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Zeichen setzen. Ein Ja zur Unabhängigkeit und eine katalanische Flagge auf einem Strand nahe Barcelona.

© Pau Barrena Capilla/AFP

Kataloniens Kampf für Unabhängigkeit: Wem die Stunde schlägt

Separatisten zerren an den Staaten Europas. Doch was sich in Barcelona anbahnt, weckt auch Erinnerungen an den Spanischen Bürgerkrieg. Katalonien will weg von Madrid.

Ein bisschen makaber ist allein schon das Datum: Nine-Eleven. Der 11. September gilt als katalanischer Nationalfeiertag, und am kommenden Montag dürften wohl etwa zwei Millionen Menschen in Barcelona dafür demonstrieren, sich von Madrid und dem spanischen Königreich zu lösen. In dieser Woche hat das katalanische Regionalparlament in Barcelona ein Gesetz beschlossen, das eine Volksabstimmung am 1. Oktober regelt, bei der über die Abspaltung von Spanien entschieden werden soll. Brexit lässt grüßen.

Tatsächlich steht die Partei „Junts pel Sí“ („Gemeinsam für das Ja“ zur nationalen Unabhängigkeit) zusammen mit linken Republikanern und einer anarchistischen Gruppe hinter der vom katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont angeführten Bewegung. Dagegen verweist Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy darauf, dass das Referendum und gar die Abspaltung Kataloniens gegen die spanische Verfassung verstoße. Auch das Verfassungsgericht in Madrid wird nun wohl sein Veto einlegen. Doch das will man in Barcelona ignorieren. Und der spanische Generalstaatsanwalt ermittelt jetzt gegen katalanische Politiker wegen Verfassungsbruchs.

Die Lage wirkt so einigermaßen dramatisch. Eingedenk des Spanischen Bürgerkrieges, in dem Franco-Truppen die katalanische Metropole bombardierten, und danach der vierzigjährigen Franco-Diktatur, während der die katalanische Sprache und Kultur unterdrückt wurden, kann Madrid nicht wie gegen die baskischen Terror-Separatisten der ETA Polizei und Armee einsetzen. Was, nur zum Vergleich, würde Berlin machen, wenn Bayern aus der Bundesrepublik austreten wollte?

Die Katalanen sind eine tief gespaltene Gesellschaft

Seit Francos Tod und dem Ende der Diktatur hat Katalonien sukzessive immer mehr Autonomierechte erhalten. Die Region zwischen den Pyrenäen, Aragonien und Valencia, so groß etwa wie Belgien, ist längst zweisprachig, und selbst Cervantes’ „Don Quijote“ wird absurderweise vom Spanischen ins Katalanische übersetzt. Das aber reicht vielen nicht. Auch tragen die 7, 5 Millionen Katalanen mit ihrer wirtschaftsstarken Industrie und dem Fremdenverkehr überdurchschnittlich viel zum gesamtspanischen Bruttosozialprodukt bei. Weshalb die Sezessionisten sich weigern wollen, „immerzu an Madrid zu zahlen“, ähnlich wie die oberitalienische Lega Nord gegenüber Rom und dem Süden des Landes argumentiert.

Das Motto der Referendums-Betreiber und der Demo am Nationalfeiertag: „Wir wollen eine katalanische Republik mit mehr sozialer Gerechtigkeit und ohne Korruption.“ Das klingt gut. Nur läuft just gegen einen der eigenen politischen Protagonisten, den 23 Jahre (!) amtiert habenden katalanischen Regionalpräsidenten Jordi Pujol, und dessen Familie ein Verfahren wegen Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Korruption.

Wer heute mit Katalanen spricht, trifft auf eine tief gespaltene Gesellschaft. Der Riss geht durch viele Familien (wie einst im Bürgerkrieg). Den einen erscheint zudem das Brexit-Exempel als populistische Verheißung, den anderen als Menetekel. Wobei im Unterschied zu den Briten alle in Europa, ja in der EU bleiben möchten. Und das ist einer der gerade für den katalanischen Wohlstand entscheidenden Punkte. Der sezessionistische Katalanenpräsident Puigdemont verspricht, in der Union und damit auch im Euro und im europäischen Binnenmarkt zu bleiben. Die Gegner der Abspaltung und auch EU-Kommissionspräsident Jean- Claude Juncker verweisen dagegen auf die EU-Verträge: dass die EU-Mitgliedschaft nur für Spanien, aber nicht für einen abgespaltenen neuen Nationalstaat Katalonien gelten würde.

Wer gegen die Eigenstaatlichkeit ist, gilt schnell als rechtsreaktionär

Aber nicht nur viele der fast 600 000 katalanischen Unternehmen sind in Sorge. Aufgeschreckt ist auch ein Teil der kulturellen und intellektuellen Elite. Katalanische Schriftsteller wie der Cervantes-Preisträger und auch in Deutschland viel gelesene Eduardo Mendoza („Die Stadt der Wunder“) oder Jaume Cabré („Die Stimmen des Flusses“), die Filmregisseurin Isabel Coixet oder der Liedermacher Joan Manuel Serrat haben sich mit zahlreichen Künstlern in der Zeitung „El Pais“ Ende Juli für den Verbleib in Spanien ausgesprochen und das Referendum für „illegal“ erklärt. Isabel Coixet, deren Film „Nobody Wants the Night“ 2015 die 65. Berlinale eröffnet hatte, muss sich jetzt wegen ihres Engagements zugunsten der spanischen Einheit eines Shit- storms der Separatisten erwehren und sah sich sogar genötigt, eigens zu erklären: „Ich bin keine Faschistin.“

Die faschistische Franco-Falange ist ein Trauma nicht nur vieler Katalanen. Und die populistische Unabhängigkeitsbewegung schließt dort an. Wer gegen die Eigenstaatlichkeit Kataloniens ist, gilt schnell als konservativ oder gar rechtsreaktionär. Weitgehend verdrängt werden die gleichfalls zum Erbe des Bürgerkriegs zählenden Verirrungen der einstigen republikanischen Linken. Zeit eigentlich, George Orwells 1938 zuerst erschienenes Buch „Mein Katalonien“ wieder zu lesen, in dem der spätere Autor von „1984“ die Unterwanderung der auch von ihm und vielen ausländischen Künstlern und Schriftstellern zunächst unterstützten republikanischen Freiheitsbewegung durch Stalins Kommissare und linkstotalitäre Kräfte beschreibt. Bis hin zur Liquidation seines besten Freundes.

Prominente wie Pep Guardiola sind für das Referendum

Die Spaltung geht natürlich auch durch die jetzige katalanische Szene. Im Sommer haben nicht nur 100 Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft ein Manifest gegen das Referendum unterzeichnet. Umgekehrt sind Prominente wie der Tenor José Carreras, der Anthropologe und Bestsellerautor Albert Sánchez Piñol („Im Rausch der Stille“) oder Fußballstartrainer Pep Guardiola für das Referendum und die Unabhängigkeit Kataloniens. Wobei es interessant wäre zu wissen, was Guardiola davon hält, wenn „sein“ FC Barcelona künftig statt gegen Real und Atletico Madrid in einer Schrumpfliga bloß noch gegen katalanische Provinzvereine wie den FC Girona spielen würde – der freilich gerade stolz ist, in diesem Jahr erstmals in seiner Geschichte in Spaniens Primera Division aufgestiegen zu sein.

Albert Sánchez Piñols letzter Erfolgsroman heißt übrigens „Victus. Barcelona 1714“ (deutsch: „Der Untergang Barcelonas“) und handelt von jenem 11. September 1714, an den der katalanische Nationalfeiertag erinnert. Allerdings ist es ein Tag der Niederlage, an dem im Spanischen Erbfolgekrieg König Philipp V. endgültig über Katalonien gesiegt hatte und in Barcelona seine Gegner hinrichten ließ. Eigentlich ein makaberes Omen.

Das am Mittwoch im Regionalparlament von Barcelona beschlossene Referendumsgesetz, bei dem 72 von 135 Abgeordneten mit Ja stimmten und die Opposition vorher den Saal verließ, schreibt im Falle der Zustimmung vor, dass das Parlament binnen zwei Tagen, also bis zum 3. Oktober, die Unabhängigkeit Kataloniens zu erklären habe. Für die Gültigkeit sieht das 34 Artikel umfassende Gesetz keine Mindestwahlbeteiligung vor. Es würde also jede einfache Mehrheit reichen. Bei einer früheren (unverbindlichen) Volksbefragung hatten zwar 80 Prozent für die Unabhängigkeit votiert, aber kaum ein Drittel der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.

Trügerisch könnten sich die Meinungsumfragen erweisen

Das Vertrackte ist: Wer für die Einheit Spaniens eintritt und die Abstimmung für verfassungswidrig hält, wäre womöglich doch gezwungen, an einer für ihn illegalen Wahl teilzunehmen, um sich nicht in einem neuen ungewollten Staat wiederzufinden. Trügerisch könnten sich zudem die bisherigen Meinungsumfragen erweisen, siehe Brexit, Trump und so weiter. Meist wird in jüngsten Meldungen in den deutschen Medien eine Zahl aus einer fast zwei Monate zurückliegenden Umfrage zitiert, nach der nur 41 Prozent der Katalanen derzeit für die Loslösung von Spanien votieren würden.

Katalonien hat indes schon seine eigenen Auslandsvertretungen. Für die etwa 28 000 in Deutschland lebenden Katalanen hat Barcelona unter der Federführung seines (derart titulierten) „Ministeriums für auswärtige und institutionelle Beziehungen und Angelegenheiten und für Transparenz“ eine Vertretung in der Berliner Friedrichstraße eingerichtet. Ihre Leiterin Marie Kapretz erwartet am 1. Oktober eine Mehrheit für die Unabhängigkeit und verweist im Gespräch mit dem Tagesspiegel auf die Zahlen einer von der Online-Zeitung „El Español“ veröffentlichten Umfrage aus dieser Woche, nach der bei rund 50 Prozent Wahlbeteiligung 72 Prozent von tausend Befragten für ein unabhängiges Katalonien votieren würden.

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