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© Universal

Tödliches Kommando: Junkies der Angst

Nahaufnahme: Kathryn Bigelows Bagdad-Film „Tödliches Kommando“ kommt in die deutschen Kinos - und bereichert das Genre des Antiterror- und Irakkriegsfilms.

Lage peilen, Leute sondieren, Gefahr orten. So geht der Job. Die Drähte im Geröll, okay, da liegt die Bombe, der Typ vor der Metzgerei winkt recht freundlich. Aber vielleicht kann er mit seinem Handy ja die Explosion auslösen? Es ist totenstill auf der Straße, die Sonne glüht über Bagdad, und der Kommandant der kleinen Spezialeinheit für Bombenentschärfung stapft weiter Richtung Geröll. Er atmet schwer in seinem zentnerschweren Schutzanzug mit dem Astronautenhelm. Die Erde hier ist unbewohnbar wie der Mond.

Staub, Hitze, Atemnot. Ein Autowrack mit einem Koffer voller Bomben. Sprengstoff, eingenäht in eine blutige Leiche. Ein irakischer Familienvater, dem Dynamit umgeschnallt wurde, mit Stahlreifen und Vorhängeschlössern. In zwei Minuten fliegt er in die Luft. Es ist ein grausames Geschäft, das die drei Bombenexperten im Irak verrichten: Specialist Eldridge (Brian Geraghty), Sergeant Sanborn (Anthony Mackie) und William James (Jeremy Renner), der neue Boss, ein Draufgänger. Der alte hat den Einsatz vor der Metzgerei nicht überlebt. Noch 38 Tage bis zur Heimreise nach Amerika.

Antiterror- und Irakkriegsfilme sind längst ein eigenes Genre: der Öl-Thriller „Syriana“ mit George Clooney, Michael Winterbottoms „Road to Guantanamo“, der FolterKrimi „Rendition“, Brian de Palmas „Redacted“, Paul Haggis’ HeimkehrerDrama „Im Tal von Elah” – sie alle entstanden in der Bush-Ära, als Protestkundgebungen des anderen Amerika. Kathryn Bigelow macht mit ihrem in Jordanien gedrehten Bagdad-Film „Tödliches Kommando“ da keine Ausnahme.

Mittlerweile hat der von Obama versprochene Truppenabzug aus dem Irak begonnen, Kritik am Krieg ist Konsens in Amerika. Dennoch hat die Zeit Bigelows Bilder nicht überholt, nehmen sie doch konsequent den Blickwinkel der extremen Nahaufnahme ein. Zwischen Ruinen, Müll und Schutt, geht es nicht um Politik und Gesinnung, sondern nur darum, in Sekunden das Kabel des Zeitzünders abzuzwacken. Und in der Wüste musst du so genau wie möglich auf den Gegner hinter der Ziegenherde zielen. Sandverkrustete Augen, eine Fliege, ein Schwächeanfall, Warten, sengende Hitze – Krieg als schweißtreibende Millimeterarbeit, als reine, sinnentleerte Gegenwart.

Dabei erliegt Bigelow dem Adrenalinkick nicht, dem die Männer im Einsatz mit rüden Sprüchen Ausdruck verleihen, dem Thrill der Gewalt, der im Vorspann benannten Droge des Kriegs. Dafür ist sie viel zu sehr Expertin männlicher Codes, nach den Testosteronstudien ihrer Polizei- („Blue Steel“), Surfer- („Point Break“) und U-Boot-Thriller („K 19 – Showdown in der Tiefe“). Wenn sie doch einmal eine Patronenhülse in Zeitlupe zu Boden tanzen lässt, dann stilisiert sie weniger, als dass sie die Ästhetik des Waffenfetischismus bewusst zitiert. Bigelow konzentriert die Spannung in den Augenblick und verlegt sie in die Seelen der drei Soldaten. Ein Psycho-Actionfilm.

Der Krieg als Handwerk. James, der wild man, entschärft mit bloßen Händen, fingert mit der Kneifzage herum, zieht entnervt den Schutzanzug aus, kappt den Funkkontakt. Er ist kein Teamplayer, mit seinen Alleingängen gefährdet er die anderen. Als sie einem Oberst begegnen, will der die Zahl der Bombenaktionen wissen und bewundert James als Superhelden. Ein derart antiquiertes Männerbild befremdet selbst den Kriegsjunkie.

Der Macho James, der besorgte Sanborn, der unsichere Eldridge – die drei bilden eine kleine Familie. Man schlägt sich, verträgt sich, besäuft sich, redet nicht viel. In einer Kiste sammelt James Schalter, Batterien, Andenken an Dinge, die ihn um ein Haar getötet hätten. Auch sein Ehering ist dabei. Als er nach den 38 Tagen heimkehrt, steht er hilflos vor den Regalmetern voller Cornflakes im Supermarkt – und kehrt in den Irak zurück, ein ewiger Cowboy à la John Wayne, den aber niemand romantisch verklärt. Der Zivilisation ist er abhanden gekommen, weil er die Angst in sich abgetötet hat. „Thanks for playing“, ruft er dem Gegner zu.

Krieg verroht, pervertiert – geschenkt. Aber die drei sind keine Monster, nicht einmal James, der sich mit einem arabischen Jungen anfreundet. Es ist der Frieden, der ihn überfordert, sein kleiner Sohn in den Staaten genauso wie der irakische Professor in Bagdad, in dessen Wohnzimmer er versehentlich stolpert. Mit Terroristen kann er umgehen, aber nicht mit einem gastfreundlichen älteren Herrn und dessen zeternder Ehefrau. Auch nicht damit, dass er den totgeglaubten Jungen unverhofft wiedersieht. Für das Leben hat er keinen Spruch, keinen Handgriff parat.

Die 57-jährige Regisseurin und ihr Drehbuchautor Mark Boal (der 2004 als embedded journalist im Irak war und schon das Script zu „Im Tal von Elah“ schrieb) klagen nicht an. Sie analysieren vielmehr mit dokumentarischer Präzision die Mechanismen der Todesangst und ihrer Verdrängung. Mechanismen, ohne die kein Krieg geführt werden kann. „Hurt Locker“, der Originaltitel, bezeichnet im Soldatenjargon einen Ort, an dem der Schmerz weggesperrt wird.

Wenn Spielbergs Weltkriegsfilm „Der Soldat James Ryan“ mit der Landung in der Normandie einsetzt, ist auch er bei den angstschlotternden GIs auf den Booten, weitet dann aber den Blick. Bigelow verzichtet bis zuletzt auf das big picture. Keine Luftaufnahme, kein Abspann, der die Toten im Irak beziffert. Sie belässt es bei der Unübersichtlichkeit, der Bodennähe, die der kleine rumpelnde Suchroboter in der Eingangssequenz vorgibt. Sie bleibt bei den Fußsoldaten – und dreht die städtische Version von Terrence Malicks „Der schmale Grat“. Auch Bigelow besetzte die Hauptrollen übrigens mit unbekannteren Darstellern und lässt Stars wie Ralph Fiennes in Nebenrollen auftreten.

In Malicks Pazifizik-Kriegsdrama von 1998 liegen die Soldaten tagelang im hohen Gras. Gewehrsalven fegen über sie hinweg, Explosionen erwischen sie aus dem Nichts. Elendes Verrecken, kein Überblick, kein Ende in Sicht. Bigelow wählt eine ebenso radikale Perpektive. Nach der grünen Hölle die sandige Hölle: „Weißt du, was diesem Ort fehlt?“, fragt Eldridge, mit Blick auf den Straßenstaub. Er würde gern Gras importieren.

Eigentlich tut das Bombenräumkommando nichts anderes als das Kinopublikum. Es schaut genau hin, misstraut dem Augenschein, will erkennen, begreifen. Eine Plastiktüte, eine lahmende Katze, ein Eselskarren, Menschen auf einem Minarett – wer das Straßenbild falsch deutet, riskiert sein Leben. Immer wieder geht es mit Barry Ackroyds unruhiger 16-Millimeter-Kamera zum Einsatz, sieben, acht Mal in 120 Minuten. Immer wieder wird gepeilt, fokussiert, ins Visier genommen, Schärfe nachgezogen; die Zeitlupen entstanden mit hyperpräzisen Digitalkameras. Oft wussten die Schauspieler nicht, von wo sie gefilmt werden – Guerillataktik einer gewieften Genre-Regisseurin.

Beobachten, wer einen beobachtet. Sehen und dabei unsichtbar bleiben. Ungemütlich ist dieser Film auch deshalb, weil Krieg und Kino einander so verdammt ähnlich werden. Seit Paul Virilio ist das kein neuer Gedanke. Aber er geht einem hier gefährlich nahe.

Ab Donnerstag in 13 Berliner Kinos. OV im Cinestar Sonycenter

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