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Das Beste für die Beste. Annette Humpe. Foto: teutopress

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Zum Geburtstag von Annette Humpe: Ihre blauen Augen

Ideales Album zum 60. Geburtstag von Annette Humpe: Deutschland singt die Lieder von Annette Humpe

Es wird Geschenkverbot herrschen. Nicht mal Blumen sind erlaubt. Es sollen keine Reden gehalten werden, darauf besteht die Jubilarin, und Glückwünsche will sie auch nicht in Empfang nehmen. Allein die Vorstellung: grau-en-haft. Viel lieber möchte sie ein ungezwungenes Beisammensein mit engsten Freunden, Verwandten und Wegbegleitern. Ein nettes Essen, zusammen was trinken. Und später soll Musik gemacht werden, die Gäste sollen für sie spielen. So stellt sich Annette Humpe ihre Geburtstagsparty vor.

Diesen Donnerstag wird Humpe 60 Jahre alt, im Sommer jährte sich bereits ihr 30. Dienstjubiläum. Keine andere Frau hat die deutsche Musikgeschichte der vergangenen Dekaden so bestimmt. Humpe war kreativer Kopf von Ideal, Humpe & Humpe und Ich+Ich. Als Produzentin verantwortete sie Rio Reisers Solodebüt „Rio I.“ mit Hymnen wie „König von Deutschland“ und „Junimond“. Die Prinzen waren die erste Ost-Band in den deutschen Charts nach der Wiedervereinigung, „Küssen verboten“ und „Schwein sein“ kamen aus Humpes Feder. Als in den Neunzigern die Girlie-Bewegung in Deutschland ankam, produzierte sie für Lucilectric den Ohrwurm „Mädchen“. Gäbe es einen Soundtrack zur Bundesrepublik, würden nicht wenig Titel darauf von Annette Humpe stammen.

Der Geburtstag. Annette Humpe hatte überlegt zu verreisen. Alles hinter sich zu lassen. Sich der Aufmerksamkeit zu entziehen, weil sie ohnehin nicht gern im Rampenlicht steht. Die Plattenfirma durchkreuzte diesen Plan, weil sie auf die Idee einer Werkschau kam. Anlässlich der zwei runden Jubiläen erscheint am Freitag das Doppelalbum „Zeitgeschichte – Das Beste von und für Annette Humpe“ (Universal). Um Werbung für die CD zu machen, sitzt sie kurz vor dem großen Tag in einem Hotel in Charlottenburg, nicht weit von hier wohnt sie.

Mit Humpe über die neue Platte zu reden, ist nicht leicht. Das liegt nicht an mangelnder Gesprächsbereitschaft sondern daran, dass sie die Hälfte der Lieder gar nicht kennt. Neun Musiker haben einige ihrer Hits neu interpretiert, das Ergebnis soll ihr heute Abend auf der Party vorgestellt werden. Die Namen der Beteiligten kursieren seit ein paar Tagen im Internet, es ließ sich nicht verhindern. Gehört hat Annette Humpe die Lieder jedoch nicht. Es soll eine große Überraschung sein. So viel darf an dieser Stelle schon verraten werden: Die Zusammenstellung ist ebenso wild wie überzeugend. Selig singen „Blaue Augen“, Klee steuern „Monotonie“ bei. Für Peter Plate von Rosenstolz ist Humpes Geburtstag sogar Anlass, die Schaffenspause nach seiner Burn-out-Diagnose zu beenden. Mit seinem Lebensgefährten Ulf Leo Sommer hat er „Sex in der Wüste“ aufgenommen.

Der auffälligste Beitrag stammt jedoch von Schwester Inga. Sie hat für „Berlin“ einen neuen Text geschrieben. Über die treibenden Elektrobeats von 2raumwohnung singt sie: „Nachts um elf Kastanienallee, die Modells trinken grünen Tee / Mauerpark ein Hot Dog im Stehen, im Prater kann man noch echte Ostler sehen / Ein Taxi fährt zum Watergate, gut wenn man auf der Gästeliste steht. Dann noch zum Weekend, hallo Schatz, super Blick auf den Alexanderplatz / Der Sound ist fett, der Beat fährt ein, ich tanz mit den Schwulen in den Morgen rein und freu mich, dass ich grad hier oben bin / Ich fühl mich gut, ich steh auf Berlin.“

Wenn man den Teil der Platte hört, der Humpes Arbeit im Zeitraffer zusammenfasst, bemerkt man die Entwicklung, die sie durchgemacht hat. Aus der überdrehten NDW-Rebellin aus Ideal-Zeiten ist eine Lady geworden, die mit sich im Reinen zu sein scheint. Bei „Schütze mich“ von Ich+Ich singt sie: „Ich wär’ gern besser als ich bin, ich krieg’s nicht hin, ist nicht schlimm .“ Wie hätte die 30-jährige Sängerin über die heute 60-jährige wohl gedacht? „Ich glaube, ich hätte mich gut gefunden“, sagt sie. „Ich bleibe ja bei mir.“

Das erfolgreichstes Projekt der vergangenen Jahre, Ich+Ich, liegt seit ein paar Wochen auf Eis. Drei Alben hat das Duo seit seiner Gründung 2003 herausgebracht, mehr als drei Millionen Platten verkauft. Nun gehen Annette Humpe und der 27 Jahre jüngere Adel Tawil getrennte Wege. Sie hat in den vergangenen Monaten ein Album mit Max Raabe aufgenommen, er arbeitet an eigenen Stücken. „Pause“, lautet die offizielle Sprachregelung. Die Musikerin sagt: „Das Konzept hat sich verdichtet, es hat sich zu einem Gefängnis entwickelt. Da komme ich nur raus, wenn ich das Gegenteil mache.“ Sie will nicht ausschließen, künftig wieder mit Tawil Musik zu machen. Treuen Fans spendet sie so keinen Trost. Die erinnern sich, dass auch bei Ideal nach drei Alben Schluss war.

Wer es sich mit dem Geburtstagskind nicht verscherzen will, der sollte sich die üblichen Komplimente, die man Frauen in ihrem Alter macht, sparen. 60 ist das neue 40, solche Sprüche seien einfach nicht wahr, meint die Musikerin, die Zahl ist unsexy, da gibt es nichts zu beschönigen. Aber sie sagt auch: „Es ist jetzt zu spät, um jung zu sterben. Da freue ich mich doch, dass ich eventuell alt werde, richtig alt.“

Diese Einstellung teilen nur wenige Kollegen. Vielleicht ist das Konzept Popstar noch zu jung, als dass es Strategien geben könne, wie man in Würde altern kann, falls so was im Musikgeschäft überhaupt möglich ist. Mick Jagger, 67, hopst immer noch über die Bühne. Madonna, 52, versucht, dem Alter mit Körperwahn und jungen Liebhabern zu trotzen. Geht das überhaupt, im Fokus der Öffentlichkeit alt zu werden, ohne dabei albern zu wirken? „Natürlich“, sagt Humpe, „Leonard Cohen, Bob Dylan, das sind Vorbilder.“ Frauen gebe es da nicht so viele, vielleicht Tina Turner. Mit Annette Humpe kommt eine weitere hinzu.

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