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Autonarr. Neil Young mit einem Plymouth aus seiner Oldtimersammlung auf der Broken Arrow Ranch in Südkalifornien.

© Reprise/Warner

Neil Young: Der zornige alte Mann

Neil Young zieht mit dem Album „Psychedelic Pill“ und der Autobiografie „Ein Hippie-Traum“ die Bilanz seines Lebens.

Fahren, fahren, fahren. Der Blick geht durch die Windschutzscheibe auf den Asphalt und eine sepiagetönte Felslandschaft daneben und dahinter. Sie scheint ein Traum zu sein oder eine Erinnerung. Amerika, wahrscheinlich die West Coast. Schwere E-Gitarren-Akkorde, ein gelassen federnder Trommelrhythmus. Alles fließt. Wir sind auf Zeitreise, Oldtimer ziehen vorbei, die Straße wird kurvig und steil, jetzt taucht tiefblau und vernebelt ein Meer auf, das wohl der Pazifik ist. Und dann singt diese Tenorstimme, die immer noch schneidend und windschief klingt wie einst in „Cowgirl in the Sand“ oder „Like a Hurricane“, einzigartig sehnsuchtsvoll: „So many years now together / All those good times, ups and downs.“

Neil Young ist jetzt 66, er hat ein halbes Jahrhundert im Rock-’n’-Roll-Zirkus hinter sich, good times, viele ups und ein paar downs. Er hat sich nicht beirren lassen und macht einfach weiter. Alle ein, zwei Jahre veröffentlicht er eine neue Platte, die manchmal berückende Akustikballaden enthält (wie zuletzt „Prairie Wind“, 2005), manchmal verzerrten Gitarrenlärm („Le Noise“, 2010), manchmal von Politik handelt („Living with War“, 2006) und manchmal von alten Autos („Chrome Dreams“, 2007).

Am kommenden Freitag erscheint sein 34. Studioalbum, als erste Auskopplung kursiert im Netz bereits das Video zu „Ramada Inn“, ein knapp 17-minütiger Ritt durch amerikanische Mythen. Es geht um ein altes Ehepaar, das noch einmal aufbricht zu einer großen Reise – „Travelling down south / Looking for good times“ – und an irgendeinem Highway in irgendeinem Motel namens „Ramada Inn“ absteigt. Die E-Gitarre stottert, fräst und singt, die Bilder zeigen winkende, tanzende, sonnenbadende Menschen in den Nachkriegsjahren, und am Ende jeder Strophe vereinigt sich Neil Young mit seiner Band Crazy Horse zu einem Engelschor: „And every morning comes the sun / And it goes rising to the day.“ Immer, immer wieder geht die Sonne auf. „Ramada Inn“ feiert die Natur und das Unterwegssein, es ist ein anrührend sentimentales Epos in der Tradition von Walt Whitman, Jack Kerouac und Jimi Hendrix.

Das neue Album ist die erste Platte in Neil Youngs Karriere, die ohne den Einfluss von Drogen entstand, und er hat sie ausgerechnet „Psychedelic Pill“ genannt. In seiner gerade erschienenen Autobiografie „Ein Hippie-Traum“ bekennt er, dass er Gras geraucht hat, seit er 18 war, Kokain probiert und immer wieder versucht hat, mit Alkohol vor Problemen zu fliehen. „High sein hieß für mich immer, die Realitäten der einen Welt zu vergessen und in eine andere Welt abzudriften, die Musikwelt, wo alle Melodien und Texte in einer unberechenbaren und zufälligen Art zusammenkommen wie ein Geschenk.“ Den Entschluss, die Drogen hinter sich zu lassen, traf der Musiker auf Anraten seines Arztes. Das Buch, Youngs erstes, sollte auch eine Art Therapie sein. Allerdings war die Arbeit daran von einer Angst überschattet: ohne Cannabis vielleicht nie wieder einen Song schreiben zu können.

„Je nüchterner ich bin, je wachsamer ich bin, umso weniger kenne ich mich und umso schwerer fällt es mir, mich zu erkennen“, schreibt Neil Young. „Ich brauche irgendwas, das mir ein bisschen Halt gibt.“ Diesen Halt fand er in drei alten Hippie-Kumpanen, Drummer Ralph Molina, Bassist Billy Talbot und Gitarrist Frank „Poncho“ Sampedro von der 1968 gegründeten Band Crazy Horse. Mit Crazy Horse hatte er bereits 15 Platten eingespielt, darunter die Klassiker „Rust Never Sleeps“ und „Ragged Glory“. Allerdings ist die Gruppe für Young auch mit einer traumatischen Erinnerung verknüpft. 1972 hatte er das Gründungsmitglied Danny Whitten aus der Band geworfen, weil der nicht vom Heroin loskam. In der darauffolgenden Nacht starb der Gitarrist an einer Überdosis.

In all den Jahren, in denen Neil Young und Crazy Horse gemeinsam auf der Bühne und im Studio standen, haben sie ein geradezu blindesVertrauen füreinander entwickelt. Der Sänger spricht von einer „kosmischen Kraft“, die im Lauf der Zeit noch zugenommen habe. Diese Kraft ist auf „Psychedelic Trip“ zu spüren, das Album wirkt tatsächlich wie ein Trip in eine andere Art von Bewusstsein. Es enthält nur neun Stücke, aber weil sie rauschhaft ausfransen, füllen sie zwei CDs oder – in der Luxusausgabe für die Freunde analoger Klangauthentizität – drei LPs. Der längste Song, die akustisch beginnende und dann elektronisch verzerrt abschweifende Vergangenheitsbeschwörung „Driftin’ Back“ ist knapp 28 Minuten lang, ein Rekord für Young.

Entstanden ist „Psychedelic Pill“ in der südkalifornischen Idylle der Broken Arrow Ranch, die Neil Young mit seiner Frau, zwei Kindern sowie seinen umfangreichen Sammlungen von Oldtimern und Spielzeugeisenbahnen teilt. Die Ranch liegt auf halbem Weg zwischen San Francisco und San José, inmitten von Wäldern, die märchenhaft und etwas unheimlich wirken. Vor einigen Monaten, so klagt Young im Buch, hätten sie „fünf Meter von der Hintertür entfernt Pumakacke gefunden“. Möglicherweise war der Lärm, den die Songs entfalten, auch ein Versuch, die Wildkatzen zu vertreiben. Das in einer Scheune untergebrachte Tonstudio hat Young halb ironisch „White House“ genannt. Dort nahm er mit Crazy Horse zunächst das orgiastische Coveralbum „Americana“ auf, das im Juni herauskam und kunstvoll zerschredderte Versionen von Folkklassikern wie „Oh Susanna“ und „This Land Is Your Land“ versammelt. Für die Improvisationen von „Psychedelic Pill“ mussten die Bandmaschinen einfach bloß weiterlaufen.

Das Lied, das Neil Youngs aktuellen Gemütszustand trefflich zusammenfasst, heißt „Walk Like a Giant“. Gemütlich zuckelt der Beat, die Gitarren scheppern, die Melodie wird gepfiffen. Es geht ums Älterwerden, um Lebensniederlagen und um das Scheitern als Chance. „Me and some of my friends / We were ready to save the world / Then the weather changed and life got strange and it fell apart / And it breaks my heart to think about how close we came“, singt Young. Die Welt haben er und seine Hippie-Freunde nicht gerettet. Aber sie waren verdammt nah davor. Und sie wollen weiterkämpfen. „I want to walk like a giant on the land“, versichert der Sänger zum aggressiven Geheul seiner Gitarre. „Now I feel like a leaf floating on a stream.“ Ein Riese will er sein. Aber er fühlt sich wie ein Blatt, das von einem Fluss davongetragen wird.

Der Begriff Autobiografie wirkt etwas hochgegriffen für Neil Youngs Buch. Es erinnert eher an ein Tagebuch, in dem sich Notizen über die derzeitige Befindlichkeit mischen mit Erinnerungen an die Kindheit in Kanada, den Karriereanfang in Kalifornien mit Buffalo Springfield und Crosby, Stills, Nash & Young sowie Begegnungen mit Bob Dylan, Bruce Springsteen, Dennis Hopper oder Berry Gordy. Young erzählt unstrukturiert, verliert sich oft in Details, mitunter erinnern die Abschweifungen an seine Improvisationen auf der Gitarre. Für den Leser ist es nicht immer leicht, ihm zeitlich und örtlich zu folgen, zumal der Verlag auf ein Register verzichtet hat.

Die USA waren für den Sohn eines Sportjournalisten aus Ontario früh das gelobte Land. Erst dort konnte er sich den Traum erfüllen, Musiker zu werden. Im Frühjahr 1966 machte er sich in einem Pontiac-Leichenwagen des Baujahrs 1953 auf den Weg. „Wir fuhren geradewegs nach Süden. Die Straßen waren tatsächlich besser. Sie waren aus grauem Beton mit gelben Linien in der Mitte, und beim Darüberrollen machten sie leise Ba-am.“ Neil Young ist ein Hippie geblieben, der „the great spirit“ beschwört. Doch er sagt auch: „Amerika ist großartig, und Kapitalismus rockt.“ Mit einem neuen digitalen Musikkomprimierungsformat will er die Softwaremogule aus dem Silicon Valley herausfordern. „Ich bin noch nicht tot“, schreibt er. „Ich schlafe bloß. Mache Winterschlaf, wie die Musikliebhaber, die wegen der grottigen Klangqualität nicht mehr das spüren, was sie früher beim Musikhören gespürt haben.“ Mit dem Zorn dieses alten Mannes ist weiter zu rechnen.

„Psychedelic Pill“ von Neil Young und Crazy Horse erscheint am Freitag bei Reprise. – Neil Young: Ein Hippie-Traum, aus dem Englischen von Stefanie Jacobs, Michael Kellner und Hans-Ulrich Möhring, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, 477 Seiten, 22,99 Euro.

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