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Schick im Kilt. Das Quartett am Ziel seiner Wünsche, angeführt von Vorkoster Robbie (Paul Brannigan, 2.v.r.) .

© prokino

Neuer Film von Ken Loach: Wir Whiskyzapfer

Himmlisch: Ken Loach macht ein Fass auf, für sein Underdog-Märchen „Angels’ Share“.

Die vier sind keine Schauspieler, sondern normale junge Typen aus Glasgow. Hauptdarsteller Paul Brannigan, der einen kleinkriminellen frischgebackenen Vater spielt, ist im wirklichen Leben ein ehemals kleinkrimineller frischgebackener Vater. Ken Loach macht das gerne: Leute quasi von der Straße, aus Jugendzentren und Sozialprojekten, wegzucasten, damit sie ihresgleichen darstellen – street credibilty eines bewährten sozialrealistischen Filmemachers. Und wer weiß, vielleicht wird Brannigan bald ein Star: Inzwischen hat er in Jonathan Glazers Science Fiction „Under the Skin“ an der Seite von Scarlett Johansson gedreht.

Aber etwas ist neu in diesem Ken-LoachFilm über Robbie, seine Kumpels Albert (Gary Maitland), Rhino (William Ruane) und die toughe Mo (Jasmin Riggins), die allesamt Sozialstunden ableisten müssen, wegen eher kindischer Delikte wie Papageienklau oder Denkmalsmissachtung. Solidarisch mit der Arbeiter- und der Arbeitslosenklasse, respektive der Jugend ohne Zukunft sind Loach-Filme immer, warmherzig sowieso. Aber selten so entspannt, dass sie den Unterschichthelden ein hundertprozentiges Happy-End spendieren, wie jetzt in „Angels’ Share – Ein Schluck für die Engel“.

Ein Feelgood-Movie vom Trotzkisten und Klassenkämpfer Ken Loach, Jahrgang 1936? Einer, der in bald 30 Filmen für die Erniedrigten und Beleidigten, die Malocher und Revoluzzer von England, Schottland oder Lateinamerika gestritten hat, darf auch mal eine märchenhafte Komödie drehen. Zumal Loach nicht schönfärbt und das Gewaltpotential seines Protagonisten kein bisschen verharmlost. Robbie hat keine Papageien aus der Tierhandlung mitgehen lassen, sondern bei einer Schlägerei einen Jungen rücksichtslos auf immer am Auge verletzt. Die Täter-Opfer-Gegenüberstellung, die Angst des Jungen, Robbies Scham, das hat dokumentarische Wucht.

Drehbuchautor ist erneut Paul Laverty, zum neunten Mal arbeitet er mit Loach zusammen: Pünktlich zu den aktuellen Separationsbestrebungen der schottischen Nationalisten geht es um das Nationalgetränk Whisky. Robbie ist trotz brutalstmöglicher Feindseligkeit des Schwiegervaters in spe wild entschlossen, ein guter Familienvater zu werden. Er gerät an den engagierten Jugendhelfer Harry (John Henshaw), der die Sozialstunden-Truppe beharrlich motiviert und zum Ausflug in die schottischen Highlands lädt. Dort findet Robbie Geschmack am Whisky, erweist sich als Naturtalent beim Erschnuppern und Erschmecken der Sorten und weckt das Interesse der Profis.

Als in einer der alten Destillerien ein Fass mit dem teuersten Tropfen der Welt für 1,15 Millionen Pfund unter den Hammer kommt, planen die Kumpels einen Coup. Zwei, drei Liter des Edeltropfens, in der Nacht nach der Auktion aus dem Fass gezapft und verhökert, und schon hätten sie ausgesorgt. Zumal keiner die Abschöpfung bemerken dürfte: Zwei Prozent verdunsten im Lauf der Jahre sowieso, sagen die Whisky-Experten und nennen es „Angels’ Share“, Engelstropfen.

Der Underdog als Whisky-Genie, sowas kann nur Ken Loach erzählen. Zwar versäumt es der Film, für Robbies geniale Geschmacksnerven eine einleuchtende Begründung zu finden. Auch fremdelt er ein wenig in der Luxuswelt der SingleMaltVerkostungen, aber Robbie und Co. geht es ja nicht anders. Sozialkitschgefahr besteht schon deshalb nicht, weil Loach mit genüsslicher Selbstironie das eigene Genre zitiert. Die Jungs tragen Kilts mit nichts drunter, um als Whiskyclub zur Auktion zugelassen zu werden: Ist das nicht der Humor von „Ganz oder gar nicht“? Als die Aussicht auf die Aneignung des superteuren Whiskys einen der Jungs zum ehrfürchtigen Vergleich veranlasst, das sei ja, als ob man die Mona Lisa im Schlafzimmer hängen habe, fragt der andere: „Mona wer?“ So blöd ist wohl keiner, Straßenkids für derart blöd zu halten,

Bei aller Heiterkeit vermeidet „Angels’ Share“ auf diese Weise die Verharmlosung prekärer Lebensverhältnisse. Allein das Happy-End speist sich aus reinem Wunschdenken. Aber wenn einer die Lizenz zur Leichtigkeit hat, dann wohl Ken Loach, dieser unerbittliche Kämpfer gegen die Ungerechtigkeit der Welt.

In zehn Berliner Kinos. OmU: Hackesche Höfe, International, Odeon, Rollberg

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