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Poetische Raumerfahrung der in Berlin lebenden Künstlerin Jeongmoon Choi.

© Dave Großmann

Lineare Skulpturen in drei Berliner Ausstellungen: Avatarträume

Was passiert, wenn sich die Linie vom Papier wegbewegt und den Raum ergreift? Damit beschäftigen sich drei Berliner Galerien unter dem Motto „Umreißen – verdichten – spuren“.

Nachtschwarz ist der Raum. Nur die Fäden leuchten, von UV-Schwarzlicht zum Schimmern gebracht. Als dünne Lichtspuren zeichnen sie Linien zwischen Decke und Boden, wie mit dem Lineal gezogen. Sie öffnen Durchgänge und überlagern sich als helle Strahlencluster. Es ist, als bewege man sich im virtuellen Raum einer 3-D-Computerzeichnung, als selbst navigierender Avatar. Eine merkwürdige, technoid und zugleich poetisch anmutende Raumerfahrung hat die in Berlin lebende Künstlerin Jeongmoon Choi erschaffen. Wer die Galerie Parterre in Pankow kennt, dürfte sich die Augen reiben: Solche Formen aktueller Installationskunst sieht man dort selten.

Jede Linie ist die Spur einer Bewegung. Sie zeichnet einen Gedanken nach, umreißt eine Form. Ihr Spielfeld ist klassischerweise ein Blatt Papier. Aber was, wenn die Linie in den Raum greift? Sich Sphären erobert, die sonst der Skulptur vorbehalten sind? Die Malerin Claudia Busching und die Bildhauerin Pomona Zipser wechseln mit ihrer dreiteiligen Ausstellungsreihe „In den Raum zeichnen“ ins kuratorische Fach. Gleich drei Kommunale Galerien haben sie als Kooperationspartner ins Boot geholt, um über 25 Künstler vorstellen zu können. „Umreißen – verdichten – spuren“ nennen sie ihre drei Stationen.

Skulptur braucht kein Volumen

Kathleen Krenzlin, Leiterin der Galerie Parterre, die den Auftakt macht, schlug vor, auch eine ältere Position einzubeziehen. Zwei kleine Metallarbeiten von Norbert Kricke aus den siebziger Jahren fungieren nun quasi als konstruktivistisches Gravitationszentrum. Dass Skulptur kein Volumen braucht, sondern die Leere formen kann, stellen sie mit Leichtigkeit unter Beweis. Das abstrakte Lichtstrahlenballett der Videokünstlerin Betina Kuntzsch hingegen lässt an Avantgardefilmexperimente der zwanziger Jahre denken. Christoph M. Gais knotet und flicht dünne Zweige zu filigranen Gebilden. Trotz ihrer arabeskenhaften Leichtigkeit ruhen sie in sich, wie schwebend. Handfester treten die Arbeiten Monika Brandmeiers auf. Ihre zweiteilige Skulptur „Bitte Danke“ von 2009 stellt sich als sperriges Gestänge in den Raum. Die fußballtorgroße Rechteckform gleicht einem leeren Bilderrahmen. Schon geht der Dialog der abstrakten Akteure los. Stehen, Liegen, Hängen und Stützen: Brandmeiers Arbeiten artikulieren grundlegende Erfahrungen der Realität. Ein Schriftband verkündet: „In daylight black socks turn out blue.“ Die Dingwelt steckt eben voller Unwägbarkeiten.

Die nächsten Stationen des Projektes sind der Kunstverein Tiergarten (ab 20. Mai) und das Haus am Kleistpark (ab 16. Juni). Wieder wird es darum gehen, sogar in einer geometrischen Linie so etwas wie Poesie zu entdecken. Das ist eine Erfahrung wert.

Galerie Parterre, Danziger Straße 101, bis 18.6., Mi. bis So. 13–21, Do. 10–22 Uhr. Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten, 20.5. bis 24.6., Haus am Kleistpark, 16.6. bis 13.8. Ein Katalog erscheint am 12. Juli.

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