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Die israelische Schriftstellerin Lizzie Doron

© imago

Lizzie Dorons Roman "Who the Fuck Is Kafka": Ein bisschen Frieden

Schwerpunkt Israel: Was verbindet Besatzer und Besetzte? Lizzie Doron erzählt in „Who the Fuck Is Kafka“ von dem gemeinsamen Projekt einer israelischen Schriftstellerin und eines arabisch-palästinensischen Journalisten.

Es ist ein Sonntagabend im Frühsommer des Jahres 2011, als sich die Hauptfiguren dieses Romans, die bekannte, in Tel Aviv lebende israelische Schriftstellerin Lizzie Doron und der nicht ganz so bekannte, in Ost-Jerusalem lebende, arabisch-palästinensische Fotojournalist Nadim Abu Hanis, mit einer Vertreterin der Europäischen Union in einem Tel Aviver Restaurant treffen, um mit ihr ein gemeinsames, von der EU unterstütztes Film- und Buchprojekt zu besprechen.

Vor allem Nadim redet an diesem Abend und erzählt der aus Frankreich stammenden EU-Vertreterin zum Beispiel von der Hochzeit mit seiner aus dem Gaza-Streifen stammenden Ehefrau Laila, von ihren Besuchen einmal jährlich im israelischen Innenministerium in Jerusalem, um Lailas Aufenthaltsgenehmigung für ein weiteres Jahr verlängern zu lassen, oder von den Problemen Lailas, ihren todkranken Vater im Krankenhaus von Gaza-Stadt besuchen zu können. Und jede dieser durchaus bestürzenden, sprachlos machenden Geschichten kommentiert die Abgesandte der Europäischen Union mit einem knappen Ausruf: „Kafka“. Als die Französin weg ist, fragt Nadim seine Bekannte, die israelische Schriftstellerin und Autorin dieses Romans, irritiert:  „Who the Fuck Is Kafka?“

Dorons Roman hat nur notdürftige fiktive Überzüge

Ob Lizzie Doron die vier, fünf „Kafkas“ vielsagend findet, pointiert? Weil damit die Situation der palästinensischen Israelis, die Hürden ihres Alltags, die Beschwernisse ihres Lebens mit einem Wort auf den Punkt gebracht, eben als „kafkaesk“ beschrieben sind? Es muss wohl so sein. Der Leser, der diese „Kafka“-Ausrufe eher peinlich und albern findet, weiß zumindest an dieser Stelle, wie dieser hierzulande gerade sehr gefeierte Roman der 1953 in Tel Aviv geborenen Schriftstellerin zu seinem tatsächlich knuffigen Pop-Titel gekommen ist.

Man befindet sich jedoch spätestens auch hier in einem schweren Zwiespalt bezüglich des Fortgangs der Lektüre. Weiterlesen? Oder endgültig in die Ecke werfen? Denn einerseits ist dieser Roman kaum als solcher zu bezeichnen, schon gar nicht im Sinn eines literarischen Werkes. Und das nicht nur, weil Lizzie Doron, wie man das kennt von ihr, so nahe wie möglich an ihrer Person und der israelisch-palästinensischen Realität ist, weil „Who the Fuck Is Kafka“ nur notdürftigst fiktive Überzüge hat, weil Dorons Geschichte mehr an einen tagebuchartigen Bericht erinnert. Sondern gerade auch, weil dieser „Roman“ alles andere als besonders gut geschrieben ist, es in ihm nur so wimmelt von Formulierungen wie „mein Herz macht einen Satz“, „mir stockt der Atem“, „meine Augen wurden feucht“ oder „Nadim runzelte verständnislos die Stirn“. Und weil bis auf die Erzählerin und Nadim auch alle anderen Figuren inklusive der jeweiligen Eheleute nur als Pappkameraden und Platz- und Meinungshalter herhalten müssen oder, wie im Fall mehrerer Europäer gleich ganz die puren Klischees sind.

Mein Sechs-Tage-Krieg war für ihn der Krieg von 1967“

Andererseits ist die Lektüre lohnend und lehrreich, buchstabiert Lizzie Doron den Irrsinn des Nahost-Konflikts praktisch von A bis Z durch: den Wahnwitz des Zusammenlebens von Israelis und Palästinensern, das Groteske daran, die ewigen kriegerischen Auseinandersetzungen, die kein Ende nehmen wollen und in der Psyche aller Bewohner Israels egal welcher Herkunft ihre Verheerungen anrichten, die Unmöglichkeit eines Friedensschlusses gerade auch vor dem Hintergrund des Holocausts hier und der Vertreibung der Araber nach Israels Staatsgründung dort.

Die Ich-Erzählerin lernt den 10 Jahre jüngeren Nadim auf einer Friedenskonferenz in Rom kennen und auch schätzen, bei allen Vorurteilen und Ängsten, die sie hat, all ihrer Skepsis. Denn Nadim weiß nicht nur nicht, wer Mengele (oder eben Kafka) war oder was jiddisch ist, sondern er bezeichnet auch Terroristen und Selbstmordattentäter lieber als „Märtyrer“ oder hält das Wort „Terror“ vor allem für „eine „Frage der Definition“. Und: „Mein Sechs-Tage-Krieg war für ihn der Krieg von 1967“. Sie möchte dann ein Buch über ihn und sein Leben in Ost-Jerusalem schreiben, sie treffen sich erst in Tel Aviv, später in Jerusalem, und er kommt zudem auf die Idee eines gemeinsamen Filmprojekts. Nur ist eine kontinuierliche Zusammenarbeit oder allein das Knüpfen freundschaftlicher Bande schwer zu bewerkstelligen, aus unterschiedlichsten Gründen: Er steht unter Kollaborationsverdacht bei seinen Leuten, fürchtet immer mal wieder um sein Leben. Sie wird von Siedlern und Orthodoxen angegangen, wenn sie mit ihm in Ost-Jerusalem unterwegs ist. Er plagt sich mit Straßensperren und Kontrollen herum, wird bei ihr zu Besuch in Tel Aviv als Klempner verkannt und hat Schuldgefühle wegen seiner Frau, die keinen israelischen Pass bekommt (Terroristinnenverdacht!) und als Ausländerin zwischen den Welten lebt. Und sie, die Schriftstellerin, Lizzie Doron, ist als Tochter einer polnischen Jüdin und Holocaustüberleben quasi von Geburt an traumatisiert, wird von Alpträumen verfolgt, erinnert sich an die Nasser-Worte aus den sechziger Jahren: „Wir treiben sie alle ins Meer, wir werden alle Juden ertränken!“, ärgert sich darüber, dass er Yad Vashem nie im Leben besuchen würde, trauert um ihre beste Freundin, die in Jerusalem Opfer eines Selbstmordattentats wurde.

Wer ist hier Opfer? Wer Täter? Wessen Leid zählt mehr? Wer leidet mehr?

Hier die Seite der Besatzer, der Israelis, dort die der Besetzten, der israelischen Staatsbürger arabisch-palästinensischer Herkunft – und zwischen beiden die Fragen: Wer ist hier Opfer? Wer Täter? Wessen Leid zählt mehr? Wer leidet mehr? Die Schriftstellerin ärgert sich zunächst, dass er den Film im Verlauf ihrer Treffen dazu nutzen will, vor allem seine Geschichte zu erzählen, doch sie lässt ihn irgendwann. Man hat den Eindruck, ihr Verständnis, ihre Bereitschaft zum Frieden dominiert irgendwann ihren Ärger, ihren Opfer-Egoismus, und am Ende wird aus dem Film sowieso nichts.

Was bleibt ist das Buch, das auf wahren Begebenheiten beruht, ihr Vorhaben, nichts als die „reine, komplizierte Wahrheit“ berichten zu wollen, „ich hatte sie gewissenhaft aufgeschrieben, Buchstabe um Buchstabe, Wort um Wort, wie man eine Zeugenaussage aufnimmt.“

Auf seine Bitte hin, weil er stets „wie ein Chamäleon die Farbe wechseln“ muss, macht Doron aus ursprünglich geplanten dokumentarischen Text einen fiktiven, zumindest so weit es ihn betrifft, und fragt sich einmal: „Was würde ich jetzt schreiben: Erzählungen? Poesie?“

Es ist ein Zwischending geworden: keine große Literatur, nichts, was sich mit Büchern von Amos Oz, David Grossmann oder auch Sayed Kashua vergleichen ließe. Aber doch eine Geschichte, die aufgeschrieben werden musste, die viel und sehr genau von einem Land und seinen Bewohnern erzählt, das vermutlich nie zur Ruhe kommen wird.

Lizzie Doron:  Who the Fuck Is Kafka. Roman. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. dtv Premium, München 2015. 256 Seiten, 14, 90 €.

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