zum Hauptinhalt
Keine Zeit für Starfotos. Kirill Petrenko am Pult des Bayerischen Staatsorchesters.

© AFP

Kirill Petrenko in Bayreuth - und bald in Berlin: Weißt du, wie das wird?

Der Dirigent Kirill Petrenko, die Aufregung um antisemitische Untertöne und die philharmonische Frage: Am Samstag startet die Wagner-Saison in Bayreuth.

Seit Wochen probt er auf dem Grünen Hügel, ab Montag wird Kirill Petrenko nun zum dritten und letzten Mal bei Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ im Orchestergraben des Bayreuther Festspielhauses walten. Als sich die Berliner Philharmoniker am 21. Juni entschlossen, den 1972 geborenen Russen zu ihrem nächsten Chefdirigenten zu machen, weilte der bereits in Franken – und sah sich in den Pressereaktionen auf seine Wahl gleich dreifach mit Sprachwendungen konfrontiert, in denen antisemitische Ressentiments mitschwingen. Eine NDR-Kommentatorin verglich den im Rennen um die Rattle-Nachfolge unterlegenen Christian Thielemann – der am Sonnabend in Bayreuth die „Tristan“–Premiere dirigiert – mit dem Göttervater Wotan, der Petrenko wie Alberich wahrnehmen könnte, den „winzigen Gnom, die jüdische Karikatur“. In der „Welt“ hob der Klassikkritiker hervor, dass nach Daniel Barenboim, dem Generalmusikdirektor der Staatsoper, und Ivan Fischer, dem künstlerischen Leiter des Konzerthausorchesters, bald „der dritte Jude“ auf einem Berliner Chefdirigentenpult Platz nehmen werde.

Bayreuth-Chefin Katharina Wagner versteht die ganze Aufregung nicht

Beide Medien haben sich mittlerweile für die Äußerungen entschuldigt. In der jüngsten Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ weist Eleonore Büning darauf hin, dass auch ein Petrenko-Artikel der „Zeit“-Musikkritikerin Christine Lemke-Matwey Argumente vorbringt, der den einst von Richard Wagner in Bezug auf seine Konkurrenten Meyerbeer und Mendelssohn verwendeten Duktus anklingen lässt. Petrenko, war in der Hamburger Wochenzeitung zu lesen, habe „keinen unmittelbaren, untrüglich intuitiven Bezug zur Musik“, sondern müsse sich diesen immer erst erarbeiten. Er sei ein Kontrollfreak, dess Dirigate „nicht ungeschmeidig sind, aber doch abgezirkelt bleiben, fest, gerade“. Wagner hatte Mendelssohn in seiner Schrift „Das Judenthum in der Musik“ unterstellt, seine Musik könne trotz „reichster Talentfülle“ niemals „die tiefe, Herz und Seele ergreifende Wirkung auf uns hervorbringen, welche wir von der Kunst erwarten“. Nun ist die Feststellung, dass der eine Dirigent analytischer vorgeht und der andere eher emotional, nicht aus sich heraus ein antisemitisches Denkmuster. Ein Unbehagen gibt es dennoch.

Lemke-Matwey nennt die Vorwürfe eine bösartige Unterstellung. Es sei ihr ausschließlich um die Charakterisierung der künstlerischen Herangehens- und Arbeitsweise des Interpreten Petrenko gegangen.

Festspielleiterin Katharina Wagner und der zum Leitungsteam gehörende "Tristan"-Dirigent Christian Thielemann 2012 beim Staatsempfang der Bayreuther Festspiele.
Festspielleiterin Katharina Wagner und der zum Leitungsteam gehörende "Tristan"-Dirigent Christian Thielemann 2012 beim Staatsempfang der Bayreuther Festspiele.

© dpa

Katharina Wagner wiederum, die aktuelle Chefin in Bayreuth, versteht die ganze Aufregung nicht. „Wir sind manchmal täglich darüber erstaunt, was wir lesen“, erklärt sie mit Blick auf den Medienwirbel um Petrenko und Thielemann, aber auch um Sänger-Absagen und ihre Halbschwester Eva Wagner-Pasquier, die ausgerechnet von den Freunden der Bayreuther Festspiele mit Hügel-Verbot belegt worden sein soll. Letzteres veranlasste sogar den medienscheuen Petrenko dazu, „den unprofessionellen und völlig würdelosen Umgang“ mit Frau Wagner-Pasquier öffentlich zu geißeln. Nein, antwortet Katharina Wagner im „Münchner Merkur“ treuherzig, sie habe den russischen Dirigenten nicht auf seine kritischen Worte angesprochen: „Er ist hier schließlich total mit dem ,Ring’ befasst, und das ist auch seine Aufgabe.“ Es wird interessant, wie die neue Dauerausstellung des frisch renovierten Wagner-Wohnhauses Wahnfried den Antisemitismus ihrer eigenen Familie aufarbeitet – am Samstag wird das Museum wiedereröffnet.

Alle Arbeitskraft für Petrenkos Stammhaus

Drei „Ring“-Zyklen wird Kirill Petrenko bis zum 26. August in Bayreuth dirigieren, also 12 Vorstellungen in dem für seine akustischen Besonderheiten wie für seine Hitzeentwicklung berüchtigten Orchestergraben. Danach gönnt sich Petrenko eine kurze Ruhepause – um am 20. September an der Münchner Staatsoper die „Lulu“-Wiederaufnahme zu dirigieren. Seit 2010 leitet er das größte Musiktheater Deutschlands, mit rückhaltloser Hingabe. Lediglich zwei Gastspiele bei anderen Institutionen leistet er sich pro Saison, im Übrigen investiert er alle Arbeitskraft in sein Stammhaus.

Bei neun Opern wird der Chef in der kommenden Spielzeit in München selber im Graben stehen. Die stilistische Bandbreite reicht von Johann Strauß’ „Fledermaus“ bis zu Richard Strauss’ „Ariadne auf Naxos“, von Mussorgskys „Boris Godunow“ bis zu Puccinis „Tosca“. Zwei Neuproduktionen sind dabei: Für den 31. Januar ist die Uraufführung von „South Pole“ angesetzt, einem Werk des Komponisten Miroslav Srnka über den Wettlauf zum Südpol 1910, bei dem Rolando Villazon den Part des Robert Scott übernehmen wird. Am 16. Mai folgen dann „Die Meistersinger von Nürnberg“, inszeniert von David Bösch, mit Jonas Kaufmann als Walther von Stolzing.

Noch interessanter als Petrenkos Opernaktivitäten sind aus Berliner Sicht seine sinfonischen Pläne, soll er doch als Rattle-Nachfolger nach 2018 vom Musiktheatermaestro zum Vollzeit-Philharmoniker werden. Möglichst mit Schwerpunkt auf dem Kernrepertoire zwischen Beethoven, Brahms und Bruckner. In diesem stilistischen Bereich ist Kirill Petrenko ein bisher weitgehend unbeschriebenes Blatt.

Was auf Petrenko zukommt

Zudem werden 2015/16 mehrfach dieselben Partituren auf den Musikerpulten liegen. Wenn er vom 27. Oktober bis 2. November mit dem Israel Philharmonic Orchestra in Tel Aviv und Jerusalem auftritt, wird er Jean Sibelius’ 5. Sinfonie interpretieren, die er drei Wochen zuvor mit seinem Bayerischen Staatsorchester zur Aufführung bringt. Und wenn er Anfang April 2016 bei den Wiener Philharmonikern zu Gast ist, hat er Mendelssohns „Schottische“ sowie Mahlers „Lied von der Erde“ dabei, deren Münchner Aufführungen erst 18 Tage zurückliegen.

Elgars und Tschaikowskys Violinkonzerte, Beethovens 3. Klavierkonzert sowie die „Pastorale“, schließlich „Sinfonia domestica“ sowie „Tod und Verklärung“ von Strauss vervollständigen Petrenkos Werkkatalog für die kommende Spielzeit. Zum Vergleich: Simon Rattle wird mit den Berlinern 2015/16 zu Hause und auf Reisen 41 verschiedene Werke an 74 Abenden dirigieren. Die Musiker schätzen Petrenko wegen seiner Probenakribie: Als Philharmoniker-Chef beginnt für ihn allemal eine Zeit mit neuen Prioritäten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false