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Maschine stopp! Dieter Birr war bis zum 2. Januar Sänger der Puhdys.

© dpa

Kritik zum Puhdys-Abschiedskonzert: Endlichkeitslyrik für Sägewerke

Die Puhdys wollen sich mit zwei Abschiedskonzerten jetzt wirklich und endgültig verabschieden – und versöhnen in der Mercedes-Benz-Arena noch einmal alles mit allem.

Eigentlich haben sie ihr Abschiedskonzert längst gegeben, und nicht nur eins. Von 1988 bis 1989 gingen die Puhdys erstmals auf große Ihr-hört-uns-nie-wieder-Tour durch die DDR, sekundiert von den Lords. Eine angemessen noble Begleitcombo für eine Kapelle, die allein bis zur Wende 20 Millionen Platten verkauft hatte. Damit war sie die erfolgreichste Rockband der DDR, wenn auch die mit den etwas komplizierteren Ohren oft andere Favoriten hatten.

Aber darf man wirklich zeitgleich mit der DDR zu existieren aufhören? Muss die Nachwelt da nicht an einen Gemeinschaftssuizid glauben? Zumal Übelmeinende den Puhdys längst den Titel „Staatsrockband“ angehängt hatten. Also begannen sie 1992 noch einmal neu.

Und nun, ganz zu Beginn des Jahres 2016, kam es doch, das einzig echte ultimative unwiderrufliche Abschiedskonzert der Puhdys in der Berliner Mercedes-Benz-Arena. 17.000 Plätze. Wir sind die Puhdys, sagten sich die Puhdys, und buchten sie gleich doppelt, am 1. und 2. Januar. Zu groß ist was anderes, jedenfalls für die Puhdys, hier in Berlin (Ost).

„Was bleibt was uns bleibt, sind Freunde im Leben.“ So fängt das an, ruhig, beinahe elegisch. Dieter „Maschine“ Birrs unverkennbare Stimme füllt den Saal, hell und doch nicht hell, rauchig, aber ohne die Anmutung von chronischem Kehlkopfkatarrh. Wie immer unterzieht er die Vokale einem harten Materialtest, dehnt und biegt sie ganz durch, um sie im letzten Augenblick doch abzufangen. Die ersten Zuschauer stehen gleich, viele singen mit, immerhin ist das hier so etwas wie die letzte Gelegenheit.

„... und wenn das Meer dann unsere Geschichte erzählt ...“ Der Abend wird eingewiegt. Erst beim dritten Song schreddern E-Gitarren in den Saal, steil abfallend, ohrenbetäubend, ohrenbetörend. Endlich. Es sind nur ein paar räudige Dreiklänge, doch für Tausende hier die unverlierbaren Grundharmonien ihrer Jugend. So, als Hard-Rock-Band, haben die Puhdys am 19. November 1969 im Freiberger Tivoli auch angefangen, mit Deep Purple, Led Zeppelin oder Uriah Heep als Bürgen von Wahrheit und Schönheit in der Musik. Man hört diese Ursprünge noch immer, gottseidank, und wie! Gitarrenriffs zerfetzen das „Geh zu ihr“ aus Heiner Carows „Legende von Paul und Paula“, Erkennungsmusik der Band über Jahrzehnte hinweg. Auf sie konnten sich schon immer auch Puhdys-Skeptiker einigen.

So ein Rockkonzert, erst recht eins zum Abschied, ist eine Andacht. Zwar eine, bei der einem die Ohren abfallen, und doch müsste man blind und taub sein, um den säkularen Gottesdienst nicht zu bemerken. Bei den Puhdys ist das sogar besonders auffällig. Sie spielen, anders als die meisten Rockbands, fast keine Weltverachtungs- und Liebeslieder, statt der gebräuchlichen Rebellions- und Paarungsgesänge lesen sich ihre Songtexte wie ein großer Kommentar zu Martin Heideggers „Sein und Zeit“.

Zwischen Heidegger und bestürzender Schlichtheit

Unser Dasein ist ein „Sein zum Tode“, die Endlichkeit bestimmt die Struktur unseres In-der-Welt-Seins? Bei den Puhdys klingt das so: „An den Ufern der Nacht zieht der Tag an uns vorbei ...“, „Im zweiten Leben weiß ich, wie es geht ...“, natürlich „Wenn Träume sterben ...“. Oder „Lied für Generationen“. Die „Sorge“ ist der Grundmodus des Daseins? Quaster, Gitarrist und zweiter Sänger, singt: „Wenn ich was bereue, bereu ich nur, was ich noch nicht getan ...“

Meist selbstgemacht, scheuen diese Texte vor keiner bestürzenden Schlichtheit zurück. „Da, wo ich jetzt bin. Gehöre ich hin. Und alles hat seinen Sinn.“ Was da hart die geistige Genügsamkeit des Schlagers streift und sich musikalisch in einer nie bezwungenen, nie bekämpften Neigung zur Hymne ausdrückt, ist gleichwohl nicht zu unterschätzen. Es heißt: einverstanden zu sein mit dem, womit kein Mensch einverstanden sein kann. Mit sich selbst. Mit dem Sterbenmüssen. Die Welt zersägende Gitarrenriffs – Dieter Birr, Dieter Hertrampf, Peter Rasym – sorgen für die nötige Dissonanz.

Ihre Bühnen- und Lichtshow ist ausgeklügelt, absolut effektsicher, pompös und bescheiden zugleich. Dass die Puhdys überaus technikaffin sind, war im ersten Sommer ihrer Existenz bereits dem Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt aufgefallen. Das war 1970. Nicht nur, dass diese Musikanten fast ausschließlich englisch sangen, weckte Argwohn, sondern noch etwas anderes: „In der Regel besitzen gut ausgestattete Kapellen Anlagen, die mit einer Leistung von 70 bzw. 80 Watt arbeiten. Diese Kapelle jedoch führt eine 200-Watt-Anlage mit.“

Gut 45 Jahre später tritt nun die musizierende Kinder- und Enkelgeneration auf. Man sieht: Die Puhdys haben vor allem Schlagzeuger hervorgebracht. Warum also nicht mit fünf Schlagzeugen spielen? Geht alles bei einem Konzert, das, wie immer, Maschine Birr durch die Nacht manövriert, singend, moderierend. Er wird solo weitermachen, Schlagzeuger Klaus Scharfschwerdt wohl auch. Keyboarder Peter Meyer, übermorgen 76 Jahre alt, für zwei Saxofon-Soli mit tosendem Applaus bedacht, erinnert sich, in seiner Jugend Akkordeon gelernt zu haben, und gibt nun vor, künftig in Seniorenheimen auftreten zu wollen.

Der Rock’n’Roll war wie keine Musik vor ihm an die Jugend seiner Frontmänner gebunden, eine Weltprovokations-, Kraft- und Potenzgeste in Dezibel. Wir wohnen seit Jahren dem Selbstversuch der Beteiligten bei, ob es möglich ist, mit diesem Liedgut in Würde zu altern. Die Puhdys zeigen: Es ist möglich!

Und warum denn Akkordeon? Nicht mehr lang, und in den Seniorenresidenzen dieses Landes werden sich die ersten Hardrockbands gründen: „Alt wie ein Baum (...) mit einer Krone, die weit, weeit, weiheiheit über Felder zeigt.“ „Wenn ein Mensch lange Zeit lebt ...“ Endlichkeitslyrik für Sägewerke. Fast 17.000 üben schon mal, a cappella zum Schluss, als die begleitenden Gitarren verstummen. Ab jetzt werden sie allein weitersingen müssen.

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