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Côte d’Azur: In Picassos vier Wänden

Reisen zu Picassos intim-grandiosen Häusern im Hinterland der Côte d’Azur: Helge Sobik hat die Reise unternommen.

Es ist schon eine Sensation. Diesen Sommer ist das sagenhafte Schloss von Vauvenargues, am Berghang über dem gleichnamigen Dörfchen, 14 Kilometer östlich von Aix-en-Provence, zum ersten Mal für Besucher geöffnet. Es ist eine der südfranzösischen Besitzungen, in denen Pablo Picasso lebte und liebte, formte und malte. Zwar war das sein Ort nur in den zwei, drei Jahren von 1959 bis 1961. Doch in das von außen trutzige Landschloss aus dem 15. Jahrhundert ließ der Großkünstler, anders als in seine sonstigen Häuser, kaum einen seiner Freunde oder ihm bekannte Fotografen mit der Kamera hinein.

Das Schloss sollte Picassos offenes, aber keineswegs öffentliches Geheimnis sein. Er malte dort seine letzte Ehefrau Jacqueline Rocque als „Jacqueline de Vauvenargues“, aber für sich lehnte er den mit dem Grundbesitz verbundenen Titel Marquis de Vauvenargues ab. Bedeutender als Picasso konnte kein Name mehr sein. Obwohl er bis zu seinem Tod 1973 in dem provenzalischen Herrenhaus Mas Notre-Dame-de-Vie bei Mougins gelebt hatte und das Schloss später nur noch als Depot für einen Teil seiner Bilder und seiner eigenen illustren Kunstsammlung nutzte, wurde er vor der Freitreppe von Vauvenargues bestattet.

Dort, hinter den Schlossmauern im wilden Garten ist dann, nach ihrem Selbstmord 1986, auch Jacqueline Rocque begraben worden, neben Picasso. Hernach wurde das Schloss von den Erben weitgehend ausgeräumt und renoviert. Nun hat es Jacquelines Tochter Catherine Hutin bis zum 27. September geöffnet. Das bietet Besuchern, die eines der raren Tickets im Hotel de Valori in Aix-en-Provence erstehen – 36, rue de Cardinal; weitere Infos: www.picasso-aix2009.fr –, die Möglichkeit, beispielsweise noch das selbst ausgemalte Badezimmer des Meisters und das Grab zu besichtigen.

Mit Vauvenargues und seinem Ausblick auf das vor allem von Paul Cézanne mehrfach gemalte Bergmassiv der Sainte-Victoire verbindet sich die berühmte Anekdote, dass Picasso seinen Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler angerufen und als Cézanne-Bewunderer gesagt habe: „Ich habe eben die Ansicht der Sainte-Victoire gekauft.“ Kahnweiler fragte, welche Version? Und Picasso antwortete: „Das Original.“

Wer nun nicht in die Provence reisen kann, hat allerdings auch als Leser und Bildbetrachter seine ferne Freude. Der prachtvoll illustrierte und von Helge Sobik knapp, kundig und populär kommentierte Band „Picassos Häuser“ gibt auf Deutsch, Französisch und Englisch, wie ein Ausstellungskatalog, reichen Einblick in Picassos private Wohn- und Arbeitswelt. Natürlich sind die Fotos von so berühmten Künstlerfreunden und Zeitgenossen wie Henri Cartier-Bresson, Lee Miller, René Burri, Edward Quinn oder Robert Doisneau für sich genommen nicht neu. Wie es ohnehin im Universum namens Picasso kaum noch eine unausgeleuchtete Galaxie zu entdecken gibt.

Trotzdem fügt das Buch des im letzten Jahr gegründeten Feymedia Verlags die einzelnen Einsichten nochmals zu einem Panorama. Picasso mit seinem Auge auch für fremde Augen mag manche Szene, obwohl er das immer bestritt, durchaus arrangiert oder gar selber inszeniert haben. Aber es gibt doch viele wunderbare Schnappschüsse. Auch so verräterische wie ein Bild vor seiner frühen Villa Galloise in Vallauris: Picasso steht da in sommerlich kurzen Hosen barfuß vor seinem geliebten Oldtimer der Marke Hispano Suiza; hinter ihm, halb Mechaniker-Domestike, halb Gefährte, sein erwachsener Sohn Paulo aus der Ehe mit Olga Koklova, der ihm vor allem als Chauffeur bei den Fahrten zum Stierkampf in der Arena von Arles diente. Dahinter dann eine Vespa und eine herumhuschende (hübsche) Frau (eine Angestellte?) – und der Hausherr hat seine eingetretenen Filzpantoffeln vor dem Wagen abgestellt. Grotesk? Vergesslich? Oder ein Zeichen einfach der fabelhaften Mischung aus Chaos und planvoller Selbstherrlichkeit, die in Picassos großen, alten Häusern herrschte.

Schön beschreibt Helge Sobik Picassos ebenso luxuriöses wie lebensnotwendiges Immobilienprinzip: „Wann immer ein Haus voll war mit allem, was er erschaffen oder bekommen hatte und aufbewahren wollte, brauchte er ein neues.“ Das war die Welt eines Künstlers, der es nicht mehr nötig hatte, wie in diesem sonst tadellosen Buch „als größter aller Zeiten“ angepriesen zu werden.

Helge Sobik: Picassos Häuser. Feymedia, Düsseldorf 2009. 272 Seiten, 95 €.

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