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Plenzdorf

© ddp

Ulrich Plenzdorf: Schwebende Legenden vom Glück

Das Recht auf Eigensinn: Zum Tod des Schriftstellers, Dramatikers und Drehbuchautors Ulrich Plenzdorf, der am Donnerstag im Alter von 72 Jahren nach langer Krankheit gestorben ist.

Wenn er gefeiert werden sollte, blieb Ulrich Plenzdorf zurückhaltend, wortkarg, fast scheu. So auch bei der Vorstellung einer Publikation über sein Werk in der Berliner Akademie der Künste, anlässlich seines 70. Geburtstags im Oktober 2004. Zu den Lautstarken hat er nie gehört. Der nachdenkliche Schriftsteller und Drehbuchautor ließ sich nicht gern aus seinem poetischen Reich vertreiben, er verteidigte es lieber mit Überlegenheit und Ironie. Denn gerade den fest abgesteckten Lebensräumen des real existierenden Sozialismus in der DDR versuchte er sich in seinen Texten konsequent zu entziehen.

Seine Helden schickte Ulrich Plenzdorf nicht in den vorgeschriebenen Alltag, sondern in eine andere, luftige, gleichsam gesetzlose Welt. Eine Welt ohne Fremdbestimmung, in der er sich selber wohlfühlte und in der trotzige Individuen sich auf die Suche nach dem Glück abseits der Normen machen. Seine Helden, sie hießen Karla, Edgar Wibeau oder Paul und Paula. Sie alle taugten zur Kultfigur, trafen sie doch den Nerv ihrer Zeit.

Und das, obwohl sie sich aus den Zeitläuften davonstahlen. Ob in seinem Aussteiger-Theaterstück „Die neuen Leiden des jungen W.“, ob in Heiner Carows legendärer „Legende von Paul und Paula“: Wirklichkeit transformierte Plenzdorf in das Märchen, den Traum. Nicht die unwiderrufliche Abkehr vom Sozialismus stand im frühen Werk zur Debatte, sondern die schöpferische Freiheit des Einzelnen, die in einem „anderen“ Sozialismus möglich sein müsste. Gruppen, Kollektive interessierten ihn nicht; erst die Abkehr vom organisierten Zusammenhalt machte für Plenzdorf die Selbstständigkeit, das unverrückbar Eigene des Menschen aus. So hob er mit stolzer, heißer Sehnsucht nach dem großen, anderen Leben hob er in seinen Dichtungen die Realität aus den Angeln.

Auch an den Formenkanon hielt er sich nicht. Plenzdorfs Texte ignorieren die Grenzen zwischen Theater, Film und epischer Erzählung, sie siedeln im freien, assoziationsträchtigen Raum, im verzauberten Alltag der Möglichkeiten. 1972, als Plenzdorfs Drehbuchentwurf „Die neuen Leiden des jungen W.“ in Halle unter der Regie von Horst Schönemann auf die Bühne kam, war das wie eine Befreiung. Wibeau, der Held, stand für eine ganze Generation junger Leute, die ins Leben wollten – aber nicht in das vorgegebene Leben. Plötzlich hatten die Heranwachsenden ein Vorbild für die flapsige, tapfere, folgenreiche Befragung einer Welt der Vorschriften. Die einzigartige Wirkung dieses Texts weit über die DDR hinaus hat ihre Ursache nicht allein im schnoddrigen Sprachstil oder dem meisterhaften, humorvoll gelösten Umgang mit dem Klassiker Goethe. Sie beruhte vielmehr auf der Art, mit der Plenzdorf dem Zuschauer einen freien Umgang mit dem poetischen Material ermöglichte.

Denn Plenzdorfs Texte, auch dieser erste, sind „schwebend“, nicht zwingend und unausweichlich auf Figuren und Vorgänge fixiert. Sie lassen Raum für eigene Vorstellungen, für den Dialog mit den Helden. Kaum einer ist so offen mit der Erzählung von Liebe und Tod umgegangen wie Plenzdorf. Seine große Liebesgeschichte mit Winfried Glatzeder und Angelica Domröse als Paul und Paula hat ihn seit der Kinopremiere 1973 nicht wieder losgelassen, er erzählte sie auch als Roman und für das Theater. Glückssuche, die alle Schranken niederreißt, Jubel über eine bedingungslose Liebe, Verwandlung von gesellschaftlicher Tristesse in individuellen Reichtum – das hat es so himmelstürmend im deutschen Film nicht wieder gegeben.

Im Theaterstück „Legende vom Glück ohne Ende“ (Uraufführung 1983 in Schwedt, Regie: Freya Klier) kehrte Paula noch einmal wieder – als Täuschung, als Klon, oder doch wirklich? Auch das Stück lebt von der widerborstigen Entdeckungslust Plenzdorfs, der Alltägliches aus scharfsichtigen Beobachtungen zusammenzusetzen verstand, aus zugespitzter persönlicher Erfahrung. Gerade diese hintersinnige Genauigkeit hob das Wirkliche auf, machte es luftig, träumerisch – ja sogar schön. Unter der Voraussetzung allerdings, dass eine Einordnung individuellen, schöpferischen Seins in größere gesellschaftliche Zusammenhänge nicht gibt. Plenzdorf war seiner Zeit weit voraus. Erst im jungen angloamerikanischen Theater der next generation der neunziger Jahre fand sich diese Lebenshaltung wieder – in radikalisierter Form.

Im Werkverzeichnis des Ostberliner Arbeitersohns, der nach einem Marxismus-Leninismus-Studim an die Filmhochschule Babelsberg gewechselt war, finden sich Filme wie Matthias Zschoches 1965 zunächst verbotene „Karla“ (mit Jutta Hoffmann in der Titelrolle einer widerspenstigen Junglehrerin), „Liebe mit 16“, „Glück im Hinterhaus“, „Insel der Schwäne“ und etliche mehr. Hinzu kommen seine Fernseharbeiten nach der Wende wie „Der Laden“ und „Liebling Kreuzberg“, mit Manfred Krug als eigensinnigem Anwalt, sowie die Theaterstücke „Buridans Esel“, „Zeit der Wölfe“ oder „Mörderkind“. Stichworte zu einem reichen Werk. In allen Arbeiten hat Ulrich Plenzdorf für ein hindernisreiches, Um- und Abwege fröhlich in Kauf nehmendes Dasein plädiert. Er brach die schnöde Realität mit trickreicher Dialektik, mit Klugheit, Brillanz und Bosheit, die doch der Güte nicht entbehrte.

Einen wie ihn hätten wir noch lange gebraucht. Am Donnerstag ist Ulrich Plenzdorf mit 72 Jahren nach langer Krankheit in einer Klinik bei Berlin gestorben.

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