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Günter Grass.

© dpa

Nachruf auf Günter Grass: Der Dauerumstrittene

Günter Grass war ein großer deutscher Dichter, ein Universalschriftsteller des 20. Jahrhunderts. Und er war einer der umstrittensten. Mit seinem Tod verstummt der Restlärm seiner späten Jahrzehnte.

In den letzten zehn Jahren seines Leben war Günter Grass das, was er auch zuvor immer schon nebenbei angepeilt hatte: ein Dauerumstrittener. Seit seiner späten Offenbarung im Buch „Beim Häuten der Zwiebel“ (2006), mit 17 als Wehrmachtsfreiwilliger zur Waffen-SS eingezogen worden zu sein, wurde seine politische Umtriebigkeit, die sich schon in den 1960er Jahren mit den Wahlkämpfen für Willy Brandt voll ausformte, eine erst bekämpfte, mit zunehmendem Alter eher belächelte gesellschaftliche Last. Sein Gedicht „Was gesagt werden muss“, in dem er vor drei Jahren in leitartiklerischer Schärfe mit Israel als Atommacht ins Gericht ging, war seine letzte provokant kontroverse Intervention, hochproblematisch auch, weil die Israelkritik ausgerechnet von einem Ex-Mitglied der Waffen-SS kam - mag Grass damals, 1944, noch so jung gewesen sein.

Aber Grass’ durchaus lustvoll lärmendes Auftreten auf der politischen Theaterbühne, das umso lauter wurde, je weniger dieser große deutsche Dichter und deutsche Universalschriftsteller des 20. Jahrhunderts im hohen Alter literarisch zu sagen hatte, ist auf einmal nicht mehr wichtig. Mit seinem Tod – er starb am Montag in Lübeck – verstummt der Restlärm dieser späten Jahrzehnte, der mit Grass’ Ablehnung der deutschen Vereinigung begonnen hatte. Plötzlich steht das Gesamtwerk dieses nicht nur literarisch herausragenden deutschen Künstlers so solitär da, wie es ist. 1999 wurde er mit dem Literaturnobelpreis geehrt – aber angesichts des bis dahin unvergleichlich sprachmächtig Geleisteten wirkte selbst dieser olympische Lorbeer fast wie eine nachgetragene externe Ehre.

Günter Grass und die Lust an fabuliersüchtiger Prosa

Als Steinmetzgehilfe hatte Grass, geboren als Sohn von Kolonialwarenhändlern in Danzig-Langfuhr, nach dem Krieg angefangen und bald in Düsseldorf und Berlin Kunst studiert. Über das detailverliebte Zeichnen auch, die Radierung, die feine, kleine, gegenständliche Form, die ihn nie losließ und mit der er immer wieder seine Bücher schmückte, fand er erst zur Lyrik und schließlich zur Prosa. Und wusste die beiden literarischen Formen, am prägnantesten in seinem Monumentalwerk „Der Butt“ (1977), auf das Sinnlichste und Gültigste zu verbinden - die Lust am konzentriert plastischen Gedicht und an wunderbar ausufernder, ja, fabuliersüchtiger Prosa.

Der Einstieg in die große Prosaform geriet Grass – mit Anfang Dreißig - in doppeltem Sinn episch: mit dem frühen Meisterwerk „Die Blechtrommel“, (1959), das sich mit den folgenden schmaleren Bänden, „Katz und Maus“ und „Hundejahre“, zur Danziger Trilogie verband. Das Politische und das Persönliche, das Historische und das stets nach außen gekehrte Menschliche verschmolzen bereits kongenial in der „Blechtrommel“, der großen "tragicomédie humaine" um den entschieden zum Nichtweiterwachsen entschlossenen kindlichen Trommler Oskar Matzerath. Das Buch übrigens brachte, nie wieder erreichter Erfolg des deutschen Kinos, 1980 der Verfilmung durch Volker Schlöndorff den ersten Oscar für einen deutschsprachigen Film und die Goldene Palme von Cannes.

Seither war das Eine absolut unangestrengt nie ohne das andere zu haben – am überzeugendsten wohl im „Butt“. Essensgenuss kam zu Sexgelüst, und das alles in einer zeitgeschichtlich versunkenen Kaschubei des Danziger Hinterlands: ein leuchtendes Panorama der fleischlichen Freuden und Qualen, eher wie von einem Pieter Bruegel als von einem Hieronymus Bosch mit scharfem Auge gesehen und mit ruhiger Hand ausgemalt.

Vielleicht beflügelt Grass' Tod das Interesse an seinen Nebenwerken

Vielleicht, und das ist zu wünschen, beflügelt der Tod des Großmeisters nun erneut das Interesse auch an den konzentrierten Nebenwerken in Grass’ schöpferischster Lebensphase der sechziger und siebziger Jahre. Da sind etwa „örtlich betäubt“, sein sarkastischer Blick auf die Welt des saturierten Bürgertums zur Zeit der Studentenunruhen (1969), und vor allem „Das Treffen in Telgte“ (1977), die hinreißende historische Miniatur eines Schriftstellertreffens aus der Barockzeit. Unschwer ist das schmale Büchlein als eher zärtliche denn garstige Schlüsselerzählung auf die „Gruppe 47“ dechiffrierbar - und zugleich als souveräne erzählerische Etude schlechthin zu genießen.

Sein Privatleben? Zweimal verheiratet, sechs Kinder von drei Frauen. In Berlin wohnte er jahrelang in der unauffällig abseits und doch mit schnellem Zugriff zum Trubel gelegenen Niedstraße in Friedenau, heute eine stille Pilgeradresse. In seinen späten Jahren lebte er in Behlendorf südlich von Lübeck, das im einstigen Westdeutschland in ähnlicher politischer Peripherie lag wie noch viel früher Danzig, seine Kinderheimat. Nirgendwo zugehörig war Günter Grass als zu sich selbst; allenfalls zu einem ostseenahen, sehr mitteleuropäischen Norden, dessen Blässe er mit seinen Sprachfeuerwerken bunt machte für immer.

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