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Der eckige Stehtanz der Roboter im gleichnamigen Song von Kraftwerk.

© Jens Kalaene/dpa

Kraftwerk in Berlin, das 4. Konzert: Mensch-Maschine: Ruckeltanz im Neonlicht

Kraftwerk spielen an acht Tagen jeweils ein Album und weitere Songs aus ihrem Werk-Katalog in der Neuen Nationalgalerie. Wir schreiben zu jedem Auftritt eine Konzertkritik. Heute über "Mensch-Maschine".

Florian Schneider sagte vor 37 Jahren über sich und seine Kraftwerk-Kollegen: „Wir lieben unsere Maschinen. Wir haben eine erotische Beziehung zu ihnen.“ Was heute – im Zeitalter des zärtlichen Dauerstreichelns von Touchscreens – keine aufsehenerregende Feststellung wäre, klang damals für viele seltsam, vielleicht sogar ein bisschen pervers.

Kraftwerk waren ihrer Zeit oft voraus. Die Zukunftsmusik, die sie seit „Autobahn“ spielten, begriffen zunächst nur wenige. Trotz Edelfans wie David Bowie hatten sie Ende der Siebziger noch kaum Mainstream-Präsenz. Dass sie diese sehr wohl anstrebten, bewiesen sie 1978 mit dem Album „Mensch-Maschine“, auf dem sich ihr bis heute wohl bekanntester Hit „Das Model“ befindet. Im Kontext der futuristisch-urbanistischen Sounds und Themen des Albums wirkte das Lied allerdings immer ein wenig deplatziert.

Auch beim vierten Konzert der Kraftwerk-Werkschau in der Berliner Nationalgalerie gibt es wieder diese Irritationssekunde, wenn Ralf Hütters Stimme zum ersten Mal ohne die typische Roboterverzerrung zu hören ist und es plötzlich nicht mehr um Maschinen oder das All geht, sondern um eine gut aussehende Frau. Der Begeisterung im diesmal auch von vielen jüngeren Leuten besuchten Museum tut das keinen Abbruch, das Lied wird mit freudigem Jubel begrüßt. Und Hütter, der wie immer am Pult ganz links steht, scheint während der dreieinhalb Minuten ausnahmsweise mal in den Saal, statt in sich selbst hineinzuschauen.

Rührend dann das folgende „Neonlicht“, der wohl zärtlichste Kraftwerk-Song, dessen Melodieführung im ersten Teil eine gewisse Schlagersüße aufweist. Hütter spricht einige Zeilen mehr, als dass er sie singt. Doch genau das verleiht dieser Ode an die Großstadt-Melancholie eine zusätzlich Zerbrechlichkeit, bevor sie sich in die einsame instrumentale Nachtfahrt wendet. Der zweite Teil des Stücks ist ein prima Club-Track, aber getanzt wird nicht im Mies-van-der-Rohe-Bau.

Kraftwerk spielen den letzten Song von "Mensch-Maschine" zuerst

Das gilt auch für den Rest des Abends, zu dessen Start Kraftwerk von ihrem bisherigen Konzept abweichen, erst ein Album komplett aufzuführen, um anschließend zum Greatest-Hits-Teil überzugehen. Sie beginnen nämlich nicht von vorne, sondern von hinten – mit dem Titelstück „Mensch-Maschine“. Offenbar will sich das Quartett aus Düsseldorf zum Auftakt nicht die Show von seinen Automaten-Doubles stehlen lassen, die bei „Die Roboter“ traditionell ihren eckigen Stehtanz aufführen. So weit geht die Liebe dann doch nicht. Zum Glück sind die Maschinen gut programmiert: Sie lassen sich widerspruchslos in den Zugabenteil verschieben, wo sie eine tadellose Ruckel-Performance hinlegen.
Lesen Sie morgen: Kai Müller über „Computerwelt“. Um alle Kraftwerk-Kritiken zu lesen, klicken Sie bitte hier.

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