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Kindl-Brauerei als Zentrum für zeitgenössische Kunst: Aufbruch und Verfall

Im Oktober eröffnet in der ehemaligen Kindl-Brauerei ein Zentrum für zeitgenössische Kunst. Als Präludium lässt David Claerbout in einer Installation das Berliner Olympiastadion künstlich altern.

Träge zieht die Kameraeinstellung den gewaltigen Arkadengang entlang, eine Steinstütze folgt auf die andere, immer weiter rund um das Innere des Olympiastadions. Granitene Ödnis, Langeweile macht sich breit, denn die Runde dauert 24 Stunden, bis die Kamera wieder an ihrem Ausgangspunkt angelangt ist, dem offenen Zugang auf den Sportplatz. Der Loop eignet sich zur meditativen Übung. Und doch macht sich Unbehagen breit, denn beruhigend wirkt die 1936 von den Nationalsozialisten erbaute Monumentalarchitektur auch in der von David Claerbout filmisch bearbeiteten Version nicht.

Der belgische Künstler hat eine geradezu perfide Mischung aus gleichmütigem Fortgang der Kamerafahrt und einer aberwitzigen Veränderung des Gebäudes entwickelt, indem er die Architektur Stein für Stein digital am Computer rekonstruieren ließ, um sie mittels einer eigens entwickelten Software einem realen Alterungsprozess auszusetzen. Während die Berliner Denkmalpflege dafür sorgt, dass Hitlers Gigantomanie auch für nachfolgende Generationen zu sehen und verstehen ist, zerfällt Claerbouts Stadion über einen auf 1000 Jahre angelegten Prozess – ausgesetzt Wind und Wetter, das mittels realer Google-Daten laufend in das Softwareprogramm eingespielt wird.

Der 47-Jährige ringt selbst um Worte, um zu erklären, was er da eigentlich geschaffen hat, wechselt vom Deutschen ins Englische und wieder zurück. Die Software übernähme das Erbe der NS- Ideologie, erklärt er, lasse die Vision von der Ruinenästhetik des selbst ernannten 1000-jährigen Reiches zumindest digital Wirklichkeit werden. In „Olympia“, so der Titel von Claerbouts Werk, verschieben sich die verschiedenen Ebenen ineinander: die menschliche, maschinelle, ideologische Zeit. Damit wird es zur Reflexion über Veränderung, Wahrnehmung, Vergänglichkeit. Der Koloss Stadion hat es nun schwerelos auf die virtuelle Ebene geschafft.

Der Ort, an dem Claerbout für ein Jahr seine neueste Arbeit präsentiert, hat seine ganz eigene Geschichte, in der die Relativität von Zeit ebenfalls eine Rolle spielt. Es ist das Kesselhaus der ehemaligen Neuköllner Kindl-Brauerei, eine 20 mal 20 mal 20 Meter große Halle, wie sie in Berlin für Kunstausstellungen einmalig ist. Zum zweiten Mal lädt das Zentrum für zeitgenössische Kunst – dahinter verbirgt sich das Schweizer Sammlerpaar Varnholt-Grisard, das 2011 das 5500 Quadratmeter große Ensemble kaufte – zur Präsentation einer gewaltigen Installation ein. Zur Premiere vor einem Jahr ließ der Schweizer Künstler Roman Signer ein Propellerflugzeug kopfüber von der Decke hängen, zu dem der Besucher staunend aufschaute, während sich die Maschine gemächlich um sich selber drehte. Nun ist es Claerbouts auf zwei riesige Projektionsflächen geworfene Videoinstallation, vor der man sich auf Sitzsäcken niederlassen darf, um sich dem Sog der Kamerafahrt, dem Kontinuum der abgefahrenen Steinpfeiler hinzugeben, während zunächst noch unmerklich der Zahn der Zeit am Gebäude nagt, das Gras zu wuchern beginnt, die ersten gefallenen Blätter über den Boden fegen.

Kunst auf ihre Dauerhaftigkeit befragen

Andreas Fiedler, Leiter des Kunstzentrums, bekundet durchaus seinen Stolz, dass er als Erstes das neueste Werk des belgischen Starkünstlers zeigen darf, denn Claerbout ist hoch gefragt: Das De Pont Museum in Tilburg hat gerade seinen neuen Flügel mit einer Claerbout-Ausstellung eröffnet, das Städel-Museum in Frankfurt präsentiert zur Buchmesse mit Schwerpunkt Flandern seinen Film „Die reine Notwendigkeit“ im Skulpturengarten, eine eigenwillige Adaption des Trickfilm-Klassikers „Das Dschungelbuch“. Claerbout nach Berlin zu holen, zumal mit „Olympia“, dürfte trotzdem nicht schwergefallen sein. Der Belgier produziert zwar seine komplexen digitalen Filme in seinem Antwerpener Riesenstudio, wo 16 Mitarbeiter an den Softwares tüfteln. Doch besitzt er hier weiterhin einen Wohnsitz, seit er 2002 als DAAD-Stipendiat in der Stadt gelebt hat.

So gewaltig Claerbouts Videoarbeit im Kesselhaus auch wirkt, die Dimensionen des Raumes beeindrucken jedes Mal, seine Intervention stellt trotzdem nur ein Präludium dar. Einen Monat später, am 22. Oktober, soll endlich die komplette Brauerei als Zentrum für zeitgenössische Kunst ihren Betrieb aufnehmen, mit zweijähriger Verzögerung wegen unvorhergesehener Komplikationen beim Ausbau und denkmalpflegerischer Hürden. Dass es nun nicht pünktlich zur Art Week klappt, nimmt Zentrumsleiter Andreas Fiedler inzwischen gelassen hin. Seine erste Ausstellung im Maschinenhaus heißt „How Long Is Now?“. Er selbst hat Langmut zu Genüge bewiesen, nun wird die Kunst auf ihre Zeitgenossenschaft, Dauerhaftigkeit befragt. Parallel erhält der Dresdner Maler Eberhard Havekost auf einer weiteren Etage des Maschinenhauses eine große Einzelschau.

Hochkarätiger Standort für Kunst

Damit gewinnt Berlin nicht nur einen hochkarätigen Standort für die Kunst, das kulturell boomende Neukölln eine weitere Spielstätte, sondern die Stadt erhält ein architektonisches Schmuckstück zurück. Noch stehen seitlich Gerüste, noch gelangt der Besucher nur über Holzbretter ins Haus. Doch der dunkelrote Klinkerbau aus den zwanziger Jahren strahlt schon geputzt in der Sonne, die Platanen für den Biergarten auf dem Vorplatz stehen bereits. Zwischen den sechs riesigen Kupferkesseln im Sudhaus wird ein Café eingerichtet. Damit zieht neues Leben ins historische Gemäuer ein. Gleich nebenan zelebriert David Claerbout den Zerfall.

Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Am Sudhaus 3, Mi bis So 12 –18 Uhr. Die komplette Brauerei eröffnet am 22. Oktober.

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