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Kraftwerk in der Neuen Nationalgalerie Berlin.

© AFP

Kraftwerkt in Berlin, das 7. Konzert: The Mix: Schlank und drahtig

Kraftwerk spielen an acht Tagen jeweils ein Album und weitere Songs aus ihrem Werk-Katalog in der Neuen Nationalgalerie. Wir schreiben zu jedem Auftritt eine Konzertkritik. Heute über "The Mix".

Greatest-Hits-Platten sind etwas für Bands, die ihre Zukunft hinter sich haben. Grabplatten aufs eigene Werk, um  noch einmal schnelles Geld zu machen. Für den musikalischen Ruhestand. Kraftwerk mögen keine  Best-of-Compilations. Ihr 1991 erschienenes Album „The Mix“, enthält zwar von „The Robots“ und „Computerlove“ bis „Autobahn“ ziemlich viel Best of, allerdings in stark bearbeiteter Form.  „The Mix“, hat Ralf Hütter in einem seiner raren Interviews gesagt, sei eine Art Live-Album, dokumentiere es doch den Stand des ständigen digitalen Experimentierens der Gruppe in ihrem Düsseldorfer Kling Klang Studio.  So kann der Hörer mit „The Mix“ eine doppelte Zeitreise antreten: in die  siebziger und achtziger Jahre, als Kraftwerk Pioniere einer minimalistischen elektronischen Popmusik waren, und in die frühen neunziger Jahre, als elektronische Tanzmusik sich zur Massenbewegung entwickelt hatte. Die Kraftwerk-Klassiker wirken noch immer erhaben und großartig, doch die Remixe sind schlecht gealtert. Kraftwerks vorletzte Album-Veröffentlichung  erscheine, befand der amerikanische „Rolling Stone“, „wie ein verzweifelter Versuch, ihre Musik für die Rave-Generation upzudaten“. 

„Computerlove“ – bei „The Mix“ haben alle Titel englische Texte – erinnert mit seinen wabernden, blubbernden Geräuschen an einen Achtziger-Jahre-Charthit, mit verzerrten und gepitchten Stimmen wie im Schlumpf-Techno. „Autobahn“ ist zur House-Rhythmusschleife eingedampft, natürlich fehlt auch Florian Schneiders wunderbar spätromantische Querflöte. Ein paar Leute aus Detroit hätten die Remixe garantiert kraftvoller hinbekommen.

Der Beat wechselt von Umpf-Bumpf zu Tschick-Tschick-Bumpf

Zum Glück ist beim Konzert in der Nationalgalerie von der Patina des Frühneunziger-Techno nicht mehr viel zu spüren. Es beginnt - „1, 2, 3, 4, 5, 6, 7“ - zackig. „Computerliebe“, wie alle Songs von Hütter gesungen, klingt mit seinen schlanken, halllosen Beats ähnlich drahtig, wie die vier älteren Herren in ihren grünblauen Gitteranzügen hinter den Stehpulten aussehen. Man könnte Kraftwerk für eine Protestband halten. „Interpol und Deutsche Bank, FBI und Scotland Yard / Flensburg und das BKA, haben unsere Daten da“, heißt es passend zum NSA-Skandal in „Computerliebe“, und das nach Tschernobyl  umgedichtete „Radioaktivität“, zu dem mahnend Ortsnamen wie Fukushima, Harrisburg und Hiroshima aufleuchten, endet nun mit der Parole „Stoppt Radioaktivität!“.

Der Housebeat wechselt von Umpf-Bumpf zu Tschick-Tschick-Bumpf, bei „Tour de France“ scheint sich der Synthesizer in eine Bassgitarre verwandelt zu haben. Ratternde Discorhythmen huldigen dem Munich-Sound von Giorgio Moroder. Aber niemand im Publikum tanzt. Köpfe wippen anerkennend, Smartphones werden gereckt, um die aufregenden, durch den Saal schießenden 3-D-Visuals einzufangen. Hütter und seine drei Mitstreiter agieren wie Ingenieure, ihr Retrofuturismus stammt noch aus erster Hand. Das heißt: Er war einmal futuristisch gemeint. Altmodische Wörter wie „Telespiel“, „Bildschirmtext“ oder „Heimcomputer“ künden von den technischen Utopien einer versunkenen Ära. Zur majestätisch dahingleitenden Melodie von „Autobahn“ fährt ein VW-Käfer mit dem Kennzeichen „D KR 70“ durch eine vorsintflutliche Verkehrssimulation aus Hügeln und Kurven. „Die Fahrbahn ist ein graues Band / Weiße Streifen, grüner Rand.“ Bei „Trans Europa Express“, ein Höhepunkt des Abends, kreuzt ein pfeilförmiger Expresszug über die Leinwand, der zur Streamline-Ästhetik der Band passt. Dann fällt der Vorhang. Der Zug war pünktlich.

Die Zugaben beginnen mit den unterleibslosen Roboterpuppen, die zu „Die Roboter“ im Lichtgewitter sich ungelenk drehen und wenden, grüßend ihre Arme heben. Sie sehen noch genauso aus wie vor 35 Jahren. Rote Hemden, schwarze Krawatten mit blinkenden Leuchtdioden, strenger Seitenscheitel. Schaufensterfiguren und Menschmaschinen. Großartiges Konzert. Leider ohne echte Euphoriemomente.  

Morgen letzte Folge: Gerrit Bartels über „Tour de France“. Um alle Kraftwerk-Kritiken zu lesen, klicken Sie bitte hier.

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