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Wanderer zwischen den Welten. Patrick Leigh Fermor (1915 - 2011).

© AP / dapd

Literatur: Der Mann von der Mani

Er war das Vorbild für Bruce Chatwin und so viele andere: Über den großen Reiseschriftsteller Patrick Leigh Fermor und seine besondere Liebe zu Griechenland.

Der Mann saß an der Hauptstraße von Kardamili vor seiner Konditorei, und als ich vom Motorroller stieg und ihn nach Patrick Leigh Fermor fragte, schaute er mit gelangweilter Ratlosigkeit.

„Ein englischer Schriftsteller. Er lebt hier, schon seit langer Zeit.“

„Hier gibt’s keine Schriftsteller. Nur Touristen. Und uns.“ Dann erhellte sich sein Gesicht. „Ah. Der Schriftsteller! Der wohnt in der Bucht hinter dem Dorf. Aber er will niemanden sehen.“

„Wo wohnt er genau?“

Er schüttelte den Kopf. „Er will niemanden sehen. Er ist alt. Über neunzig.“ Und als wäre das eine Erklärung für alles, fügte er hinzu: „Seine Frau ist gestorben.“

Ich fand die Bucht und den Sandweg, der zum Wasser hinunterführt, nur Fermors legendäres Haus, von dem der englische Dichter John Betjeman einmal sagte, „es sei einer der Räume der Welt“, fand ich nicht. Es musste auf dem Hügel in der Mitte der Bucht stehen, verdeckt von dicht wachsenden Zypressen, die es von den Zumutungen der Gegenwart abschirmten. Die Häuser, die sich sonst den Hang hinaufzogen, befanden sich im Rohbau und wirkten, als hätten die Bauarbeiter die Arbeit von einem auf den anderen Moment niedergelegt. Keine kühlende Brise vom messenischen Meer, auch keine kreisenden Adler am wolkenlosen Himmel, die Bruce Chatwin noch erspähte, als er hierher pilgerte, um Patrick Leigh Fermor wie einem Guru die Aufwartung zu machen. Plötzlich änderte ich meine Meinung. Ich wollte den alten Herrn nicht stören und kehrte um.

Das war im Mai 2010, und meine Mutlosigkeit bedauere ich noch immer. Ein Jahr später, am 10. Juni 2011, starb Sir Patrick Leigh Fermor, 96 Jahre alt, und die Nachrufe feierten ihn als größten Reiseschriftsteller des 20. Jahrhunderts, als letzten Byzantiner, als mutigen Untergrundkämpfer während des Zweiten Weltkriegs, als Meister der Langsamkeit, der noch vor dem Krieg Europa durchwandert hatte und später die ganze Welt bereiste – und dessen große Liebe immer Griechenland galt.

In Kardamili auf der Peloponnes am nördlichen Rand der Halbinsel Mani lebte er mit seiner Frau, der Fotografin Joan Elisabeth Rayner. Über Griechenland schrieb er schon in den fünfziger und sechziger Jahren zwei seiner schönsten Bücher, „Mani“ und „Rumeli“, vom Dörlemann-Verlag gerade in einer neuen Übersetzung von Manfred Allié und Gabriele Kempf Allié herausgegeben. Was suchte Patrick Leigh Fermor, 1915 in London als Sohn eines britischen Kolonialbeamten geboren, was fand er hier?

Griechenland war für Fermor, um den Titel eines seiner Hauptwerke aufzugreifen, so etwas wie ein „Land der Gaben“, eine Betrachtungsweise, die der verbreiteten heutigen Meinung, nach der Griechenland mehr nimmt als gibt, rührend entgegensteht. Kardamili erschien ihm wie ein „elysisches Randgebiet“, in dem „Homer zufolge das Leben für die Menschen am angenehmsten ist; wo kein Schnee fällt, kein Regen, wo kein starker Wind geht außer dem melodischen Westwind“.

Das war 1952, wenige Jahre nach Krieg und deutscher Besatzung, wenige Jahre auch nachdem der blutige griechische Bürgerkrieg zum Ende gekommen war und in der Stille nach der Zerstörung die Kraft der Landschaft umso überwältigender gewirkt haben muss. Kurze Zeit später gehörte die Idylle schon wieder der Vergangenheit an. „Mani. Reise ins unentdeckte Griechenland“ erschien 1958, und da hatte der Tourismus schon „seine düsteren Flügel weithin“ ausgebreitet.

Trotz der Veränderungen: Patrick Leigh Fermor kehrte in den sechziger Jahren nach Kardamili zurück, ließ sich ein Haus mit Wandelgängen, Hof und Terrassen und einem Studio bauen, in dem er darauf in mönchischer Langsamkeit an seinem Lebenswerk schrieb, dem Bericht von einer einjährigen Wanderung von Holland nach Istanbul, die er 1933 als Achtzehnjähriger unternommen hatte. Der erste Teil dieser ungeheuerlichen Reise, „Zeit der Gaben“, erschien 1977 und machte ihn berühmt und zum Vorbild für Bruce Chatwin und Paul Theroux – nicht nur wegen seines kristallinen Stils und der Eleganz, mit der Fermor erzählende Passagen mit kulturhistorischen Kommentaren verflicht, sondern auch wegen des nomadischen Lebensgefühls, das seine Beschreibungen spüren lassen. Neun Jahre später erschien der zweite Teil „Zwischen Wäldern und Wasser“, an die Veröffentlichung des dritten Teils glaubte schon kaum einer mehr. Die englischsprachige Ausgabe ist nun für 2013 geplant.

In „Zeit der Gaben“ erzählt er auch von seiner Kindheit und wie es zum Aufbruch kam: Während des Ersten Weltkriegs ging die Familie nach Indien, wo der Vater in Diensten der Kolonialregierung arbeitete. Damit wenigstens ein Kind überlebte, sollte das Schiff versenkt werden, ließen sie den kleinen Paddy zurück. Er wuchs bei Bauern auf. Mit der Folge, dass er, als Mutter und Schwester zurückkehrten, zum „kleinen Wilden“ geworden war, außerstande, das „kleinste bisschen Enge zu vertragen“.

Die Schulzeit verlief desaströs. Im Alter von zehn wurde er zwei Psychiatern vorgeführt, der eine hatte schon Virginia Woolf behandelt, der andere empfahl eine Reformschule für Schwererziehbare. Nach diversen Schulwechseln und Verweisen beschloss Fermor schließlich, eine militärische Karriere einzuschlagen, doch während er sich auf die Akademie vorbereitete, übermannte ihn wieder der Fluchtimpuls. In dem Jahr, in dem Hitler an die Macht kam, durchstreifte er Wälder und verschneite Städte, übernachtete in Scheunen, ärmlichen Hospizen, wurde auf Schlösser eingeladen und in die Salons der guten Gesellschaft eingeführt. Er sieht und erlebt noch einmal das alte Europa, die Welt des 19. Jahrhunderts, die wenige Jahre später „in Schutt und Asche versinkt“.

Auch wenn seine Wanderung um Griechenland herumführte, so war Griechenland doch Auslöser und Fluchtpunkt, wie er Wolfgang Büscher einmal erzählte: „Ich las Robert Byrons Buch ,The Station’ über den Berg Athos und das Byzantinische Reich und beschloss dorthin zu gehen, jetzt gleich, zu Fuß.“ Von Istanbul, das er konsequent Konstantinopel nannte, ging es auf den Athos, wo er von den Mönchen Griechisch lernte, von dort durchstreifte er den Norden des Landes, von dem „Rumeli“ erzählt, verliebte sich in Athen in eine rumänische Prinzessin, der er auf ihren Familiensitz nach Nordrumänien folgte, wo ihn schließlich die Nachricht vom Ausbruch des Krieges erreichte. Er meldete sich freiwillig und wurde wegen seiner Griechischkenntnisse von den Briten auf der von der Wehrmacht besetzten Insel Kreta eingesetzt, wo er die Partisanen im Kampf gegen die Deutschen unterstützen sollte, als Agent der Special Operations Executive.

In einer halsbrecherischen Aktion entführte er den deutschen Befehlshaber von Kreta, General Kreipe. Mit einem Kameraden lauerte er in gestohlenen Wehrmachtsuniformen dem Wagen auf dem Weg nach Knossos auf, überwältigte General und Fahrer, zog Kreipes Mütze tief ins Gesicht, nahm auf dem Beifahrersitz Platz und schrie bei jeder Straßensperre „Generalswagen!“ So passierten sie ungehindert 22 Kontrollposten. Die Geschichte wurde später in Hollywood mit Dirk Bogarde verfilmt und machte ihn in Griechenland zum Helden. Patrick Leigh Fermor wurde Schriftsteller. Er reiste in die Karibik, veröffentlichte sein erstes Buch „Der Baum des Reisenden“, pilgerte durch Klöster Europas, worüber er den wunderbaren Band „Reise in die Stille“ schrieb.

In „Mani“, das von der kargsten und lange Zeit rückständigsten Gegend Griechenlands erzählt, versenkt er sich in die komplizierten Vergeltungs- und Befriedungsrituale der Blutrache. Zu den schönsten Passagen gehört sein Besuch einer Höhle, die seit Jahrhunderten als Tor des Hades gilt. Er näherte sich dem Ort auf einem Boot, sprang ins Wasser und schwamm zum Höhleneingang hinüber, und es hatte den „Anschein, als schwimme ein Eindringling, der (...) in die kühle Tiefe hinabtaucht, mitten im Herzen eines riesigen Saphirs.“

Dass sich Fermor für seine Tauchgänge vor allem Griechenland ausgesucht hat, mag aber noch einen anderen Grund haben. Er war durch einen tragischen Unfall selbst Teil der alten Welt geworden. Während des Krieges hatte er beim Putzen des Gewehres aus Versehen dem Partisanen Yannis Tzangarakis ins Bein geschossen. Der Freund starb an seinen Verletzungen, und obwohl er ihm vor seinem Tod verziehen haben soll, drohte die Blutrache. Um diese zu verhindern, musste Fermor der Opferfamilie beitreten, indem er der Pate der Nichte des Getöteten wurde.

Es spricht vieles dafür, dass Patrick Leigh Fermor sich auch wegen dieser Schuld und der daraus folgenden tiefen Verbundenheit mit den archaischen Aspekten des Landes zeitlebens scheute, Kritik an der griechischen Politik zu üben. Zur Herrschaft des Militärs schrieb er kein einziges öffentliches Wort. Die schicksalhafte Verbundenheit hinderte ihn allerdings nicht daran, den großen Zwiespalt, den er in jedem Griechen rumoren sah, das Dilemma zwischen byzantinischer, so genannter rhomäischer Herkunft und einer übersteigerten Identifikation mit der Antike satirisch auszubreiten. In „Rumeli“ stellt er die zwei Aspekte des griechischen Charakters in einer Liste einander gegenüber. Unter 24. heißt es da: „Rhomäisch: Gerissenheit, behindert durch (a) Leichtgläubigkeit und (b) unbegründetes Misstrauen. Hellenisch: Klugheit und Umsicht ...“. Doch selbst diese Überzeichnung schien ihm schon ein Bauchgrimmen verursacht zu haben, denn der rhomäische Grieche, der ihm immer der liebere war, hat einen „stark ausgeprägten Sinn für Kränkungen“.

So schließt das Buch mit einer anderen Liste, einem poetischen Gesang der „Laute der griechischen Welt“, der das Land so beschreibt, wie Fermor es immer gesehen hat: als Stein gewordene Dichtung, in der sich die Meteorafelsen zum Beispiel himmelwärts schrauben „wie eine byzantinische Litanei“.

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