorderen Bühnenrand endet das Schweben im angestellten Saallicht abrupt. Der Betonboden des Tempodroms hat einen wieder. Aber wenn man genau hinsieht, ist er ein winziges Stück weiter entfernt als zuvor. Man nennt das auch die Norah-Jones-Levitation.

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