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Claude Monets „Das Mittagessen: dekorative Tafel“ (1873).

© Musée d`Orsay, legs de Gustave Caillebotte, 1894

Monet-Ausstellung im Städel Museum: Auf den Punkt

Das Frankfurter Städel Museum feiert seinen 200. Geburtstag mit einer prachtvollen Claude-Monet-Ausstellung – und erklärt dabei, warum es den französischen Impressionismus einfach geben musste.

Die Malerei des Impressionismus? Ist da nicht schon alles gezeigt, alles erforscht? Ja und nein. Das Frankfurter Städel Museum, das am heutigen Sonntag sein 200-jähriges Bestehen feiert, besitzt tatsächlich ein Hauptwerk des frühen Impressionismus, von dem aus sich die Geschichte nochmals neu und anders erzählen lässt. So ist es berechtigt, dass sich das Haus mit einer opulenten Geburtstagsausstellung feiert. Ohne Zweifel wird auch diese Veranstaltung zur französischen Moderne des späten 19. Jahrhunderts ein Publikumserfolg werden, nun eben unter dem Titel „Monet und die Geburt des Impressionismus“.

Das Städel Museum, diese durch und durch bürgerliche Schöpfung und unter ihrem agilen Direktor Max Hollein erneut an der Spitze bürgerschaftlichen Engagements hierzulande, nennt das Gemälde „Das Mittagessen“ von Claude Monet (1840-1926) sein eigen. Es stammt aus dem Jahr 1869 – mithin ein impressionistisches Werk avant la lettre. Denn als Impressionisten wurden erst die Maler bezeichnet, die 1874 im Pariser Atelier des Erfolgsfotografen Nadar ausstellten, und dies unter dem nichtssagenden Titel „Erste Ausstellung der Gesellschaft von Malern, Bildhauern, Radierern etc.“. Die geläufige Story, der Name sei Monets Gemälde „Impression: Sonnenaufgang“ von 1872 entlehnt worden, gehört ins Reich der Legenden. Der Name sei – so der Frankfurter Kurator Felix Krämer – bereits im Schwange gewesen, bevor die immerhin dreißig Künstler bei Nadar ausstellten. In den Rezensionen ist dann 1874 schon wie selbstverständlich von „den Impressionisten“ die Rede.

Höhepunkte der Städel-Gala rund um Monet

Monets „Le déjeuner“ ist ein Großformat, wie es der Maler selbst nur noch ein weiteres Mal ausführte; bezeichnenderweise mit dem Gemälde „Das Mittagessen: dekorative Tafel“ von 1873, das ausdrücklich die innerhalb der kurzen Zeitspanne seit dem Erstling erreichte Entwicklung demonstrieren sollte. Das Zweitbild zeigt, was wir gemeinhin unter Impressionismus verstehen: die flirrenden, punkt- und strichartig gesetzten Farben, in denen sich die realen Gegenstände zu subjektiven Eindrücken, eben „Impressionen“ auflösen, um erst auf der Netzhaut des Betrachters wieder zu physischer Realität zurückzufinden. Der Erstling von 1869 hingegen ist alles andere als impressionistisch, er deutet die kommende Malweise allenfalls zaghaft an.

Beide Gemälde zählen zu den Höhepunkten der Städel-Gala rund um Monet. Von seiner Hand stammt die Hälfte der gezeigten Gemälde, und so kommen nun die übrigen Impressionisten denkbar (zu) kurz. Kurator Krämer hat seine Sorgfalt vielmehr darauf verwandt, die Ahnherren des Impressionismus zu würdigen, also die vorangehenden Landschafts- und Freiluftmaler insbesondere der sogenannten Schule von Barbizon. Corot, Millet, Daubigny, sie hatten den Weg gebahnt, den die Impressionisten beschreiten sollten, wenn auch, wie Monets in Frankfurt so reich wie selten zuvor präsentiertes Frühwerk belegt, erst im Laufe einer stürmischen Entwicklung.

Es sind diese Anfangskapitel, in denen die Ausstellung ungemein präzise Einsichten in die titelgebende „Geburt des Impressionismus“ gewährt. Die weiteren Abteilungen arbeiten dann eher die herkömmlichen Aspekte des Impressionismus ab: die bevorzugten Themen in Natur, Stadt und städtischer Peripherie, dazu die Vergnügungen an den nahen Ausflugszielen der Seine-Dörfer und den ferneren der normannischen Küste. Bemerkenswert viele Werke entstammen der eigenen Sammlung und sind frühe, mutige Ankäufe. Als Hauptleihgeber fungiert das überaus großzügige Pariser Musée d’Orsay, und die weiteren Leihgaben sind Leckerbissen aus aller Welt.

Das Ergebnis wirkt im Folgenden ein wenig wie ein illustriertes Lehrbuch, auch wenn einzelne Werke grandios sind – und ein großes Glück für den Besucher, sie an einem Ort vereint zu sehen. Beispielsweise zwei der zahlreichen Arbeiten, die Monet 1877 im damals ultramodernen Bahnhof Saint-Lazare anfertigte, von wo aus das Bürgertum in die Ferien fuhr. Monet stellte sich zwischen die Gleise, um den Rauch der Lokomotiven malerisch geradezu einzuatmen und in ihm alle Dingformen aufzulösen. Dann die Serienbilder, die allerdings erst im Atelier vollendet wurden, einmal von der Westfassade der Kathedrale von Rouen, der gegenüber sich Monet eingemietet hatte, um die wechselnde Farbwirkung der Tageszeiten zu studieren. Zum anderen die Londoner Nebelbilder über die Themse mit ihren Brücken hinweg: Schöner und farbiger ist der berüchtigte Smog nie verklärt worden.

Fotografie dokumentiert, Malerei interpretiert

Im Jahr der ersten gemeinsamen Ausstellung bei Nadar – bewusst als Antithese zum von Gebrauchsmalerei überquellenden, alljährlichen „Salon“ konzipiert – vollendete Monet die Ansicht des „Boulevard des Capucines“. Wie mit einem Teleobjektiv zusammengedrängt, erscheinen Passanten, Straßenbäume und Pferdedroschken, während links die Fassaden allerneuester Wohnhäuser aufragen. Es ist dies ein Programmbild sowohl der neuen Malerei wie der neuen (groß-)bürgerlichen Gesellschaft von Baron Haussmanns radikalem Stadtumbau.

Wie spannend müsste es sein, ein Hauptwerk von Gustave Caillebotte dagegenzustellen, dem Maler und Mäzen des Impressionismus. Doch der enigmatische Caillebotte bleibt in Frankfurt außen vor. Und auch Edouard Manet, der doch von den Zeitgenossen als Haupt der neuen Schule anerkannt wurde, ist nur spärlich vertreten. Wenn auch mit der selten zu sehenden Ansicht der Pariser Weltausstellung von 1867, die in der bewussten Verzerrung der Proportionen und der Auflösung der Gegenstände einen anderen, radikaleren Zugriff auf die Abbildfunktion der Malerei darstellt.

Dafür aber wartet die Ausstellung mit einer höchst instruktiven Ergänzung auf. In zwei Kabinetten sind zeitgenössische Fotografien, die in ihrer unglaublichen Detailschärfe verständlich machen, warum es den Impressionismus geradezu geben musste. Die Fotografie vereinnahmt die Aufgabe der Dokumentation; der Malerei blieb die Interpretation.

Durch den Krieg mit Preußen und den Sturz des zweiten Kaiserreichs verzögerte sich die längst geplante Gemeinschaftsausstellung der von der Jury des Salons zurückgewiesenen Neuerer (denen ausgerechnet Manet niemals angehören wollte). Monet jedenfalls hielt sein Mittagessen-Bild für so zentral, dass er es fünf Jahre nach Fertigstellung bei Nadar präsentierte. Fünf Jahre – eine Ewigkeit in der Geschichte des Impressionismus. Claude Monet ist darin nicht der einzige Geburtshelfer, doch eine Zentralfigur allemal. Und das Städel feiert nicht nur ihn, sondern zugleich sich selbst für seine beneidenswerte Ankaufspolitik.

Frankfurt/Main, Städel Museum, Schaumainkai 63. Bis 21. Juni, Katalog 39,90 €. – Mehr Infos sowie eine App mit vollständigem Audioguide: www.staedelmuseum.de

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