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Die Dokumentation „Als Paul übers Meer kam“ begleitet einen Kameruner auf seinem Weg nach Berlin.

©  Weydemann Bros/Juan Sarmiento

Max-Ophüls-Filmfestival: Ohne die anderen sind wir nichts

Geflüchtete, Liebeskranke und Experimente: Das erste Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken unter neuer Leitung.

„Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste“, so hieß ein Film, der vor drei Jahren auf dem Max Ophüls Festival lief. In der fingierten Doku erzählte Isabell Šuba von einer Jungregisseurin gleichen Namens, die in Cannes die volle Breitseite einer männlich dominierten Filmwelt abbekommt, inklusive chauvinistischer Sprüche des eigenen Produzenten.

Schon länger fragt sich die Branche, wie das an den Filmhochschulen noch recht ausgeglichene Geschlechterverhältnis ins spätere Arbeitsleben zu übertragen ist. Doch siehe da: Das Kinojahr 2016 lieferte fulminante Filme von Frauen, allen voran Maren Ades „Toni Erdmann“, und nun überraschte auch die 38. Auflage des Ophüls-Festivals, die am Sonntag in Saarbrücken zu Ende ging, mit einer erstaunlichen Zahl: 17 der 28 Wettbewerbsbeiträge in den Sparten Spiel- und Dokumentarfilm waren unter weiblicher Regie entstanden, ein Anteil von über 60 Prozent. Kein Bedarf also für die Quote?

„Eine Quote halte ich für schwachsinnig“, sagt Svenja Böttger, 28, die neue Leiterin des wichtigsten Festivals für den deutschsprachigen Filmnachwuchs. Bei der Auswahl des Wettbewerbsprogramms habe man nicht auf den Genderproporz geachtet, es sei allein um die Qualität der Filme gegangen. Einen „Luxus“ nennt Böttger die große Zahl an Einreichungen weiblicher Regisseure.

In "Siebzehn" verliebt sich eine junge Frau in ihre Mitschülerin

Zu ihnen zählt auch die Gewinnerin des Max Ophüls Preises, die promovierte Literaturwissenschaftlerin Monja Art. Ihr Film „Siebzehn“ erzählt die Coming-of-Age-Geschichte von Paula, einer Internatsschülerin in einem niederösterreichischen Dorf. Zwischen Schulalltag, DVD-Abenden und Ausflügen an den Badesee entdeckt die 17-Jährige ihre Gefühle für eine Mitschülerin. Blöd nur, dass die mit einem Jungen zusammen ist.

Es ereignen sich gar keine allzu großen Dramen in „Siebzehn“, Paula ist allseits beliebt und lebt in einem ziemlich liberalen Umfeld, doch der innere Aufruhr der Adoleszenz reicht für eine packende Geschichte völlig aus. Die 33-jährige Regisseurin inszeniert sie mit einer angenehmen Beiläufigkeit, nimmt ihre Figuren und deren (Liebes-)Nöte aber zu jeder Zeit ernst. Einen Film über Sehnsucht habe sie machen wollen, sagt Monja Art, und tatsächlich speist sich der Schmerz hier gerade aus dem, was nicht passiert. Dass sich Paula nach einem Mädchen und nicht nach einem Jungen verzehrt, spielt dabei eine Nebenrolle, „Siebzehn“ ist schlichtweg ein präzise erzählter Film über jugendliches Schmachten. Die zurückgenommen agierende Hauptdarstellerin Elisabeth Wabitsch erhielt den Preis für die beste Nachwuchsschauspielerin.

Elisabeth Wabitsch (links) als Paula im Siegerfilm "Siebzehn".
Elisabeth Wabitsch (links) als Paula im Siegerfilm "Siebzehn".

© Orbrock Filmproduktion GmbH

Eine Vielzahl „individueller Geschichten“ ist Festivalleiterin Svenja Böttger im diesjährigen Programm aufgefallen. Selbst das weltpolitische Thema Flucht kommt mehr und mehr im Privaten an, es stand im Mittelpunkt zweier starker Wettbewerbsbeiträge – einmal fiktional, einmal dokumentarisch erzählt.

In Franziska M. Hoenischs Spielfilm „Club Europa“, der den „Preis für den gesellschaftlich relevanten Film“ erhielt, lässt eine Berliner WG einen jungen Mann aus Kamerun bei sich einziehen. Doch als dessen Asylantrag abgelehnt wird, sein weiterer Aufenthalt somit illegal wäre, stellt sich den Mitbewohnern die Frage: Sind wir bereit, persönliche Risiken auf uns zu nehmen, um menschlich zu handeln? Eine besondere Brisanz erhält das Werk dadurch, dass Hauptdarsteller Richard Fouofié Djimeli selbst als politisch Verfolgter aus seiner Heimat Kamerun floh und sich für ihn während der Dreharbeiten Rolle und Realität vermischten.

Die Berlinerin Svenja Böttger folgt als Leiterin auf Gabriella Bandel

Auch Jakob Preuss’ Dokumentarfilm „Als Paul über das Meer kam – Tagebuch einer Begegnung“ erzählt von einem jungen Mann aus Kamerun, der nach Europa reist. Pauls dramatischer Weg vom Flüchtlingscamp in Marokko bis nach Berlin begleitet Preuss über mehr als zwei Jahre, und dabei erlebt der politische Aktivist und Grimme-Preisträger ein moralisches Dilemma: Darf er sich als Filmemacher einmischen oder muss er Distanz wahren zu seinem Protagonisten?

Als die Berlinerin Svenja Böttger vor einem Jahr die Festivalleitung in Saarbrücken übernahm, erschien sie manchem als riskante Wahl. Ihre Vorgängerin Gabriella Bandel war nach 17 Jahren gegangen, zudem wurde Kritik an der zu geringen Unterstützung des Festivals durch die Stadt laut. Einige prophezeiten dem Ophüls-Festival gar das Aus. Nach der Ära Bandel sollte es nun also eine junge Frau richten, die gerade erst ihr Masterstudium der Medienwissenschaften an der Filmuniversität Babelsberg abgeschlossen hatte. „Die Labels ,Studentin‘ und ,jung‘ hafteten schnell an mir, das fand ich schade“, sagt Böttger. Dabei hatte sie bereits reichlich Erfahrung gesammelt, erst ein Filmfest in Braunschweig geleitet, anschließend die „Sehsüchte“ der HFF in Potsdam, zuletzt zwei Jahre den Empfang der Filmhochschulen bei der Berlinale. „In Studentenkreisen kennt man mich“, sagt Böttger.

Eine neue Reihe zeigt Filme in ungewöhnlichem Format

Dem Ophüls-Preis soll dieses Netzwerk zugutekommen. In ihrem ersten Jahr hat Böttger die Branchentage ausgeweitet, bei denen der Filmnachwuchs Etablierte treffen kann. Zudem präsentiert sich jetzt jährlich eine Filmhochschule im Rahmen, zum Auftakt war das „La Fémis“ aus Paris. Auch ins Programm hat Böttger eingegriffen, zwei weitere Nebenreihen eingeführt: Animationsfilme und Kurzdokumentationen waren dort erstmals zu sehen. Neu ist auch die Sektion „Watchlist“ mit Filmen, die zwar aus dem letzten Produktionsjahr stammen, aber nicht im Wettbewerb gezeigt werden, weil sie schon auf anderen Festivals liefen. „Wir möchten die ganze Bandbreite des Nachwuchses zeigen“, erklärt Böttger diese Änderungen.

Dass dazu nicht nur das klassische Filmformat zählt, lässt eine Reihe erahnen, die unter dem Titel „MOP-Visionen“ Premiere hatte. Ein „Vertikalfilm“ im Hochkantformat, eine Webserie sowie zwei 360°-Videos standen hier etwa auf dem Programm. Für Richard Böhringers Sechsminüter „Flucht“ setzte man eine Virtual-Reality- Brille auf und sah eine Familie auf der Flucht. Erst hinaus aus dem Luftschutzbunker, dann an der deutsch-deutschen Grenze, schließlich in einer zum Auffanglager umgewidmeten Turnhalle. Das Besondere: Jede Szene ließ sich im Rundumblick betrachten, die Perspektive war nicht mehr vorgegeben.

Eigenwillige Blickwinkel und individuelle Geschichten: Man könnte meinen, das Festival habe in diesem Jahr das Eigenbrötlertum gefeiert. Die prämierten Filme sprechen zum Glück eine andere Sprache: Ohne die anderen sind wir gar nichts, sagen sie.

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