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Strip-Club-Besitzer Dallas (Matthew McConaughey) mit Spezialhose (die Damen sehen mehr als Sie).

© Concorde Film

Kino: Die Muskelspieler

Nackte Kerle braucht das Land: Steven Soderbergh bringt mit seiner Männerstrip-Komödie „Magic Mike“ einen US-Sommerhit ins Kino.

Es ist ein zweifelhaftes Vergnügen, zum „Sexiest Man Alive“ gekürt zu werden – die Auszeichnung, die das amerikanische Magazin „People“alljährlich vergibt, ähnelt einem Wanderpokal, und den ist man schnell wieder los. Der texanische Schauspieler Matthew McConaughey gewann den Titel mit 36 Jahren; inzwischen ist er 43 und muss sich vermutlich nicht nur im neuen Film von Steven Soderbergh mit dem Altern auseinandersetzen. Und das viel früher als seine nur mittelsexy geratenen Geschlechtsgenossen, die langsam, aber ungeniert Bierbäuche kultivieren, anstatt täglich mit dem Personal Trainer gegen die tückische Schwerkraft anzukämpfen.

In Soderberghs „Magic Mike“ spielt Matthew McConaughey Dallas, den Chef einer Truppe von männlichen Strippern, die mit ihrer Show in Tampa, Florida, allabendlich im „Chippendales“-Stil vor einem kreischenden weiblichen Publikum auftreten: Junggesellinnenabschiede, runde Geburtstage und Initiationsrituale sind die geläufigen Anlässe, zu denen die Mädels es richtig krachen lassen. Was heißt, mithilfe beträchtlicher Mengen Alkohols die Hemmschwellen herabzusetzen, nahezu nackte Männer anzufassen und ihnen dafür Dollarscheine in die Tanga-Strings zu stecken.

Dallas ist Zirkusdirektor, Zeremonienmeister und ein Anheizer der Extraklasse. In der großartigen Eingangssequenz werden seine professionellen Qualitäten als Conférencier ausgestellt: Angetan mit einer Lederkluft im Cowboy-Stil, die die sorgfältig ausgearbeiteten Muskelpakete an Bauch, Beinen und Po freilegt und betont, zwinkert er ranschmeißerisch, während er sein Publikum in schleppendem Südstaatenslang und kalkuliert ordinärem Sprachduktus auf die bevorstehenden Sensationen vorbereitet. Er gibt den Äffinnen ordentlich Zucker und er macht damit noch dazu eine Menge Geld: Darin besteht auch schon sein Lebenssinn.

So scheint es zumindest. Während sich aber die Geschichte um das Zugpferd der Show, den titelgebenden „Magic Mike“ (Channing Tatum bringt eigene Erfahrungen als Gelegenheitsstripper in die Rolle ein), und den ganz jungen Einsteiger Adam (Alex Pettyfer) entwickelt, während Ersterer raus- und Letzterer unbedingt reinwill, während hartes Training mit Sex-, Geld- und Drogenräuschen wechselt und die deftigen Effekte dominieren, akzentuiert Soderbergh – nach dem Drehbuch von Reid Carolin – unmerklich eine Parallelstory im Hintergrund. Und das ist die Geschichte von Dallas, dem alternden Stripper, der einsam ist, furchtbar einsam. Seine größter Traum: den Sprung von Tampa nach Miami zu schaffen. Weiter reicht sein Horizont nicht.

Stripper Mike will aussteigen und Möbeldesigner werden

Durchblick. Steven Soderbergh. Foto: Reuters
Durchblick. Steven Soderbergh. Foto: Reuters

© REUTERS

Und schon wirkt das Blendwerk des Bühnengeschehens wie eine bloße Folie dieser so banalen wie alltagstragischen Biografie. Der Gelegenheitsjobber Adam, ein Schulabbrecher, Rumhänger und begnadeter Schnorrer, der als Stripper plötzlich sein Glück zu machen glaubt, entpuppt sich als jüngere Version von Dallas selbst, der sich folglich in mehr als angemessen scheinender Weise um den Jungen kümmert. Sohn, Freund und – das ist bei dem intensiven körperlichen Umgang miteinander und der gleichzeitig vehement behaupteten Fixierung auf Frauen naheliegend – auch Objekt der sexuellen Begierde: Das alles mag Dallas in Adam sehen, an dessen Stelle ein paar Jahre früher vielleicht Mike gestanden hat, der potenzielle Aussteiger, der unbedingt Möbeldesigner werden will. Aber Mike, das begreift Dallas mit all seiner Erfahrung exakt, ist es tatsächlich ernst mit der Alternative – dem kleinbürgerlichen Lebensentwurf inklusive Ehefrau, eigenem Häuschen und Handwerksbetrieb. Mike kann nämlich tatsächlich Möbel bauen.

Steven Soderbergh lässt weite Teile seines Films nachts spielen, im diffusen Milieu des Clubs, einer Mischung aus Achtziger-Jahre-Disco und Tabledance-Bar, wo der unablässige Einsatz von Stroboskopblitzen und Kunstnebel dafür sorgt, dass die Tristesse der Billigausstattung nicht gar zu offenkundig wird. Auch die Szenen bei Tage – sie sind in schweflig-gelbes Licht getaucht – scheinen auf die ewige Nacht zu verweisen, in der die Protagonisten agieren. Hässlich und armselig sind deren Behausungen; abends streicht Mike die in verschwitzten Händen zerknüllten Geldscheine glatt. Und als er mit einem ganzen Stapel davon zur Bank geht, zieht die Kreditsachbearbeiterin ihn zwar schamlos mit Blicken aus, nur die ersehnte Bonität, die bescheinigt sie ihm nicht.

15 Jahre ist es her, dass der Brite Peter Cattaneo mit „The Full Monty“ („Ganz oder gar nicht“), seiner Billigkomödie über strippende Stahlarbeiter, einen so unvermuteten wie unvergessenen Welthit landete. Auch Soderberghs „Magic Mike“ hat sich als Low-Budget-Spaß mit über 100 Millionen Dollar Umsatz binnen weniger Wochen zum US-Sommererfolg gemausert. Das neueste Beispiel der zwischen Blockbustern und extremen Independentkreationen und auch immer wieder zwischen den Genres oszillierenden Filmografie des Regisseurs aber erinnert atmosphärisch eher an Paul Thomas Andersons fiktive Pornostar-Milieustudie „Boogie Nights“ (ebenfalls 1997), worin es letztlich auch viel mehr um Psyche statt Physis ging.

So verbraucht sich in „Magic Mike“ das visuelle Aufregerpotenzial der Stripnummern ziemlich zügig, da mögen sie den Film noch so sehr strukturieren, akzentuieren und kommentieren. Die seelischen Nöte von Dallas dagegen berühren: Was geschieht mit dem Besitzer eines makellosen Körpers, sobald dieser erste Anzeichen des Alters zeigt? Matthew McConaughy spielt diese Figur mit beträchtlicher Fähigkeit zur Selbstreflexion – und womöglich die Rolle seines Lebens.

Ab Donnerstag in 17 Berliner Kinos; OmU im Babylon Kreuzberg, OV im Cinestar SonyCenter

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