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Wohin ich blicke. Hildegard Knef (28. 12. 1925 – 1. 2. 2002) im Berliner Wintergarten, bei der Premierenfeier der Film-Collage „Für mich soll’s rote Rosen regnen“, 1995.

© picture alliance / dpa

Neues zum Knef-Jubiläum: Nichts geht verloren

Vor 90 Jahren wurde Hildegard Knef geboren. Ein Tributalbum, eine Erzählung und eine Ausstellung erinnern an die Nachkriegs-Diva.

Gruß aus der Gruft, gänsehauterregend. „Hallo, ihr Lieben. Hier ist Hilde Knef. Wie gerne wäre ich jetzt bei euch, sei es auf der Bühne oder mittenmang.“ So beginnt das Tributalbum „Für Hilde“, mit dem Rapper, Rocker und Reimeschmiede der Knef zum 90. Geburtstag huldigen. Hildegard Knef starb 2002, aber sie ist immer noch mitten unter uns, in Form von Sprachaufnahmen und Samples. Ideales Futter für DJs und Musikproduzenten.

Der Begrüßungssatz geht nahtlos über in Mark Forsters fingerschnipsende R’n’BVersion des Liebesanbahnungschansons „Halt mich fest“: „Es ist doch längst zu spät / Allein nach Haus zu geh’n / Die kleine Chance der Flucht ist schon vorbei.“ Die Fantastischen Vier verhackstücken die surreale Großstadtvision „Im achtzigsten Stockwerk“ und wickeln ihre Stimmen um die erratischen Stoßseufzer der Sängerin: „In dem Haus, das es nicht gibt, / In der Stadt, die es nicht gibt, / Wird ein Mädchen steh’n.“ Halbironisch und dickhosig preisen die Fanta Vier zu spitzen Bläsern das „Grooven, Stylen, Rocken“ und wettern gegen „Schlager-Streptokokken.“

Samy Deluxe macht aus der Dreiminuten-Autobiografie „Von nun an ging’s bergab“ eine stark rhythmische, stotternde Rapnummer. Clueso zelebriert den schwermütigen Nachtgesang „Ich bin zu müde, um schlafen zu gehen“ als elektronischen Barjazz. Die Originale werden, und das durchaus mit Ehrfurcht, jeweils in ihre Einzelteile zerlegt und neu zusammengesetzt. Das unterscheidet diese Platte von eher braven Tributalben wie „Ihre Lieder sind anders“ mit Independent-Musikern wie Stereo Total und Tilman Rossmy.

"Von nun an ging's bergab" in drei Minuten: ein Rap vom Sammy Deluxe

Außerdem, und das ist eine kleine Sensation, enthält das Album „Für Hilde“ drei bislang unveröffentlichte Knef-Texte. Sie entstammen der berühmten Truhe, aus der sich schon der Trompeter Till Brönner bedienen durfte, als er 1999 das letzte Studioalbum der Diva produzierte. Am schönsten ist das von Bela B und Bonaparte nachtblau interpretierte Zoologie-Chanson „Wohin ich blicke“, das vom ewigen Missmut der menschlichen und tierischen Arten handelt: „So mancher alter Schwan fragt sich: Warum bin ich monogam?“

Knefs Lebensbilanz fiel niederschmetternd aus. „Nichts geht verloren, die Angst nicht und der Zorn“, rezitiert sie mit hörbar greiser Stimme in dem vom Hamburger Sänger Nisse bearbeiteten Lied „Doch drehst du dich um“. Hildegard Knef, die am 28. Dezember 1925 in Ulm geboren wurde und in Berlin aufwuchs, hat ein weitgehend öffentliches, fast gläsernes Leben geführt.

Ihre Angst und ihr Zorn waren genauso Stoff für die Illustrierten und die Talkshows wie ihre Krebserkrankung, der Horror der Therapien und die Geburt ihrer Tochter, die sie in Büchern beschrieben hat. Sie war der erste deutsche Filmstar nach dem Krieg, das Trümmermädchen mit den langen blonden Haaren in „Die Mörder sind unter uns“. Als erste Sängerin schrieb sie ihre eigenen Texte, und mit ihren millionenfach verkauften Memoiren „Der geschenkte Gaul“ – Nr. Eins auf der Bestsellerliste der „New York Times“ – begann ihre dritte Karriere.

„Zu früh, zu emanzipiert – das ist das Schicksal von Hildegard Knef“, hat Alice Schwarzer gesagt. Dabei hasste Knef das Wort „Emanzipation“. Privat ordnete sie sich Männern gerne unter. Als öffentliche Figur hat sie Tabus gebrochen, das machte sie unbeliebt. Nach heftigen Boulevard-Scharmützeln verließ sie Deutschland in den achtziger Jahren in Richtung Los Angeles. Nach ihrer Rückkehr wuchs die Zuneigung, bis zu ihrem Tod 2002 versöhnten sich die Deutschen mit ihrer Diva. Heute steht die Knef als Verkörperung der deutschen Nachkriegsgeschichte hoch oben auf einem Denkmalsockel. Sie ist entrückt.

Dem Zweiten Weltkrieg entkamen die meisten Menschen zu Fuß. Der Junge „geht durchs Gras, steigt über einen Koppelzaun, hört Schüsse, sieht ein Sturzkampfflugzeug jaulend auf die Dächer hinunterstoßen, wie es sich knapp über den Häusern auffängt, wieder nach oben wendet, hört ein Maschinengewehr.“ Und so weiter, der Junge geht und geht, das Stakkato der Halbsätze ließe sich endlos fortsetzen, die Intensität der Eindrücke hat eine fast filmische Präsenz. So beschreibt Benno Meyer-Wehlack in seiner um 1969 entstandenen, aber erst jetzt veröffentlichten Erzählung „Schattenschammes oder Berlin am Meer“ sein persönliches Kriegsende. Es ist April, Mai 1945 – der Nullpunkt so vieler Biografien.

Bis zu ihrem Tod 2002 versöhnten sich die Deutschen mit Knef

Benno Meyer-Wehlack, der Knef in Berlin begegnen sollte, ist 17 Jahre alt, als er, kurz zuvor zur Luftwaffe eingezogen, von einem Fliegerhorst an der Ostsee aus in die Hauptstadt zurückläuft. Hildegard Knef ist 19 und läuft von Friesack im Westhavelland nach Berlin. Sie hatte sich mit ihrem Geliebten, einem Film-Produzenten und Goebbels-Zögling, dem Volkssturm angeschlossen und in Uniform versucht, sich zu den amerikanischen Linien an der Elbe durchzuschlagen. Der lakonische Tonfall ihrer Schlachterzählungen im „Geschenkten Gaul“ erinnert an Meyer-Wehlacks autobiografische Erzählung: „Da rast es los aus den Dächern, aus den Fensterhöhlen: Granatwerfer, Maschinengewehre, Flammenwerfer, der Panzer brennt, springt auseinander, es hebt mich hoch, trägt mich weg.“

Meyer-Wehlack und Knef begegnen einander dann in der Tribüne am heutigen Ernst-Reuter-Platz, das als erstes Theater der Stadt nach dem Krieg wiedereröffnet worden ist. Meyer-Wehlack arbeitet dort als Hausmeister und Nachtwächter, ein Kollege nennt ihn den „Schlattenschammes“. Schlattenschammes, das ist ist ein Synagogendiener in unterster Funktion. Hildegard Knef, die schon ein paar Filme gedreht hat und im Haus des Theaterleiters Viktor de Kowa untergekommen ist, geriert sich hingegen als Star. Sie spricht nur mit Leuten, die hierarchisch über ihr stehen.

Am 1. Juni 1945 hat das Kleinkunstprogramm „Heute abend um sechs“ Premiere. Für den Jungstar wird es ein Desaster. Meyer-Wehlack schreibt: „Hildegard verpasst das Stichwort, verheddert sich im Vorhang, stolpert über die eigenen Füße.“ Von nun an geht’s bergauf.

– Tagesspiegel-Redakteur Christian Schröder ist Autor der Biografie „Hildegard Knef. Mir sollten sämtliche Wunder begegnen“ (Aufbau-Verlag, 2004).

Das Tribute-Album Für Hilde ist bei Four Music/Sony erschienen.

Benno Meyer-Wehlack: Schlattenschammes oder Berlin am Meer. Erzählung aus dem Nachkrieg. Mit Nachwort von Hannes Schwenger. Verlag Das Arsenal, Berlin 2015. 174 Seiten, 18 €.

Das Schwule Museum feiert den Knef-Visagisten René Koch mit der Ausstellung Die Kunst des schönen Scheins, bis 14. März. So, Mo, Mi, Fr 14–18, Sa bis 19 Uhr.

Die Astor Film Lounge ehrt Hildegard Knef am heutigen 28. Dezember um 17 Uhr mit einem Doppelprogramm: Die Sängerin Maila Berthel trägt Knef-Chansons vor, danach wird der Wolfgang-Staudte-Films „Die Mörder sind unter uns“ (1946) gezeigt.

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