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© dpa

Nachruf: Federman: Billard mit Beckett, Golf mit Gott

Der Schriftsteller Raymond Federman ist am 6. Oktober im Alter von 81 Jahren gestorben. Eine Erinnerung.

Am 6. Oktober ist Raymond Federman in San Diego, Kalifornien, im Alter von 81 Jahren gestorben. Die Nachricht erreicht uns in einer E-Mail mit seinem Absender, darin eines seiner liebsten Synomyme (oder Pseudonyme) steckt: moinous. Geschrieben von seiner Tochter Simone. In der letzten Nacht, er konnte nur noch mit den Augenbrauen kommunizieren, hat sie ihrem Vater das Buch vorgelesen, in dem sich sein Leben, sein Überleben zugleich verbirgt und offenbart: „The Voice in the Closet“ (Die Stimme im Schrank, 1989 auf Deutsch erschienen).

Es ist schwer vorstellbar, dass dieses Leben zu Ende sein soll. Wie oft hat sich Federman erfunden für diese Welt, er lebte nicht in der Fiktion, sondern durch sie. „Man muss sein Leben anhand der Fakten erfinden“, sagte er. Grausame Fakten, die zu überwinden ein Menschenleben nicht ausreicht. Raymond Federman wurde am 15. Mai 1928 in Paris geboren. Am 16. Juli 1942 werden in Frankreich zwölftausend Juden verhaftet und in die Vernichtungslager der Nazis deportiert. Raymonds Eltern und seine Schwestern Jacqueline und Sarah sterben in Auschwitz in den Gaskammern. Raymond kommt davon, weil seine Mutter ihn in einen Wandschrank stößt, als es an der Wohnungstür klopft. „Ich betrachte diesen traumatischen Tag des 16. Juni 1942 als meinen wahren Geburtstag, denn an diesem Tag erhielt ich ein Übermaß an Leben zum Geschenk“, schreibt er in „Eine Version meines Lebens“.

Ende der Achtziger landet er in Berlin

Moinous. Ich, wir. Das Ego und die anderen. Die Lebenden, die Toten. Autobiografisch sind alle seine Bücher, jedes einzelne eine Wiedergeburt. „He, ihr, ihr da, aufwachen, es geht wieder los, die ganze Chose noch einmal, aber dieses Mal ohne das übliche Gefasel, die Geschichte eben, die wirkliche ...“. So wie sein Roman „Die Nacht zum 21. Jahrhundert“ beginnt, so heben sie immer wieder an, die vielen Federman-Titel, kreisend um ein Ego, das wächst, das über sich hinauswachsen will, das so einnehmend und ausgreifend, zuweilen überwältigend ist; eingeschlossen in die Fruchtblase jenes Schranks.

1947 kommt er in die USA. Eine schwierige Wiedergeburt: die fremde Sprache, in der er schreiben wird, der Dienst als Fallschirmspringer im Korea-Krieg. Er verfasst die erste amerikanische Dissertation über einen gewissen Samuel Beckett, mit dem er befreundet ist, wird Literaturprofessor in Buffalo. Ende der Achtziger landet er mit einem DAAD-Stipendium in Berlin. Hier erfährt er die Anerkennung als Schriftsteller, die ein „Avantgardeautor“ in Amerika höchstens in Unizirkeln bekommt. „Alles oder nichts“ wird in der Anderen Bibliothek verlegt, Suhrkamp, Matthes & Seitz, viele andere drucken seine Bücher. Hörspielproduzenten lieben seine fordernde, federnde Stimme mit dem französischen Akzent. In Frankreich wird er gefeiert, eine Heimkehr, eine weitere Wiedergeburt. Er schreibt auch wieder auf Französisch. Seine Bücher sind in zwanzig Sprachen übersetzt. Mit 80 ist er auf eine Neuerscheinung so stolz wie ein Debütant.

Mann der Feder. Homme de plume. Federman, der die Bälle in der Luft hält. Spielt Billard mit Beckett. Fegt jeden vom Tennisplatz, der glaubt, es mit ihm aufnehmen zu können. Lässt sich in Kalifornien nieder, weil das Wetter dort günstig ist für seine große Leidenschaft: Golf. Ein Teil seiner Asche soll auf dem Golfplatz verstreut werden, vielleicht auch im Kasino. Spielen, aufschlagen, das Handicap verbessern, bis zuletzt.

Rüdiger Schaper

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