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Marek Janowski, bis 2016 Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, gastiert seit 1976 bei den Berliner Philharmonikern.

© Felix Broede/RSB

Musikfest Berlin: Luft von anderen Planeten

Marek Janowski und die Berliner Philharmoniker spielen Pfitzners "Palestrina"-Vorspiele und Bruckners Vierte.

Fest steht er da, kaum dass er einmal die Fersen hebt. Marek Janowski praktiziert Bodenhaftung bei Bruckners Vierter Sinfonie, mit gleichmäßigen Legato-Vierteln und sparsamem Einsatz von Rubati. Matt schimmerndes Ebenholztimbre, Demut gegenüber dem Werk: Der frühere RSB-Chefdirigent legt beim Musikfest-Auftritt mit den Berliner Philharmonikern eine konservative Haltung an den Tag – konservativ im allerbesten Wortsinne.

Die drei Vorspiele aus Hans Pfitzners Oper „Palestrina“ (1912–1915) geben die Stimmung vor, mit leeren Quarten und Kirchentonalem. Der 78-jährige Maestro und die Philharmoniker zelebrieren eine mal behutsame, mal inbrünstige Melancholie, der nichts Wehleidiges anhaftet. Die zerquälten, polyfonen Tumulte im mittleren Vorspiel – das den Zwist auf dem Konzil von Trient um ebenjene „unheilige“ Polyfonie in der liturgischen Musik illustriert – werden eingerahmt von Pfitzners Beschwörungen der Askese, der aller Weltlichkeit entsagenden Künstlerseele.

Pfitzner, der Neutöner wie Schönberg verteufelte und sich mit seinen Schriften als Anti- Modernist und Antisemit einen unrühmlichen Namen gemacht hat, wird von Janowski gleichsam ins Menschliche gerettet, indem der die Archaik des Komponisten als schon immer verlorene Utopie kennzeichnet. Abwärtslinien, verlangsamter Herzschlag, das Ersterben am Ende – die Huldigung der alten Meister wird zur vergeblichen Geste.

Versprengte Gestalten in gewaltigen Architekturen, das ist Bruckners Vierte

Janowski erweist sich auch bei Bruckners Vierter als Meister der Bescheidenheit. Hoch konzentriert, fast behutsam schichtet er die Klangblöcke der „Romantischen“ übereinander. Bei aller Intensität gestattet er noch in den schneidenden Fortissimo-Passagen den Philharmonikern nie, der kollektiven Wucht zu erliegen. Immer bleibt er Herr der Lage, tariert die Dynamik souverän aus, baut Crescendi sorgfältigst auf, schält die melodischen Reste aus den Akkordschichten heraus. Vor allem verschiebt er Vorder- und Hintergründe wie Kulissen eines Musiktheaters und lässt aus den akribisch symmetrischen Architekturen der 1881 uraufgeführten zweiten Fassung der mehrfach überarbeiteten Sinfonie immer wieder individuelle Gestalten hervortreten.

Es sind versprengte Figuren, Irrgänger von anderen Planeten – um mit Arnold Schönberg zu sprechen. Superb das wie aus fernen Sphären rührende Quint-Leitmotiv von Stefan Dohrs Horn, anrührend die einsamen Rufe und kantablen Reste von Albrecht Mayers Oboe, Emmanuel Pahuds Flöte und Andreas Ottensamers Klarinette, zum Weinen schön die behutsam abgefangenen Phrasenenden der Bratschen-Kantilene im langsamen Satz. Janowski legt das Augenmerk auf die letzten Entäußerungen, das Stocken des Apparats, ohne dessen Militanz zu leugnen.

Sekundenlange Stille, noch vor dem Applaus – bekanntlich das schönste Publikumskompliment. (noch einmal an diesem Samstag, 19 Uhr)

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