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Zwei der großen theoretischen Köpfe der neurechten Szene, der Publizist Jürgen Elsässer (l.) und der Verleger Götz Kubitschek (r.).

© dpa

Neue Rechte-Studie von Volker Weiß: Das Abendland als Kampfbegriff

In seiner für den Leipziger Buchpreis nominierten Studie „Die autoritäre Revolte“ beschäftigt sich Volker Weiß mit der neurechten Szene, ihrer aktuellen Ideologie und historischen Vorläufern.

Am Ende von „Die autoritäre Revolte“, seines Buches über die sogenannten Neuen Rechten, erlaubt es sich der Historiker Volker Weiß einmal auch, die liberalen westlichen Eliten zu kritisieren. Nämlich deren „Konfliktvermeidungsstrategie“ hinsichtlich des Frauenbildes in islamisch geprägten Gesellschaften, ihre „Sprachlosigkeit und Fehleinschätzungen“, was die autoritären Realitäten im konservativen Islam betrifft. Religiöse Identitätszuschreibungen seien das, moniert er, und dass das Muslim-Sein als Schicksal betrachtet werde. Und dass der algerische Intellektuelle Kamel Daoud viel zu heftig und zu Unrecht dafür angegriffen worden sei, als er nach den Vorfällen der Kölner Silvesternacht 2015 sagte, dass der Westen seine Freiheiten und besonders die Freiheit der Frauen auch gegenüber Migranten verteidigen müsse, die Migranten „das Mittelmeer auch geistig überqueren“ sollten.

Weiß geht es in diesem Fall darum, den Rechten in ihren Ausfällen gegen Muslime und die vermeintliche Überfremdung nicht das Deutungsmonopol zu überlassen, darum, überhaupt das rechte Denken besser durchdringen und dementsprechend darauf reagieren zu können, sich bestimmter Themen eben auch aus anderer Perspektive annehmen zu müssen. Denn die AfD und ihre vielen ultrarechten Satelliten, so Weiß, „weisen einerseits panisch anhand demografischer Daten auf die angebliche Gefahr einer muslimischen (oder auch nur ’nicht-weißen’) Überzahl hin und verweigern andererseits Frauen systematisch die Gleichstellung, die meist sinkende Geburtenraten zur Folge hat. „Letztlich möchten sie, was den Muslimen als ,Geburten- Dschihad’ unterstellt wird, selbst praktizieren.“

Islamischer Fundamentalismus und Neue Rechte stehen sich nahe

Der Neuen Rechten, schreibt Weiß, gehe es nicht um Akkulturation, was für jede Einwanderergesellschaft eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, aber halt eine Menge Arbeit bedeutet, sondern um Separation. Letztlich seien sich Islamischer Fundamentalismus und Neue Rechte viel näher, als so mancher Anhänger der letzteren sich eingestehen mag, getreu eines Bekenntnisses des thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke: „Der Islam ist nicht mein Feind, unser größter Feind ist die Dekadenz“. Will heißen, was Weiß unter Zuhilfenahme des analytischen Instrumentariums der Rechten, den Schriften eines Carl Schmitts oder des einstigen Ernst-Jünger-Sekretärs Armin Mohler untersucht: Hauptfeind sind die westliche Moderne, der Amerikanismus, der Liberalismus, das sind die Säkularisierung, die Kulturindustrie, die Emanzipation von Frauen und die von Minderheiten. „Das für Mohler bindende Kriterium war der Kampf gegen den Liberalismus und die alles zerstörende Dekadenz“, so Weiß über Mohler.

Volker Weiß, der als einer der besten Kenner der neurechten Szene gilt und 2011 mit dem Band „Deutschlands neue Rechte“ die Sarrazin-Debatte zusammengefasst hat, beschäftigt sich in seinem Buch gleichermaßen mit den aktuellen, wandlungsfähigen Ideologien der Neuen Rechten wie mit deren historischen Vorläufern und Einflüssen von Schmitt, Oswalt Spengler oder Arthur Moeller van der Bruck. So legt er in einem großen Kapitel dar, wie das von den Rechten viel beschworene und angeblich kurz vor dem Untergang stehende „Abendland“ einzig ein „Kampfbegriff“ ist, dessen Verteidigung sich „letztlich vollständig von allen historischen Spuren gelöst“ habe. Oder er porträtiert kurz einen der zentralen Denker der äußersten Rechten, eben jenen 2003 verstorbenen Publizisten Armin Mohler. Diesem gelang es, mit seiner Dissertation über die „Konservative Revolution“ den Faschisten und den Rechten nach 1945 eine neue geistige Heimat zu geben und zu deren Selbstentlastung beizutragen. Vor 1989 gab es aber keinen größeren Resonanzboden dafür.

Weiß untersucht die Verbindungen zwischen bekannten Protagonisten

Weiß zeigt auch, wie vielfältig das  Spektrum der heutigen Rechten ist. Hier der auf einem Rittergut im sachsen-anhaltinischen Schnellroda ansässige Antaios- Verleger Götz Kubitschek, der auch das Institut für Staatspolitik (IfS) gegründet hat, eine Art rechte Ideenschmiede, und das Magazin „Sezession“ herausgibt. Dort die Mitte der 80er Jahre gegründete Wochenzeitung „Junge Freiheit“ oder die Online- Plattform „Politically Incorrect“. Hier die kleine, aber mit symbolträchtigen Aktionen wie der Besetzung des Brandenburger Tors für viel Aufsehen sorgende Identitäre Bewegung, dort Figuren wie Karlheinz Weißmann, Michael Stürzenberger oder Jürgen Elsässer. Und nicht zu vergessen: die Beziehungen, die diese deutschen Rechten nach Frankreich, Russland oder in die Niederlande pflegen. Wer seltsamerweise fehlt, sind die Reichsbürger, die seit einigen Jahren als erklärte Demokratie- und Verfassungsfeinde und Holocaust-Leugner verstärkt in Erscheinung treten.

Nun ist es nicht so, dass man von all dem noch nie etwas gehört hätte, gerade auf dem Rittergut von Kubitschek gaben sich zuletzt zahlreiche Feuilletonisten und Reporter von „taz“ bis „FAZ“ die Klinke in die Hand. Doch Weiß untersucht auch die Bruchstellen in den Verbindungen der Protagonisten, von den unterschiedlichen Auffassungen, wie sie sich zum Holocaust verhalten (sollen), zu den Auseinandersetzungen über den Kurs einer Partei wie der AfD zwischen parlamentarischer Arbeit und der Provokation als systematischem Konzept.

Inzwischen aber versuchen alle, das Potential der AfD für sich zu nutzen, nämlich, so Weiß, „gebündelte Ressentiments in Politik umzuwandeln“, das große Publikum zu erreichen, das dank der AfD und der Pegida-Bewegung auf einmal da ist: „Waren die Massen ihnen bisher nicht gefolgt, so folgten sie nun eben den Massen.“ Das Wörtchen „Massen“ mag übertrieben sein. Doch es hat etwas Bedrohliches zur richtigen Zeit, es zeigt die Tendenz, die sich seit dem Erfolg des Sarrazin-Buches „Deutschland schafft sich ab“ abzeichnet. Umso wichtiger ist die Aufklärungsarbeit, die Volker Weiß mit seiner kompakten, unaufgeregt und bündig formulierten und zu Recht für den Sachbuch-Preis der Leipziger Buchmesse nominierten Studie leistet. Denn es sei kein Naturgesetz, warnt er am Ende eindringlich, „dass die Seite der Emanzipation gewinnt“.

Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes. Klett Cotta, Stuttgart 2017. 304 Seiten, 20 €.

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