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Moldawisch-österreichische Geigerin: Patricia Kopatchinskaja

© Julia Wesely

Kopatchinskaja und Tilling in der Philharmonie: Freude übers himmlische Leben

Rihm, Ligeti, Mahler: Die Violinistin Patricia Kopatchinskaja und die Sopranistin Camilla Tilling spielen ein Konzert mit den Berliner Philharmonikern.

Zwei Frauen kommen diesem Abend zu Hilfe. Die eine ist Patricia Kopatchinskaja, in György Ligetis Violinkonzert von 1990/92. Die andere ist die Sopranistin Camilla Tilling, die den Gesangspart in Mahlers Vierter übernimmt, mit dem sonderbaren Wunderhorn-Gedicht, das vom himmlischen Leben erzählt. Und so verschieden sie auch sind – Tilling in wasserblauer Seide, ganz die kluge Wortausdeuterin, Kopatchinskaja mit nervösem Ton und in etwas Schwarzem, das man wegen geplatzter Nähte und offener Säume getrost als dekonstruierten Frack bezeichnen kann –, sie erst geben diesem Abend Leben. Muss man von Geschlechterkampf sprechen? Nein. Aber auffällig bleibt doch, wie viel Luft die beiden in den Saal pusten, wie sehr die anderen Programmpunkte an Appeal verlieren.

Aus Wolfgang Rihms Orchesterstück „Gruß-Moment 2“ (in memoriam Pierre Boulez) zum Beispiel tönt fast schon müde machende Gediegenheit. Die Philharmoniker bringen es so sorgsam zur Uraufführung, es ist überhaupt so lieb und fein gesetzt, dass man quasi das Bienenwachs mithört, mit dem das neue Möbel behandelt wurde, bevor es demnächst seinen Platz im musikalischen Museum finden wird. Die Ligeti-Zugabe kurz vor der Pause derweil, die Kopatchinskaja mit Konzertmeister Daniel Stabrawa spielt, zeigt, wie verschieden schön Striche sein können. Es ist mannhaft von Stabrawa, die Effekte langer Orchesterfron so deutlich zu exponieren; die Geigerin wird ihn herumreißen wie bei einem ausgelassenen Tanz. Und im ersten Satz der Vierten entscheidet sich Rattle dafür, dass diese Musik (von Adorno „ein Als-Ob von der ersten bis zur letzten Note genannt“) nichts davon weiß, wie sie noch auseinanderfallen wird. Also: Süße Weisen, Hoffnungsfreude, das alte, schöne Spiel des Ganz-neu-sich-Ereignens, das Rattle so hervorragend beherrscht.

Sankt Ursula, die einfach lacht

Mehr als solche Momente der Erinnerung an das, was professionelle Lethargie eben auch bedeutet, berühren andere Passagen, zumal das unter Starkstrom stehende Violinkonzert, das Rattles ordnende Hand maximal fordert und bei dem Kopatchinskaja ihren etwas seifigen, fast flageolettigen Ton hören lässt, schließlich ihre selbst komponierte, überschnappende Kadenz spielt, die Rattle aus der Schlagzeuggruppe heraus mit wenigen Handbewegungen scharf beendet – das philharmonische Publikum ist entzückt.

Und dann Tillings herzliche Freude über das himmlische Leben! Lämmlein, Spargel, Hasen. Der heilige Peter, der in den Weiher läuft, um Fische zu greifen. Sankt Ursula, die einfach lacht. Ach, wäre es doch so. Am Ende klingen schwärzliche Harfenbässe über der sich noch immer drehenden Wiegenliedweise, die Pause danach aber wird so still und lang, dass das ganze Elend der Gegenwart hineinpasst.

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