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Buch: „Das Erbe der Mendelssohns“: Lehrjahre im alten Europa

Der Historiker Julius Schoeps hat die Geschichte der Mendelssohns zu einer Familienbiografie zusammengefasst: "Das Erbe der Mendelssohns".

Mit dem Einzug in sein neues Domizil wähnte sich Franz von Mendelssohn in die großbürgerliche Gesellschaft aufgenommen. In seinem vom kaiserlichen Hofbaurat Ernst von Ihne erbauten Palais traf sich Anfang des 19. Jahrhunderts die wirtschaftliche, geistige und kulturelle Elite des Landes zu illustren Abendveranstaltungen. Franz war nicht der einzige, der sich im Berliner Grunewald niedergelassen hatte: Sein Bruder Robert residierte gleich nebenan. Auch hier gingen Persönlichkeiten wie Albert Einstein und Max Planck, Musiker wie Edwin Fischer und Rudolf Serkin ein und aus. Getrennt waren die Anwesen der Brüder nur durch den künstlich angelegten Herthasee.

Der Historiker Julius Schoeps hat die Geschichte der Mendelssohns zu einer Familienbiografie zusammengefasst. Wie erhellend dieses Unterfangen ist, wird deutlich, wenn er etwa beschreibt, dass Robert von Mendelssohns Ehefrau Giulietta eine ausgeprägte Abneigung gegen „Juden, Linke und Homosexuelle“ hatte. Familiäre Brisanz gewinnt dies angesichts ihres eigenen schwulen Sohns, des Cellisten und Bohemiens Francesco. Auch deshalb, weil rund 150 Jahre, nachdem sich der 14-jährige Moses Mendelssohn aus dem Dessauer Judenviertel nach Berlin aufgemacht hatte, einer seiner Nachfahren eine Antisemitin heiratete.

Verdienstvoll sind Schoeps’ Betrachtungen nicht zuletzt, weil sie mit den Frauen einen bislang oft übersehenen Teil des Clans ins Blickfeld rücken. Mit Ausnahme von Moses Mendelssohns Tochter Brendel, die später als Dorothea Schlegel aus dem vorgezeichneten Lebensweg ausbrach, und der Musikerin Fanny Mendelssohn Bartholdy spielten die Frauen der Familie in der Literatur bislang kaum eine Rolle. Lediglich Tagesspiegel-Autor Thomas Lackmann, der bereits 2005 mit „Das Glück der Mendelssohns“ eine Biografie der Familie vorgelegt hat, schenkte ihnen bislang gebührend Aufmerksamkeit. Dabei konnte, wie auch Schoeps beschreibt, mit Henriette bereits Moses Mendelssohns jüngere Tochter ihr Leben weitgehend nach eigenen Vorstellungen gestalten. In späteren Generationen waren es dann vor allem die Frauen, die den Ausbau der für die Familie so zentralen kostbaren Kunstsammlung betrieben.

Nicht nur die Stellung der Frau betreffend, vermittelt Schoeps’ Darstellung auch ein Bild der deutschen Geschichte unter besonderem Blickwinkel. Bereits die Söhne des noch mittellosen Moses Mendelssohn bauten ein Bankhaus auf, dessen rasanter Aufstieg durch besonnene Geschäftsführung nahezu allen Widrigkeiten wie Gründerkrise und Erstem Weltkrieg trotzte. Erst in der Zeit des Nationalsozialismus brach es zusammen. Da hatten sich die Mendelssohns bereits so weit voneinander entfernt, dass einige Namensträger verfolgt wurden, während andere in Hitlers Wehrmacht dienten oder gar der NSDAP beitraten. Die Erinnerung an große Nachkommen wie etwa Felix Mendelssohn Bartholdy wurde ausradiert – erst heute kehrt sie zurück.

Der Urenkel des Komponisten, der Historiker Felix Gilbert, nannte die Zeit um 1900 seine „Lehrjahre im alten Europa“. Auch die Geschichte der Mendelssohns lässt sich als solche beschreiben; teilweise waren es schmerzhafte Jahre – für die Familie selbst wie für die sie umgebende Mehrheitsgesellschaft. Die nahezu geschlossene Konversion der Mendelssohns zum Christentum ist da nur ein Aspekt unter vielen.

Das Erbe der Mendelssohns, so schreibt Schoeps bereits zu Beginn des Buchs, ist ein zweigeteiltes. Einerseits hatte es zeitweilig riesige wirtschaftliche Ausmaße. Um diesen Teil fühlen sich die Erben bis heute teilweise betrogen. Wie wichtig dies dem Autor ist, lassen seine detaillierten Beschreibungen von enteigneten und zwangsverkauften Anwesen und Gemälden erkennen. Hier schreibt der Mendelssohn-Nachfahre Julius Schoeps als engagierter Anwalt in eigener Sache. Der andere Teil des Erbes umfasst Werte wie Toleranz und Verantwortung für Kunst und Wissenschaft. Er wirkt bis heute fort.

- Julius H. Schoeps: Das Erbe der Mendelssohns. Biographie einer Familie, S. Fischer, Frankfurt/M. 2009. 496 Seiten, 29,95 Euro

Moritz Reininghaus

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