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Blutige Beute. Filmstill aus dem Video „Buck Fever“ der Künstlerinnengruppe Neozoon von 2012 über erste Reaktionen von Jägern nach dem erfolgreichen Schuss.

© Neozoon

Kunst-Werke: Ausstellung „Fire & Forget": Der Geruch des Todes

Gewalt und Ästhetik: Das scheint keinen Bezug zueinander zu haben. In der großen Ausstellung „Fire & Forget. On Violence“ prallen die beiden dennoch aufeinander.

„Jagdflieger sein ist ein schönes Land.“ Sprüche wie diese kursierten im Zweiten Weltkrieg unter Piloten der Luftwaffe: sinnfrei, das Töten romantisierend, ästhetisierend. Der Berliner Maler Martin Dammann gab seinem mehrteiligen Gemälde, einem gewaltigen Aquarell mit den Maßen 300 mal 420 Zentimeter, den gleichen Titel. Darauf ist ein Bomber im Tiefflug zu sehen in herrlichen, bunten Farben, die fein verlaufen – ein schönes Bild. Geht das? Darf er das? Ist das kritisch gemeint oder affirmativ? Muss der Künstler sich überhaupt entscheiden?

Eine Gruppenausstellung in den Kunst-Werken geht diesen Fragen nach. Sie untersucht das Thema Gewalt in der Gegenwartskunst, die anders als Literatur oder Film eher selten der Faszination erliegt, sondern Waffen als etwas Negatives darstellt. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Diesen Gedanken bringt der Philosoph Daniel Tyradellis ein: Eine Gesellschaft braucht Grenzen, um sich zu organisieren, sie bedient sich gezwungenermaßen bestimmter Mechanismen der Unterdrückung. Ohne den Im- und Export von Waffen würde die bundesrepublikanische Wirtschaft längst nicht so prosperieren. Reine Ablehnung missachtet die Komplexität des Themas. Wir brauchen Waffen – und einen reflektierten Umgang damit. Genau dabei könnte die Kunst helfen, zumindest ist das die Hoffnung der Ausstellung „Fire & Forget. On Violence“, die Tyradellis zusammen mit Kunstwerke-Chefkuratorin Ellen Blumenstein entwickelt hat.

Physische Wucht

Martin Dammanns Jagdflieger-Bild hängt an der rückwärtigen Wand der großen Halle, die sich den Affekten von Waffengewalt widmet, ihrer libidinösen Ausstrahlung. Ein gigantischer Panzer hat in der Mitte des Saales Aufstellung genommen, doch ist er schlaff in sich zusammengesunken. Statt aus Metall besteht er aus Leder und verströmt den archaischen Geruch verarbeiteter Tierhäute. Wie vor Jahrtausenden geht der Mensch noch immer auf Jagd und erlegt seine Brüder. He Xiangyu huldigt mit seinem Werk, dessen lederne Einzelteile wegen ihrer Größe erst vor Ort zusammengenäht werden konnten, zugleich der Technik. Der russische Panzer T 34 stand ihm Modell, mit dem die Sowjetunion gegen Nazi- Deutschland kämpfte. Militaria-Experten werden begeistert sein.

Doch der Ausstellung geht es um mehr als nur Offenlegung der Affekte, mag diese Abteilung auch die stärkste sein mit einem Maschendraht-Karree plus Heizstrahlern, das die klaustrophobische Enge und sengende Hitze von Abu Ghraib reinszeniert. Zu sehen ist auch das Video jener legendären Performance von Marina Abramovic und ihrem damaligen Partner Ulay, in dem sie sich vis-à-vis sitzend minutenlang gegenseitig ohrfeigen. Hier schafft die Kunst Szenarien, die auf einer physischen Ebene wirken und gerade dadurch ihre Wucht entfalten.

Orte der Gewalt

Kunst kann auch ein Speicher sein, ein Gedächtnis für Gewalterfahrungen. So lösen die Aufnahmen von Hrair Sarkissianein weitaus stärkeres Unbehagen aus. Er fotografierte in seiner Heimatstadt Damaskus, mitten im Zentrum von Aleppo und Latakia ehemalige Hinrichtungsstätten genau zu jener frühen Morgenstunde, als hier die Exekutionen des Assad-Regimes stattfanden. Heute erinnert dort nichts mehr daran, doch das Wissen genügt. Die Gewalt hat sich in diese Orte eingeschrieben, auch wenn der Verkehr im Laufe des Tages wieder darüber hinwegbraust. Gleiches gilt für die von Henning Rogge im Mascheroder Moor oder Beerenbruch fotografierten Bombenkrater. Irgendwann wird die Natur sie überwuchert haben, das Foto hält den Vergessensprozess auf. Eine ähnliche Strategie verfolgt der Belgier Kris Martin, der auf Trödelmärkten Hülsen von Mörsergranaten aus dem Ersten Weltkrieg erwarb, die später zu Vasen, Leuchtern, verzierten Behältnissen umfunktioniert wurden. Nun liegen sie glänzend poliert auf einem riesigen Haufen. Der Versuch einer Umwidmung ist bei ihm ad absurdum geführt, denn jäh springt ihre ursprüngliche Funktion als Munition wieder ins Auge und damit die Erinnerung an Gewalt, Tod und Leid.

Abdrücken und Weitermachen

„Fire & Forget“ lautet der Ausstellungstitel, ein Begriff aus dem Militärjargon, der eine über siebzig Jahre alte Waffentechnologie umschreibt. Der Soldat braucht nur auf den Auslöser zu drücken. Während das Geschoss seinen weiteren Weg von alleine findet, kann er sich bereits dem nächsten Ziel zuwenden. Täter und Tat entkoppeln sich vollends voneinander, die physischen Folgen sind durch die Distanz nicht mehr erlebbar.

Innerhalb ihrer Möglichkeiten holt die Kunst das Geschehen wieder ein, nun transformiert, sublimiert. Selbstkritisch stellt die Ausstellung auch die Frage, ob die Galerie, das Museum überhaupt der rechte Ort sein kann, Gewalt zu hinterfragen, denn hier ist die Ästhetisierung Programm. Eine Antwort gibt es nicht. Die Ratlosigkeit einzugestehen, könnte ein Anfang sein. Das zeigt auch Rudolf Herz’ Foto-Serie zerkratzter Fotos von NS-Größen in der Gedenkstätte Dachau. Der Schmerz, die Gewalt schwappt weiter.

Kunst-Werke, Auguststr. 69, bis 30. 8.; Mi bis Mo 12 – 19 Uhr, Do 12 – 21 Uhr. Textbuch (Matthes & Seitz) 20 €.

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