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Die Schauspielerin Ana Brun weinte während der Pressekonferenz zu ihrem Film "The Heiresses" (Las Herederas) - so wie gelegentlich auch unser Kritiker im Kinosaal.

© AFP

Martensteins Berlinale (5): Berührende Partys, dehydrierende Filme

Was der Berlinale fehlt, sind echte Konflikte und Aufreger. Dafür gibt es berührende Partys und dehydrierende Filme.

Die Berlinale war bis 1990 ein Schauplatz des Ost-West-Konfliktes. Da flogen oft die Fetzen. Russen und Chinesen gegen Amis. Was der Berlinale heute fehlt, sind echte Konflikte und Aufreger. Es gibt in der Welt ja genug davon. Meistens sendet die Berlinale diesen ökosozialfeministischen Dauerton, alle sind sich einig und machen es sich täglich im lauwarmen Bad der Selbstbestätigung gemütlich. Das ist ziemlich langweilig und irrelevant. Ich würde zum Beispiel gern mal einen Pro-Putin-Film sehen, obwohl ich sehr gegen Putin bin, oder öfter mal einen Film, der unbequeme Fragen stellt, die nicht schon jeder im Schlaf kennt. Mit diesen Der-Kapitalismus-ist-an-allem-schuld- Filmen könnt ihr mich jagen. Da schaue ich dann lieber „Wer wird Millionär?“. Nein – ich gehe auf eine Party!

Auf der Party stand ich mit einem wichtigen Produzenten und einem bekannten Kritiker beisammen. Der Kritiker sagte: „Wir waren doch beide vor vier Jahren auf dieser Filmtagung in Paris.“ Der Produzent erinnerte sich. Der Kritiker: „Da musste ich zu einer Podiumsdiskussion aufs Panel. Ich war spät dran und rannte aus dem Hotel ’raus, jemand hat Achtung gerufen, aber ich konnte nicht bremsen und bin direkt vorm Hotel auf einer Pfütze ausgerutscht und reingefallen. Es war Erbrochenes. Noch warm.“ Der Produzent schaute leicht angeekelt auf sein Fingerfood, eine Mini-Quiche. „Dann“, fuhr der Kritiker fort, „hat mir jemand erzählt, dass es Ihr Erbrochenes war. Und jetzt treffen wir uns persönlich, so ein Zufall!“ Der Produzent wirkte leicht angefasst. Er räusperte sich. „Na ja, ich hatte nach langer Pause mal wieder gekifft, das vertrag’ ich einfach nicht mehr.“ „Man wird älter“, sagte der Kritiker. „Ich hab zum Glück immer eine Ersatzhose dabei.“ Diese Szene hat mich berührt. Und jetzt wird es peinlich.

Immer, wenn im Film jemand weint, muss ich mitweinen. Ich kann nichts dagegen machen. Wenn dann auch noch leise die Streicher einsetzen, sieht mein Sitz nach dem Film so aus, als sei ich inkontinent. Gleichzeitig werde ich wütend. Ich denke: „Jetzt wirst du gerade manipuliert. Du durchschaust es. Aber du weinst trotzdem, du Volltrottel.“ Wenn aber ein Kind weint, brechen alle Dämme. Wenn man mir ein zweistündiges Drama mit weinenden Kindern zeigen würde, müsste ich hinterher wegen Dehydrierung ins Krankenhaus. Gestern habe ich zum ersten Mal so einen Film gesehen, den ich trotzdem richtig gut fand, morgen mehr.

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