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Autonarr. Neil Young mit einem 1959er Lincoln Continental Mark IV aus seiner Oldtimersammlung.

© REUTERS/Galbraith

Neil Young und die USA: Fremd bin ich eingezogen

Songs wie Flugblätter: Auf seinem neuen Studioalbum „The Visitor“ rechnet Neil Young mit Donald Trump ab – und feiert Amerika.

Am Ende aller Straßen liegt das gelobte Land. Als Neil Young 1966 von Ontario aus aufbrach, um in Kalifornien das Glück zu suchen, fuhr er einen ausrangierten alten Pontiac-Leichenwagen. „Wir fuhren geradewegs nach Süden“, schreibt er in seiner Autobiografie. „Die Straßen waren tatsächlich besser. Sie waren aus grauem Beton mit gelben Linien in der Mitte, und beim Darüberrollen machten sie leise Ba-am.“ Aus Kanada kannte der Sänger, ein erklärter Autonarr, nur Highways, die voller Unebenheiten und Flickstellen waren.

In Amerika waren die Fahrbahnen glatt und sahen aus wie neu. Der Kanadier Young fand in der Fremde, die seither seine Heimat ist, „the great spirit“, einen freien Geist, der vom Drogendunst der beginnenden Hippieära umnebelt war. Mit den Drogen, vor allem Cannabis, Alkohol und Kokain, hat er vor ein paar Jahren aufgehört, doch an den Idealen der Gegenkultur hält er bis heute fest. Dazu gehört, Mächtigen grundsätzlich zu misstrauen, und sein eigenes Nichteinverstandensein laut und deutlich auszusprechen.

„Already Great“, der Auftaktsong von Neil Youngs 39. Studioalbum „The Visitor“, ist beides: Danksagung und Wutausbruch. Zu dunkel grummelnden E-Gitarren und einem Honkytonk-Klavier, bekennt der Sänger: „I’m Canadian by the way / And I love the USA / I love this way of life / The freedom to act and the freedom to say.“ Ein Liebeslied, nur dass diese Liebe einem ganzen Land gilt. Und wenn Young sich auf die in der Verfassung festgeschriebenen Freiheitsrechte beruft, klingt er, als wolle er gleich den Einbürgerungseid ablegen.

Beim Refrain stimmen seine Mitmusiker ein, ein Engelschor: „Already great / You’re already great“. Donald Trumps vergangenheitsverklärender Parole „Make America Great Again“ setzt der Musiker seinen Gegenwartsoptimismus entgegen. Amerika ist doch schon großartig. Ihre Forderungen skandieren Young und seine Mistreiter wie auf einer Demo: „No wall / No ban / No fascist USA.“ Ein Song wie ein Flugblatt. Allerdings klingen die Gitarren ein bisschen zu schunkelig, die Gesänge etwas zu kirchentagsbeseelt. Dem Stück fehlt etwas, was die Ankunftsszene aus den Memoiren hat: Drive.

„The Visitor“, das ist natürlich Neil Young selbst, der Immer-noch-Fremde, der sich auch nach fünfzig Jahren nicht ganz angekommen fühlt und deshalb vielleicht einen besonders geschärften Blick für die Verhältnisse in den USA hat. Entstanden ist das Album mit Promise Of The Real, der Band von Lukas Wilson, dem Sohn des Country-Rebellen Willie Nelson. Young ist 73 Jahre alt, seine neuen Mitstreiter sind Ende zwanzig. Rock’n’Roll als Mehrgenerationenprojekt. Gemeinsam haben sie bereits das Livealbum „The Earth“ und die Protestplatte „The Monsanto Years“ veröffentlicht, eine Abrechnung mit dem Gentechnikkonzern, der das Unkrautbekämpfungsmittel Glyphosat herstellt.

Kopf hoch! Trotz allem!

Mit alttestamentarischem Zorn verfluchte der ewige Wutsänger die moderne Agrartechnologie, doch der Folkrock seiner neuen Begleitband klang schon damals eher nach Lagerfeuer als nach Barrikaden. Auf „The Visitor“ klafft die Text-Sound-Schere nun noch weiter auseinander, für die brennende Besorgnis um sein Gastland, die er in den Lyrics formuliert, findet er musikalisch keine adäquate Form. „Fly by Night Deal“, eine Midtemponummer über den Kampf eines Landstrichs gegen die Pläne eines Pipeline-Magnaten, beginnt mit einem lieblich vorweihnachtlichen Glockenspiel und versackt dann im Rumpelrock.

Die Kopf-hoch-Hymne „Stand Tall“ feiert die Kraft des Zusammenstehens im schlichten Mitklatschrhythmus: „Wherever you go / Whatever you do / We win when you and I stand tall.“ Aufstehen sollen du und ich für Frauenrechte und gegen Rassismus, dafür, dass die Erde ein „Regenbogen-Wesen“ wird. Das mag naiv wirken, aber Woody Guthrie klang nicht weniger weltfremd, als er feststellte: „This Land Is Your Land“. Wenn Neil Young „Stand Tall“ mit der Segensformel „Long may our planet live“ ausklingen lässt und frohgemut konstatiert: „It’s the dawn of our day“, ist er von der Inbrunst des Gospel beseelt.

Unser Tag bricht gerade erst an. Die Licht- und Naturmetaphorik des Albums verrutscht mitunter in einen grellbunten Kitsch, der an die Landschaftsidyllen des Fernsehmalers Bob Ross erinnert. „Earth is like a church without a preacher/ The people have to pray for themselves“, heißt es pastoral im akustisch dahinfließenden Schlussstück „Forever“. Ein Prediger will der Rockstar nicht sein, ein Papst schon gar nicht.

Mit seiner 1968 gegründeten Band Crazy Horse hat Neil Young 15 Platten eingespielt, darunter die Klassiker „Rust Never Sleeps“ oder „Ragged Glory" und zuletzt 2012 das Doppelalbum „Psychedelic Pill“, eine Verteidigung der Hippie-Ideale mit berstenden, sägenden, röhrenden E-Gitarren. In all den Jahren, in denen Young mit den alten Weggefährten auf der Bühne und im Studio stand, entwickelten sie ein blindes Vertrauen füreinander. Sein Gitarrenspiel trieb er in immer erstaunlichere Abstraktionen. Von der energetischen Wucht dieser Zeit sind auf „The Visitor“ nur noch Spurenelemente vorhanden. Promise Of The Real hörten sich an wie „eine angeleinte Version von Crazy Horse“, befindet das US-Fachmagazin „Ultimate Classic Rock“. „My grandchildren“, singt Neil Young in der Country-Groteske „Digging a Hole“, „I’m a worried man“. Ein Selbstporträt als grummeliger alter Mann, die Mitmusiker antworten: „Oh-ho-ho-ho“. Sie könnten tatsächlich seine Enkel sein.

„The Visitor“ erscheint bei Reprise/Warner.

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