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Aufgeblasen. Die südkoreanische Künstlerin Anicka Yi ist mit ihrer monumentalen Arbeit „47 Canal“ auf der Art Basel vertreten.

© Metro Pictures / Art Basel

Kunstmesse Art Basel: Aus dem Augenblick

Ungewöhnlich starke Verkäufe: Die Kunstmesse Art Basel ist am Sonntag zu Ende gegangen - und setzt lieber auf Umsätze als auf künstlerische Überraschungen.

Das Fazit vorneweg: Wer Überraschungen sucht, reist besser nach Kassel zur Documenta. Obwohl es natürlich im Grunde kein bisschen überraschend war, dass der als sperrig geltende Documenta-Kurator Adam Szymczyk ganz überwiegend Künstler aus dem Hut zauberte, von denen kaum einer je gehört hatte, aus Orten fern des Kunstbetriebs. Die Struffskys auf der Documenta, das wäre eine Überraschung gewesen.

Auf der Art Basel 2017 begegnet man den Fotografien der Düsseldorfer Becher-Schüler selbstredend auf Schritt und Tritt, bei etlichen Galerien. Zum Beispiel Andreas Gursky bei Sprüth Magers mit der Arbeit „Les Mées“ von 2016 für 700 000 Euro. Oder Thomas Struth bei Max Hetzler: Die Aufnahme „Igreja Matriz de Nossa Senhora Do Pilar, Ouro Preto 2004“ kostet hier 175 000 Euro, wie in den Jahren zuvor. Oder vielleicht doch etwas mehr, denn das Frankfurter Städel bereitet Struth derzeit eine prestigeträchtige Bühne. Solche Koinzidenzen sind nicht überraschend und nicht zufällig. Der Documenta-Künstler mit der bislang größten Medienpräsenz dürfte der in Berlin lebende Daniel Knorr sein: mit seinen besorgte Bürger auf den Plan rufenden Rauchzeichen über Kassel, seinen Künstlerbüchern aus Athener Straßenmüll. Die Galerie Meyer Riegger und die Wiener Galerie Nächst St. Stephan haben kunterbunt pigmentierte Polyurethanabgüsse von Straßenpflaster („Depression Elevations“) mitgebracht, wie Knorr sie anlässlich seines Athen-Aufenthalts dort angefertigt hat. Dort und in der Berliner Brunnenstraße. Da liegt die Metapher auf der Hand: Knorr fährt ein bisschen zweigleisig. Szymczyk stellt er mit Sperrigem zufrieden, für die Art Basel produziert er lieber ebenso wunderschöne wie dekorative Flachware für übers Sofa.

Ja, die Art Basel ist eine Messe, ist kommerziell. Das ist ihre Natur. Ein von Hauser & Wirth für 15 Millionen Dollar verkauftes Gemälde von Philip Guston schon am ersten Tag. Guido W. Baudach aus Berlin findet, mit seinen fünfstelligen Preisen sei er für die Art Basel eigentlich viel zu billig. Und bei Standmieten von 790 Franken pro Quadratmeter kann es nicht überraschen, dass sich die meisten der insgesamt 291 teilnehmenden Galerien Konrad Adenauers Appell „Keine Experimente!“ zu Herzen nehmen und anstelle einer kuratierten (Einzel-)Ausstellung lieber alles hinhängen, was das Künstlerportfolio zu bieten hat.

Kunst oder innovatives Stadtmarketing

Schöne Ausnahmen gibt es, aus Berlin zumal, als da wäre: Aurel Scheibler zeigt in der Sektion „Feature“ ausschließlich Ernst Wilhelm Nays „Augenbilder“. Und Micky Schubert, zum zweiten Mal in Folge in der Sektion „Statements" für junge Künstler und Galerien, wartet mit einer assoziativ-komplexen Installation aus Video, Fotos und Metallstruktur der 1987 geborenen Sung Tieu auf, die, unter anderem, Spätfolgen des Napalm-Bombardements für die vietnamesische Umwelt mit der in Südostasien verbreiteten Praxis der kosmetischen Hautaufhellung kurzschließt (ab 4000 Euro, die gesamte Installation kostet 35 000 Euro).

Die Bereiche „Unlimited“ und „Parcours“ sind auf der Art Basel feste Einrichtungen. Und während die Zahl der „Unlimited“-Künstler von zuletzt 88 auf aktuell 76 gesenkt wurde – was die Großkunstschau der Riesenskulpturen und zahllosen Videokabinen aber nicht viel übersichtlicher macht –, kommen einem die als „Parcours“ um den Münsterplatz drapierten Installationen immer mehr vor wie eine Initiative des Stadtmarketings, um die allerlauschigsten Orte dieser so reichen Stadt in Szene zu setzen. So erfährt man en passant, dass eine Basler Schule ganz selbstverständlich über ein eigenes Schwimmbad verfügt. Markus Selgs Tapisserie eines utopischen Gartens in der heimeligen Martinsgasse ist aus dem gleichen, von einer Berliner Firma sublimationsbedruckten Stoff gefertigt wie eine Skulptur auf Guido W. Baudachs Messestand.

Größte Attraktion ist Chris Burdens letztes Werk

Hier gucken, da kaufen: Genauso verhält es sich regelmäßig auch mit den Großkunstwerken der „Unlimited“ in Halle 1 und den Kleinformaten der in Halle 2 residierenden Hauptmesse. Aber was heißt hier Kleinformate: Da misst Albert Oehlens Werk „Untitled (Baum 69)“ knapp vier Meter (650 000 Euro bei Max Hetzler) oder „Habakuk“ von Tal R querformatige drei mal fünf Meter (200 000 Euro bei Contemporary Fine Arts).

Nebenan gelingt indes dem 2014 in Berlin verstorbenen Otto Piene posthum das Kunststück, der „Unlimited“ ihre Grenzen aufzuzeigen. „Blue Star Linz“ (Sprüth Magers) aus blauem Stoff kann selbst in der riesigen Halle nicht zur vollen Höhe von 300 Fuß aufgeblasen werden – und sieht deshalb eher nach Krake als nach Stern aus. Die größte Publikumsattraktion ist Chris Burdens letztes vor seinem Tod 2015 vollendetes Werk: der über zwölf Meter lange, ausschließlich im Kreis verkehrende Zeppelin „Ode to Santos Dumont“ (Galerie Gagosian).

Sehgal hat von allen Künstlern den meisten Platz bekommen

Koinzidenzen: Je drei Arbeiten der für ihren deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig gerade mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten Anne Imhof waren bei Buchholz (Köln / Berlin) und Isabella Bortolozzi (Berlin), schon am ersten von zwei sogenannten private days für geladene Besucher, verkauft. Geht wie geschnitten Brot und sieht aus wie „einfach beim Transport mal wieder nicht aufgepasst“, kalauert ein Besucher über die akkurat lackierten und hinterher von der Künstlerin mutwillig verkratzten Aluminiumplatten. Anne Imhof ist gerade offenbar so brandheiß, dass die Galerien auf die Frage nach den Preisen schmallippig reagieren. Apropos: Wer sich laut darüber wundert, dass und warum Anselm Reyle, der im vergangenen Jahr noch eine Schau bei CFA hatte, jetzt in Basel Poliertes und Gefaltetes aus Metallblech bei Johann König feilbietet, der wird bei König an die Galerie CFA verwiesen. Dort heißt es, man solle seine Fragen an die Galerie König richten.

Koinzidenzen: Die Fondation Beyeler im benachbarten Riehen stellt Wolfgang Tillmans und Tino Sehgal aus. Tillmans Fotokunst ist also auf der Messe zu sehen, etwa bei Bucholz oder David Zwirner aus New York. Sehgals langjähriger Galerist Jörg Johnen privatisiert inzwischen lieber – die Galerie Esther Schipper hat übernommen, auch Sehgal, den sie nun auf ihrem Messestand also erstmals präsentiert. Das heißt, er hat von allen Künstlern den mit Abstand meisten Platz bekommen, einen geschlossenen Raum, in dem zwei Kinderdarsteller eine „Situation“ aufführen, die auf die langjährigen Künstler der Galerie, Pierre Huyghe und Philippe Parreno, rekurriert.

An Originalität kaum zu unterbieten

Koinzidenzen: Alle Jahre wieder, nirgendwo sonst auf der Welt, in keinem Museum, findet man die ganz, ganz großen Namen in solcher Konzentration und Menge, fast möchte man sagen – wie Sand am Meer: von modernen Klassikern wie Arp, Braque, Calder, Léger, Miró oder Picasso über Pop- und Minimal-Künstler wie den im März verstorbenen James Rosenquist und Donald Judd bis zu zeitgenössischen Trendsettern wie Neo Rauch (Eigen + Art) und Ai Weiwei bei Max Hetzler.

Fazit: Keine Überraschungen. Dass Art-Basel-Direktor Marc Spiegler die Pressekonferenz tatsächlich mit der Aufzählung von Athen, Venedig, Kassel, Münster beginnt, dürfte in Sachen Originalität kaum zu unterbieten sein. Als er nach einem Beispiel für seine These gefragt wird, dass Künstler die Welt mit anderen Augen sähen, fällt ihm bloß die Anti-Brexit-Kampagne von Wolfgang Tillmans ein, die ihm an dieser Stelle auch vor einem Jahr schon hätte einfallen können – und nicht etwa Francesco Arenas auf der Art Basel 2017 gezeigter Stahlträger mit Flüchtlingslager-Erde aus Lampedusa. Sollte das nicht sogar Marc Spiegler ein bisschen zu wohlfeil vorkommen? Diese Einsicht immerhin wäre eine Überraschung.

Art Basel, bis 18.6., www.artbasel.com

Jens Müller

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