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Igor Levit,

© Gregor Hohenberg/ Sony Classical

Konzert im Kammermusiksaal: Ein Mönch bittet zum Mitdenken

Zwiesprache mit dem Notentext: Der russische Pianist Igor Levit spielt Schostakowitsch. Ihm kann es nicht komplex genug sein.

Igor Levit ist der Klassikstar für die Intellektuellen. Wenn der 1987 in Nischni Nowgorod geborene und in Deutschland aufgewachsene Pianist sein Repertoire auswählt, kann es ihm gar nicht komplex genug sein. Schon das Konzertexamen hat er mit Beethovens monumentalen „Diabelli-Variationen“ bestritten, seine Debüt-CD versammelte späte Sonaten des Wiener Klassikers. Bach gehört zu seinen Favoriten, er liebt alles Zyklische und vermag beim Liveauftritt durch die pure Kraft seiner Konzentrationsfähigkeit selbst die Werke unterschiedlichster Komponisten zur gedanklichen Einheit zu zwingen.

Dmitri Schostakowitschs Präludien und Fugen Opus 87, die Levit am Donnerstag im restlos ausverkauften Kammermusiksaal spielt, scheinen ihm geradezu auf den Leib geschrieben: 48 Werke schreiten den gesamten Quintenzirkel aus, die reine Spielzeit beträgt zwei Stunden und 40 Minuten. Entstanden sind sie binnen fünf Monaten um die Jahreswende 1950/51, in einem Schaffensrausch, den die Jurytätigkeit beim Leipziger Bachwettbewerb bei Schostakowitsch ausgelöst hatte.

Wobei er keineswegs eine epigonale Verbeugung vor dem Thomaskantor schuf, sondern ein faszinierend vielseitiges Werk, ein Kaleidoskop aller erdenklichen Stile. Was es dem Publikum ein wenig leichter macht, die Aufmerksamkeit über die enorme Zeitspanne aufrechtzuerhalten: Da klingt der Klaviersatz für einen Moment lang nach Chopin oder Mozart, dann wieder nach Beethoven, Mendelssohn, Schumann oder gar Mussorgsky.

Fast durchweg streng nach den Tonsatzregeln gearbeitet sind die bis zu fünfstimmigen Fugen, während sich der Komponist in den Präludien alle Freiheiten nimmt, Charakterstücke schreibt, Menuette, Nocturnes, Lieder ohne Worte.

Es ist wahrlich Ehrfurcht gebietend, wie sich Igor Levit in diese Musik vertieft, die dem Interpreten alles abfordert, gedanklich, aber auch rein technisch. Als mönchisches Exerzitium absolviert er den Zyklus, ganz ohne die „Ich erkläre euch jetzt mal was“-Attitüde des Wissenden. Seine Zwiesprache mit dem Notentext meidet alles Exzentrische, unterspielt so manchen möglichen Effekt, tendiert zur klanglichen Askese. Wo Schostakowitsch einen Marsch parodiert, belässt es Igor Levit beim ganz feinen Humor, die virtuosen Stücke werden ihm zu abstrakt-motorischen Studien.

Letztlich spielt er nur für sich alleine. Die Leute im Saal dürfen dabei sein, müssen aber aktiv mitdenken, den Mut haben, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Wozu sie absolut bereit sind – und den Marathonmann schließlich in dankbaren Jubel hüllen.

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