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Mussolinis Bauten: Das schwarze Erbe

Wie Mussolini das Stadtbild von Rom prägte: ein etwas anderer Rundgang durch die ewige Stadt.

In diesem Jahr feiert Italien, ein wenig unentschlossen, den 150. Jahrestag seiner staatlichen Gründung. Das Jahr erzwingt aber noch eine andere Erinnerung: Vor 75 Jahren, am 9. Mai 1936, erreichte der italienische Faschismus seinen finsteren Höhepunkt. An diesem Tag proklamierte Mussolini vor den begeisterten Massen vom Balkon seines Amtssitzes, des Palazzo Venezia, das neue Imperium. Es wurde als Wiederauferstehung des antiken römischen Imperiums nach fast 1500 Jahren bejubelt. Vorausgegangen war die Einnahme von Addis Abeba durch italienische Truppen – das offizielle „siegreiche“ Ende des Überfalls auf Äthiopien. Was damals kaum ein Italiener wusste: Der Sieg war erst nach dem völkerrechtswidrigen Einsatz von Giftgas errungen worden.

Italien war nun Zentrum eines Imperiums, der König von Italien Kaiser von Äthiopien und Rom wieder Hauptstadt eines Weltreichs. Das hatte gravierende Folgen für die ewige Stadt. „Große führende Staatsmänner haben stets ihr Hauptaugenmerk der Förderung der Baukunst zugewendet, das sehen wir vor allem im Rom der Kaiserzeit, im Rom der Päpste und im Rom Mussolinis.“ So hieß es in einer Ausstellung, die in Wien Ende 1937 im imperialen Rausch gezeigt wurde. Zur gleichen Zeit arbeitete Albert Speer an den Plänen für ein neues Berlin, die Rom in den Schatten stellen sollten.

Das faschistische Regime in Italien setzte seit den 1920er Jahren alles daran, das städtebauliche Ansehen der Hauptstadt zu steigern und den Glanz der Geschichte Roms auf sich zu lenken. Doch die heutigen Rombesucher bemerken dies nur selten. Das liegt an den baulichen Eingriffen, vor allem in der Altstadt. Die freigelegten Zeugnisse der Antike werden heute als gleichsam natürlich wahrgenommen. Kaum ein Reiseführer verweist darauf, dass das Kapitol, das Forum Romanum, die Kaiserforen, die Engelsburg, das Marcellus-Theater, die vier Tempel des Largo Argentina und die beiden Tempel an der Piazza Bocca della Verità erst in der Mussolini-Zeit in ihrer heutigen Form sichtbar gemacht wurden. Kaum ein Tourist bemerkt, dass die gesamte nördliche Gebäudefront der wunderbaren Piazza Navona in der Zeit Mussolinis errichtet wurde.

Selbst die großen Neubauten der faschistischen Ära im Zentrum ordnen sich historischen Monumenten unter. Die Paläste der faschistischen Prachtstraße Via della Conciliazione verbeugen sich vor dem Petersdom, und die Gebäude der Piazza Augusto Imperatore bilden den Rahmen für das Augustus-Mausoleum. Die Neubauten auf der Tiberinsel passen sich malerisch ihrem Standort an. Dass die berühmte Via Veneto von repräsentativen Großbauten des Regimes flankiert ist, wird ebenfalls oft übersehen.

Selbst die Via del Teatro Marcello und die Via dei Fori Imperiali, die Prachtstraßen des italienischen Faschismus, erscheinen heute beinahe selbstverständlich. Dass die großen Tafeln, die dort die Expansion des römischen Imperiums zeigen, in der Mussolini–Zeit angebracht wurden, weiß niemand. Also stört es auch nicht weiter. Immerhin wurde die fünfte, 1938 aufgestellte Tafel entfernt, die das faschistische Imperium zeigt. So sind die städtebaulichen Projekte aus der Zeit der faschistischen Herrschaft ein alltäglicher Bestandteil der italienischen Hauptstadt geworden.

Der Grund für diese Art faschistischen Städtebaus war ein überbordender Kult der Antike. Die Freilegung, ja „die Befreiung des antiken Roms“ wurde zur Leitlinie Mussolinis. Deshalb stieg auch die Archäologie zu einer dominanten Profession des Städtebaus auf. Besonders um das Kapitol wurde eines der größten Kahlschlagsanierungsprojekte des europäischen Städtebaus realisiert. Im Zuge der Abrisse verschwanden vor allem die wenig geschätzten Zeugnisse des mittelalterlichen Roms: Der archäologische Horizont reichte nur bis zum Jahr 476, zum Ende der Herrschaft des weströmischen Kaisers Romulus Augustus.

Neben dem antiken Rom wurde aber auch dem heiligen Rom gehuldigt, dem großartigen Rom der Renaissance- und Barockpäpste, die ihrerseits weltweiten Einfluss beanspruchten. In der Tat war das Werk dieser Päpste ein Vorbild für Mussolini: Die Päpste räumten mittelalterliche Gebäude ohne Rücksicht beiseite, wenn es um die Inszenierung ihrer baulichen Taten ging. Sie brachen neue Straßen durch die alte Stadt, schufen neue Plätze und verbesserten die stadttechnische Infrastruktur. Zugleich nutzten sie die Zeugnisse der Antike für ihre eigenen Zwecke.

Auch im Großraum Rom wurden während des Faschismus städtebauliche Projekte von zentraler Bedeutung realisiert, zum Beispiel der Lido di Roma (Ostia), die bedeutendste Freizeitstadt Italiens, und die Filmstadt Cinecittà, die größte Filmproduktionsanlage Europas. Vor allem aber das später Esposizione Universale di Roma (EUR) genannte Quartier der nicht mehr durchgeführten Weltausstellung E 42, das den End- und Höhepunkt der städtebaulichen Anstrengungen des Regimes markierte. Weitere Großprojekte entstanden in etwas zentralerer Lage, so die Universitätsstadt („Stadt des Wissens“) im Osten und die Sportstadt (heute Foro Italico) im Norden des Zentrums. Fast all diese Großprojekte wurden erst in den 1930er Jahren realisiert – bis dahin waren in den Stadterweiterungsgebieten vor allem Wohnhäuser errichtet worden. Dass all diese Projekte auch von großer ökonomischer Bedeutung waren, darf gerade in Rom als einer Stadt ohne eigene wirtschaftliche Grundlagen nicht vergessen werden. Mussolinis Rom wurde als das dritte Rom gepriesen, nach dem Rom der Cäsaren und dem der Päpste. In der Tat wurde die Metropole in den beiden Jahrzehnten Mussolinis in kürzester Zeit so umgebaut wie nie zuvor oder danach – zum Ruhme des Regimes.

Nicht erst seit den Besuchen von Mussolini in Berlin im September 1937 und von Hitler in Rom im darauf folgenden Mai spielte der Wettbewerb der Diktaturen eine wichtige Rolle. Wer hat die imponierendste Universitätsstadt, wer das großartigste Sportgelände, wer die prächtigste Nord-Süd-Achse? Vor allem die Pläne für das Weltausstellungsgelände konkurrierten mit Albert Speers auftrumpfenden Plänen für ein neues Zentrum von Berlin.

In Italien wird das schwarze Erbe der Mussolinizeit heute eher wohlwollend betrachtet. Oft werden die Zeugnisse der Zwischenkriegszeit wegen ihrer schönen Form bewundert oder gar als Beweis für die „Größe“ des Regimes beschworen. Ein Beispiel für die aus deutscher Sicht kaum glaubliche Unbefangenheit der Italiener ist die kleine, an ein breites Publikum gerichtete Broschüre „La Roma di Mussolini“ von Armando Ravaglioli aus dem Jahre 1996, die an touristischen Orten noch heute für einen Euro verkauft wird.

Dort feiert der Autor die meisten Projekte des faschistischen Städtebaus teils geradezu überschwänglich. Die Sportstadt nennt er das „beste Ergebnis“ des faschistischen Städtebaus in Rom, den Stadtteil EUR, ein „grandioses Ausstellungsquartier“. Selbst die großen Abrissaktionen im historischen Zentrum werden nicht besonders kritisch geschildert – mit Blick auf die unhygienischen Verhältnisse und die Verkehrsprobleme.

In Deutschland weiß man sehr wenig über diese Zeit in Rom, ihre Architekten und ihr Erbe. Wir wollen es womöglich auch gar nicht so genau wissen, um unser Italienbild nicht zu trüben.

Harald Bodenschatz lehrt Planungs- und Architektursoziologie an der TU Berlin. Im Architekturgebäude der TU am Ernst-Reuter-Platz, Raum A053, spricht er am Montag, den 9. Mai, um 20 Uhr über „Städtebau unter Mussolini“.

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