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Figurentheater auf Acid. In Miet Warlops fast einstündiger Bühnenschau „Mystery Magnet“ tragen die Darsteller Wischmopp-Perücken und verspritzen Farbe, dass es nur so ein Spaß ist.

© Reinout Hiet/HAU

Miet Warlop bei der Art Week: Die Budenspaßzauberin

Die Belgierin Miet Warlop macht die Bühne zum Atelier, lässt Haie schweben und Haarbälle explodieren. Das HAU widmet ihr eine Werkschau. Eine Begegnung.

Miet Warlop lässt Farbe aus der Hose schießen. Wenn ihre Helfershelfer, komplett in schwarzen Stoff genäht, über die Bühne wanken und rote und gelbe Fontänen auf der Wand verteilen, sieht das aus, als würden überlange Zweibeiner pinkeln. Weil Warlops kopflose Hosenträger genau wie der dicke Mann, der selbstvergessen in einer Ecke sitzt und Luftballons zu Pudeln dreht, im Theater auftreten, gilt das Ganze als heilloser Budenzauberspaß.

„Figurentheater auf Acid“ nannte es 2014 ein Kommentator im Radio. Damals zeigte die belgische Künstlerin ihr Stück „Mystery Magnet“ auf einem Festival im Ruhrgebiet. Wenn es im Rahmen der Berlin Art Week im HAU erneut aufgeführt wird, kann man sich Gedanken darüber machen, ob dieser Schaulauf erweiterter Puppenspielkunst nicht doch am falschen Ort ist. Auch Festivalleiterin Annette Dabs traf nicht ganz den Ton, die das Stück damals eine „Mischung aus Action Painting und Cartoonstrip“ nannte. Farbe fließt tatsächlich, nicht bloß aus den kopflosen Hosen, sondern auch aus den anderen Akteuren – wie Milch oder Körpersäfte. Am Ende der knapp einstündigen Performance hat sich die vielfarbige Flüssigkeit auf dem Bühnenboden zum abstrakten Bild vermischt. Doch was ist mit dem Übergewichtigen im weißen Hemd, den Luftballons, den neonfarbenen Wischmoppfrisuren auf schwarz gekleideten Figuren: Passen sie auch in ein Action Painting?

Eine Skulptur jenseits statischer Zustände

Fragt man Miet Warlop, dann kommt schnell die Sprache auf das Skulpturale ihrer Show. Körper stehen im Zentrum. Ihr eigener Körper bildet die Mitte, weil er an jedem Stück beteiligt und Teil des Spektakels ist. Die Bühne wird für sie zum Atelier, Warlop arbeitet als Bildhauerin. Am Ende steht eine temporäre Plastik, geformt aus Menschen, Musik und all den anderen Utensilien. „Es scheint, als ob am Ende Warlops gesamte Energie auf der Bühne zurückbliebe“, schrieb ein Kritiker nach ihrer Schweiz-Tournee 2015. Das ist es: Man schaut Warlop bei der Arbeit zu. Wie sie erschafft, was nicht ausgestellt oder in Galerien verkauft werden kann.

Sie selbst spricht von der „Idee einer Skulptur jenseits statischer Zustände“. Ein kinetisches Objekt könnte der Vorgänger sein, eine der riesigen, stampfenden Kunstmaschinen von Jean Tinguely. Überhaupt liegen die künstlerischen Bezüge von „Mystery Magnet“, „Dragging the Bone“ (2014) oder ihrer jüngsten Performance „Fruits of Labor“ (2016) sichtbar offen: Ein Tisch auf Beinen wirkt wie ein surreales Requisit aus den Bildern von Max Ernst, ihre runden Figuren erinnert an Boteros pralle Gestalten und Warlops Farb- und Materialorgien an die bösen Bühnenhandlungen eines Paul McCarthy.

Warlop boxt einen in den Bauch

Miet Warlop, Jahrgang 1978, hat in Gent an der Kunstakademie studiert. Ihr Abschluss in „Multimedial Arts“ deutet an, dass es um eine Erweiterung der traditionellen Disziplinen geht. Um die Verbindung von Tanz, Theater, bildender Kunst. Eigentlich ist diese Mischung längst angekommen. Spätestens mit Anne Imhof, die 2015 den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst und jetzt auch den Goldenen Löwen in Venedig für ihren Auftritt im Deutschen Pavillon erhielt. Natürlich kennt Warlop die Arbeiten von Anne Imhof. Sie war auch in Venedig, sieht aber nur wenige Parallelen zu Imhofs Performances. Deren Akteure sind cool, grenzen sich ab. Selbst wenn man um sie herumgeht wie 2016 im Hamburger Bahnhof in der Performance „Angst II“, schiebt sich eine Art gläserne Wand zwischen den Betrachter und die Akteure. Bei Warlop agieren die Spieler auf der Bühne auf Distanz. Dennoch berühren sie ihr Publikum und erzeugen Gefühle. Bei Imhof läuft die Rezeption über den Kopf. Warlop boxt einen in den Bauch. Lust, Spaß, Melancholie, sogar Trauer entfalten sich selbst in einem Stück wie „Mystery Magnet“, wo es vor Farben und Einfällen nur so knallt. Wo Haarbälle explodieren und am Ende ein Hai über den Boden schwebt. Ein Badetier, aber eines mit motorisierter Flosse.

Etwas dunkler ist das Solo „Dragging The Bone“. Die Künstlerin nennt es die Nachtseite von „Mystery Magnet“ – ein reduziertes Solo in Schwarz-Weiß, für das sie ihren Körper in Gips taucht und in körperlicher Schwerarbeit ein riesiges Ding zum Leben bringen will: die Bronzeleber von Piacenza, ein antikes Objekt etruskischer Priester. „Fruits of Labor“ verlässt sich auf drei Musiker, sechs Schlagzeuge und ein paar Requisiten. Wieder steht Warlop im Zentrum, diesmal im Paillettenkleid und der Botschaft: „Fucking“.

Die Zukunft des Theaters und der Kunst

Chaos und Glitzer gegen Kontrolle und Restriktion. Absurde Momente anstelle realer Schmucklosigkeit. Noch lieber als auf der Bühne performt Miet Warlop mitten im Raum, damit ihr Publikum die Situation umrunden und jedes Detail wahrnehmen kann. Wie eine Skulptur. So hat sie angefangen in der Kunstakademie und auch ihre Abschlussarbeit präsentiert, bevor das Tanztheater ihre Inszenierungen für sich entdeckte. Zwischendurch gab es immer wieder Aufführungen in Ausstellungsräumen, in Berlin zuletzt im Januar bei der Wiedereröffnung der Kunst-Werke in der Auguststraße. 2014 hatte Annette Dabs, die Festivalleiterin des Figurentheaters, über Warlop gesagt: „In 50 Minuten fackelt sie auf der Bühne etwas ab, wobei einem der Mund offen stehen bleibt und von dem ich glaube, dass darin die Zukunft des Theaters liegt.“ Vielleicht ist es aber auch die Zukunft der Kunst. Oder beides.

Werkschau Miet Warlop, 14.–16.9. im HAU1 (Stresemannstr. 29), HAU2 (Hallesches Ufer 32) und HAU3 (Tempelhofer Ufer 10), www.hebbel-am-ufer.de

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