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Kraftwerk spielen "Computerwelt".

© EPA/JAKUB KACZMARCZYK

Kraftwerk in Berlin, das 5. Konzert: Computerwelt: Willkommen in der Digitalität

Kraftwerk spielen an acht Tagen jeweils ein Album und weitere Songs aus ihrem Werk-Katalog in der Neuen Nationalgalerie. Wir schreiben zu jedem Auftritt eine Konzertkritik. Heute über "Computerwelt".

Es ist gefährlich, ein Ende an den Anfang zu stellen. Und „Computerwelt“ ist ohne Zweifel ein Schlusspunkt. Mit diesem fünften Album der klassischen Besetzung Hütter, Schneider, Flür und Bartos endete 1981 die Phase der Innovation. Was folgte, würde Modulation sein. Verformung von Tönen, die sie schon gespielt hatten, Verformung von Ideen, die sie bereits ausprobiert hatten, Arbeit am eigenen Mythos.

Kann man ihnen nicht vorwerfen, nach einer Reihe grandioser Alben, von denen jedes ein Konzept verfolgt hatte, das sogar aufgegangen war. Mit "Autobahn" hatte die Band ihren Tour-Koller verarbeitet - so toll ist das nicht, mit einem klapprigen Musikerauto durchs Land zu gondeln, nach, sagen wir, Speyer oder Laupheim. Um berühmt zu werden, mussten sie die Massen erreichen, dafür brauchten sie Airplay, ihre Songs mussten im Radio gespielt werden. Von der Macht der Wellen handelt "Radio-Aktivität". Mit "Trans Europa Express" erträumten sie sich die anonyme Existenz des Weltreisenden, der mal hier mal da ist, weil er es sich leisten kann. Die "Mensch-Maschine" war der Schritt in den Automatismus.

Es ist so blöd zu sagen, Kraftwerk seien ihrer Zeit voraus gewesen, aber für „Computerwelt“ traf es eben doch wieder zu. Drei Jahre hatten sie für dessen Fertigstellung gebraucht, sehr viel mehr als üblich, um dann technologisch die neunziger Jahre vorwegzunehmen. Dabei war ihnen ihr Thema mit den Rasterfahndungsmethoden des BKA, das Jagd auf RAF-Terroristen machte, beinahe schon davongelaufen. Die ersten PCs waren auf den Markt gekommen, damals noch unerschwinglich. Was die Digitalisierung anrichten würde, war nur in Umrissen erkennbar. Diesen Schemen gab Kraftwerk nun einen Zug ins Wehmütige mit Pop-Melodien, wie sie romantischer nicht hätten sein können. Aber vor allem war es die Glätte und Abstraktion des Albums, die Produzent Thomas Dolby von einer „schockierend sauberen“ Musik sprechen ließ.

Mit „Nummern“, dem sich aus Zahlen und Zahlenkolonnen immer weiter verdichtenden Sprachmonster hat Kraftwerk seine Konzerte seit 1981 traditionellerweise begonnen. Das passt diesmal natürlich perfekt. So steht ein Dokument der Überforderung am Anfang, wie sie das Kommunikationszeitalter jedem auferlegt, der zwischen unendlich vielen Informationen, Bildern, Empfindungen wählen kann. Was für eine Erlösung, wenn Hütter dem Spuk schließlich ein Ende setzt mit den für ihn charakteristischen, gleißenden Synthi-Akkorden, die den Organisten in ihm verraten. Wobei Kraftwerk die Wirkung seiner Musik auf die Neunziger in Songs wie „Heimcomputer“, „Computerliebe“ und „Taschenrechner“ zurückfließen lässt. Das ist so großartig an dieser Band, dass sie um ihren historischen Stellenwert weiß und ihre Stücke mühelos Richtung House und Minimal-Techno weitet. Plötzlich haben die mehr mit dem schwerelosen Club-Flair von Mouse on Mars und Whirlpool Productions zu tun, als mit Synthie-Pop der Achtziger. Gedanken, die tanzbar sind.

Nur leider sind sie das Beste an diesem Abend. Boing. Tschak. Boom. Zong. Das Best-of ist nicht schlecht. Vielleicht ein bisschen zu lang gerät "Tour de France", dieses Durchhaltestück, das von Ralf Hütters schwerem Radfahrer-Atem eröffnet wird. Und ein bisschen zu offensichtlich ist bei dem fies-kalten "Trans Europa Express", dass die Band auf Imagination setzt statt auf Simulation. Abstraktion statt Wirklichkeit.

Konzepte sind die Vernichtung von Ideen. Pure Technik ist psychedelisch. Und warum haben sich eigentlich ausgerechnet die Leuchtdioden im Schlips nicht durchgesetzt? Gedanken sind Mist.

Lesen Sie morgen: Jörg Wunder über „Techno Pop“. Um alle Kraftwerk-Kritiken zu lesen, klicken Sie bitte hier.

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