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Hochtief. Blick in die Sibylle-Bergemann-Retrospektive in den Reinbeckhallen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Kunstquartier in Oberschöneweide: Heimkehren heißt anfangen

Oberschöneweide hat ein neues Kunstquartier: Die Reinbeckhallen eröffnen mit einer Schau der Fotografin Sibylle Bergemann.

Bei Bryan Adams pinselt ein Maler den neuen Betonvorbau an der alten Spreehalle an. Und bei Olafur Eliasson steht ein kleiner Bagger in der Betonhalle mit den leeren Fensterhöhlen und wühlt sich lärmend in den Grund. Sein großer Bruder kommt mit drohend aufgestellter Schaufel aus der Gasse gefahren, an deren Ende die zukünftigen Studios von Jorinde Voigt liegen. Hämmern, Klopfen, Bohren. Vor dem Café Oberschöneweide, das im ehemaligen Pförtnerhaus der alten Transformatorenfabrik residiert, blinzeln am Freitagmorgen ein paar Studenten aus dem benachbarten Wohnheim in die Sonne, die Kaffeetöpfe fest im Anschlag. Der Staub des Aufbruchs wirbelt in der Luft. Endlich. Fast hätte man gar nicht mehr daran geglaubt.

Dass sich der kanadische Rocksänger Adams vor vier Jahren auf dem sogenannten Schauhallenareal zwischen Reinbeckstraße und Spree eingekauft hat, ist bekannt. Dass nun aber auch der dänisch-isländische Künstler Eliasson das Atelier am Pfefferberg um einen Ableger in Oberschöneweide erweitert und sich nur ein paar Meter entfernt auch die international gefragte Wahlberlinerin Voigt in lichten Studios mit Wasserblick ansiedelt, stärkt den Glamourfaktor der Reinbeckhallen.

Triple-Ausstellung zum Gallery Weekend

Dessen öffentliche Auferstehung als Kunstquartier beginnt in wenigen Stunden. Dann eröffnet Oberschöneweides erste offiziell gewidmete Veranstaltungshalle. Eigentümer Sven Herrmann und die Galerien Loock (Potsdamer Straße) und Kicken (Linienstraße) haben ihre Triple-Ausstellung mit Bedacht aufs Gallery Weekend gelegt.

Bagger in Warteposition. Die Reinbeckhallen von außen.
Bagger in Warteposition. Die Reinbeckhallen von außen.

© Doris Spiekermann-Klaas

In einer umfassenden Schau zeigen sie das Werk der 2010 verstorbenen Fotografin und Ostkreuz-Mitgründerin Sibylle Bergemann. In der eindrucksvollen Retrospektive in den Reinbeckhallen sind allein 120 Fotografien zu sehen, darunter berühmte frühe Serien aus dem DDR-Alltag wie „Das Denkmal“ (1975 – 1986) über die Entstehung des Marx-Engels-Denkmals oder „Clärchens Ballhaus“. Parallel dazu läuft nebenan auch schon das sonst immer erst im Juli von einer örtlichen Künstlerinitiative veranstaltete Festival „Kunst am Spreeknie“.

Tusch! Dies ist ein glücklicher Tag, ein glückliches Wochenende für die alte AEG-Elektropolis entlang der Wilhelminenhofstraße, die trotz Oberschöneweide-kommt-Parolen und der überall spürbaren Präsenz von 9000 Studierenden der auf dem alten Gelände der Kabelwerke Oberspree ansässigen Hochschule für Technik und Wirtschaft immer noch von blinden Fensterscheiben geprägt ist. Den nach der Wende weggebrochenen 25000 Arbeitsplätzen im größten zusammenhängenden denkmalgeschützten Industrieareal Europas stehen laut Regionalmanagement bislang gerade mal 3000 der angestrebten 10000 neu geschaffenen Jobs gegenüber. Und natürlich die 400 Künstler, die die runtergerockten Hallen als einst billigen, aber inzwischen stark im Preis anziehenden Arbeitsraum bevölkert haben.

Der Gentrifizierungsdruck steigt

Wie prägend sie für die künstlerische Infrastruktur sind, zeigt sich auf einer Tour mit Thomas Niemeyer durch Ateliers und Coworking-Spaces. Er ist Leiter des Regionalmanagements Schöneweide und Initiator des „Masterplans Kunst“, für den sich der Bezirk Treptow-Köpenick demnächst die tatkräftige Unterstützung von Kultursenator Lederer sichern will. Ziel ist es, Ateliers und Ausstellungsräume zu erschließen und bei steigendem Gentrifizierungsdruck langfristig für Kultur und Kreativwirtschaft zu sichern. Dass ein Viertel der denkmalgeschützten Bausubstanz in den letzten zwei Jahren den Besitzer gewechselt hat, wertet Niemeyer als gutes Zeichen für die aktive Gebäudeentwicklung. Wer jetzt noch kaufe, zahle zu viel, um Hallen leer stehen zu lassen. Wie Letzteres nach spekulativ orientierter alter Investorensitte geht, lässt sich in Teilen der Rathenauhallen besichtigen.

Alte Elektropolis. In die Betonhalle rechts zieht Olafur Eliasson, die Spreehalle dahinter baut Bryan Adams aus, ein Stück dahinter beginnen die Rathenauhallen. Die vierschiffigen Reinbeckhallen liegen neben dem Platz am Kaisersteg, wo Schiffe anlegen.
Alte Elektropolis. In die Betonhalle rechts zieht Olafur Eliasson, die Spreehalle dahinter baut Bryan Adams aus, ein Stück dahinter beginnen die Rathenauhallen. Die vierschiffigen Reinbeckhallen liegen neben dem Platz am Kaisersteg, wo Schiffe anlegen.

© Foto Hagemann/Reinbeckhallen

Im ehemaligen Umspannwerk Oberspree hat Ziseleurmeister Thorsten Knaak 2013 in zwei kleinen Hallen eine Skulpturengießerei eröffnet. Wobei die Bezeichnung „klein“ in dieser vom Stolz der Gründerzeit kündenden Backsteinherrlichkeit eine atemberaubende Deckenhöhe von 15 Metern beschreibt. Inzwischen hat er elf feste und einige freie Mitarbeiter, einen Kundenstamm klingender Namen und den Hof voller Bronzeplastiken.

Einen Skulpturengarten will am anderen Ende der Wilhelminenhofstraße auch Alexander Schipper eröffnen – vor dem im ehemaligen Bleilager einer Batterienfabrik angesiedelten städtischen Atelierhaus BAE. Schipper ist ein Fotograf, der beispielsweise im Auftrag der Staatsoper deren Sanierung dokumentiert. Zusammen mit seinem Verein „Photography Unlimited Berlin“ ist er dabei, eine 15 Arbeitsplätze umfassende Anlaufstelle für künstlerische Fotografie zu etablieren. Er investiert in teure, von allen gemeinschaftlich zu nutzende Spezialgeräte, die die für Museen und Galerien nötigen Druckqualitäten erzielen. Ein Enthusiast, der, so scheint es, auch noch gut rechnen kann.

Sven Herrmann hat das Areal 2004 gekauft

So wirkt auch Sven Herrmann, der Herr der Reinbeckhallen. Der trägt zwar keine Jeans, sondern Anzug und bewegt noch ganz andere Investitionssummen, doch ohne ihn hätten vor Jahren die vom Bezirk schon so gut wie bestellten Abrissbagger längst das marode Schauhallenareal plattgemacht. Da sind doch die Bagger des Aufbaus auf dem durch sein Engagement entstandenen Kunstquartier gleich viel schöner anzusehen. Schon kommt der graumelierte Rechtsanwalt über den Hof geeilt. Mit ein paar Handzeichen erklärt er, dass die Zäune, die das Gelände vom zentralen Platz am Kaisersteg trennen, nach den Bauarbeiten abgebaut werden, und führt an Baustoffen vorbei ins Büro im ersten Stock. Dienstag erst hat er es bezogen. Es ist ein Kreis, der sich schließt. Herrmann ist jenseits der Spree in Niederschöneweide aufgewachsen. Da habe er als Jugendlicher immer weggewollt, sagt er. Und nun säße er fast 40 Jahre später wieder hier. So kommt es, wenn einer, den Freunde als „Philanthropen“ und „Glücksfall für Oberschöneweide“ und Feinde als „windigen Investor“ und „Stasi-IM“ bezeichnen, was er auch tatsächlich war, ein lange leer bleibendes Versprechen doch erfüllt.

Herr der Hallen. Sven Herrmann hat das Schauhallenareal 2004 gekauft. Rechts das Foto "Straßenbahn" von Sibylle Bergemann.
Herr der Hallen. Sven Herrmann hat das Schauhallenareal 2004 gekauft. Rechts das Foto "Straßenbahn" von Sibylle Bergemann.

© Doris Spiekermann-Klaas

2004 kaufte Herrmann zusammen mit einem Galeristen das Schauhallenareal und entwickelte hoch fliegende Pläne, die in einen Architekturwettbewerb und die verbesserte städtische Anbindung durch den Fußgängersteg und den Schiffsanleger mündeten. Nur hatte er sich mit der millionenschweren Finanzierung durch Sponsoren arg verhoben. Und auch der als Zugnummer freudig erwartete Ai Weiwei blieb 2011 weg, weil er nicht aus China ausreisen durfte. In jedem Jahr klang die tönende gemeinsame Vision, die der Künstler Leo Königsberg in großen Lettern an die Stirnseite der Reinbeckhallen geschrieben hatte, ein wenig hohler: „Gib der Kunst Raum, dann wird sich die Schönheit ihrer Seele in Freiheit erfüllen.“ Und nun ist sie, dank Herrmanns Hartnäckigkeit und begünstigt von der zeitversetzt stattfindenden, rasanten Entwicklung der wiedervereinten Stadt eingetreten. Wo es in den 2000er Jahren noch oberschweineöde war, wollen jetzt alle hin. Die zerzauste Skyline sieht vom Kaisersteg aus betrachtet aber auch erhebend berlinisch aus: gelb leuchtender Backstein durchsetzt mit grauer Betonplatte am Silberband der Spree.

Die Fotografin Sibylle Bergemann hat hier schon Anfang der siebziger Jahre die industrielle Aura eingefangen. In Arbeiterporträts der Kabelwerke Oberspree und einer „Straßenbahn“ betitelten atmosphärischen Alltagsszene hektisch verwischter Passanten. Auch das ist eine Art Heimkehr. Mit der in Schöneweide entstandenen Fotografie, Bergemanns erstem „Menschenbild“, habe das Werk der berühmten Großmutter angefangen, erzählt Nachlassverwalterin Lily von Wild. Es hängt gleich am Eingang der Retrospektive als Fototapete in der lichten Halle. Die ist mit knapp 80 Metern Länge so fantastisch und furchterregend groß, dass nur eine Künstlerin wie Bergemann darin mit ihrem Werk bestehen kann. Ja, wenn sich hier nicht die Seele der Kunst in Freiheit erfüllt, wo dann?

Reinbeckhallen, Reinbeckstraße 9/10, Oberschöneweide, bis 30. Juli, Fr, Sa 14-18 Uhr, So/Feiertag 11-18 Uhr; Kunst am Spreeknie, bis 7. Mai, Reinbeckhallen und andere Orte, Infos: www.kunstamspreeknie.org

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