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In der Literatur so aufrichtig wie es nur geht. Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård, 49.

© Bartels

"Kämpfen" von Karl Ove Knausgård: Wahrheit tut weh

Ich, das Böse, die Literatur, die Kunst und die Familie: „Kämpfen“, der sechste und letzte Band von Karl Ove Knausgårds autobiografischer Romansaga.

Innerhalb der stetig größer werdenden Fangemeinde des norwegischen Schriftstellers Karl Ove Knausgård wird gern diskutiert, welcher der Bände seines sechsteiligen autobiografischen Romanprojekts „Min Kamp“ eigentlich am gelungensten sei. Was durchaus von den jeweiligen subjektiven Befindlichkeiten abhängt. So gilt „Lieben“, wie der zweite Band auf Deutsch heißt, gerade bei Knausgård-Fans mit viel Family-Trouble und kleinen Kindern als der beste. Er wird oft als Einstieg ins „Min-Kamp“-Gesamtwerk zur Hand genommen. Denn in „Lieben“ geht es größtenteils um den profanen Alltag einer fünfköpfigen Familie und die Nöte eines Vaters, der vor lauter Kindergeburtstagen und Windelwechseln kaum noch Zeit für sich und das Schreiben hat .

Ist der Kindheitsroman des Zyklus, „Spielen“, der beste, weil geschlossenste, fast ohne essayistische Einsprengsel auskommende Roman? Oder „Sterben“, der so wuchtige, radikale Beginn über den Vater und dessen Alkoholikerschicksal? Ist der fünfte Band „Träumen“ vielleicht der schwächste? Auch weil eine gewisse Knausgård-Ermattung eingesetzt hat – und obwohl „Träumen“ hierzulande ein Bestseller war? Und wie fügt sich nun der dieser Tage auf Deutsch unter dem Titel „Kämpfen“ erscheinende sechste, letzte und mit fast 1300 Seiten monumentalste Band in den Zyklus, wie unterscheidet er sich von den anderen Bänden?

„Kämpfen“ beginnt mit der Zeit kurz vor der Veröffentlichung des ersten Bandes 2008 in Norwegen. Er erzählt zunächst von den Reaktionen der Familie und des Freundeskreises, nachdem Knausgård ihnen das Manuskript zugeschickt hatte. Insbesondere Gunnar, der Onkel, ist höchst erbost über die Darstellung seines Bruders und wie dieser sich im Haus der Mutter zu Tode gesoffen hat. Gunnar will das Buch juristisch bekämpfen. Andere gehen entspannter mit den Figurenzeichnungen um, damit, dass sie so real in einem Roman auftauchen. Doch die Auseinandersetzung mit Gunnar und mancher Vorbehalt anderer hat Folgen auf die weiteren Bände, nicht nur, was Änderungen von Namen oder Orten betrifft. Es geht um das Verhältnis des Autors zur literarischen Wahrheit und wie diese zur Wirklichkeit steht, und Knausgård diskutiert nun selbst die Unterschiedlichkeit der einzelnen Bücher.

Dieser sechste Band von seiner eigenen Entstehung in den Jahren 2010 und 2011.

Er räumt ein, im dritten, „Spielen“, nicht „ehrlich“ gewesen zu sein. Dass „Leben“, der vierte Band, ein „merkwürdiges“, weil weder dem Roman noch der Wirklichkeit verpflichtetes Buch ist, „eine Geisel der Wirklichkeit“.  Und dass ihm „Träumen“ locker in nur wenigen Wochen von der Hand ging. Dieses sei das Buch, das er mit zwanzig schreiben wollte, aber eben noch nicht konnte.

Schließlich konstatiert er, dass es zu Beginn des Vorhabens, weil sich alles noch in einem abgeschlossenen literarischen Raum abspielte, die Bücher erst nach der Veröffentlichung ihr Eigenleben in der Öffentlichkeit zu führen begannen, am einfachsten war, das Ich des Zyklus’ mit dem Autor des Ganzen kurzzuschließen und die Barrieren zwischen beiden einzureißen, „sodass der private Raum aufgehoben ist und ich persönlich für alles einstehen musste, was im Roman stand“.

Mehr als in den anderen Büchern fallen in „Kämpfen“ der Schreibprozess und die erzählte Zeit zusammen, erzählt dieser sechste Band von seiner eigenen Entstehung in den Jahren 2010 und 2011. Und mehr als sonst finden sich hier essayistische Passagen. Die größte hat gut 500 Seiten, trägt den Titel „Der Name und die Zahl“ und trennt den ersten vom zweiten Teil. Knausgård versucht darzulegen, wie Zeit und Psychologie, Kunst und Politik zusammenhängen. Er schreibt hier über das Individuelle und das Soziale, über das Verhältnis von „Ich“, „Du“ und „Wir“ und was die Sprache damit zu tun hat, über das Vorkriegs-Wien und die Jahre zwischen den Weltkriegen. Intensiv untersucht er ein Gedicht von Paul Celan, „Engführung“, Strophe für Strophe, fast Zeile für Zeile, und dann kommt, als seltsam-logischer Kontrapunkt dazu, das Leben von Hitler vor 1933 und „Mein Kampf“.

Aber warum? Warum dieser Titel auch für das eigene Romanprojekt? Die Titelwahl wird in „Kämpfen“ nicht explizit erklärt. Sie darf als Provokation verstanden werden; auch als Versuch einer „Überschreibung“ Hitlers, wie es sein Freund Geir, der ihm den Titel nahelegte, einmal dem „New Yorker“ offenbart hat; oder als bewusst warnendes Verwischen einer Grenze zwischen dem guten „Wir“ und dem bösen „Sie“ (Hitler, die Nazis), so wie Knausgård es ausführt: „Denn wenn das Böse kommt, dann sicher nicht in Gestalt eines ,Sie’, als etwas Fremdes, das wir leicht von uns weisen können, es wird in Gestalt eines ,Wir’ kommen. Es wird als das ,Richtige’ kommen.“

Dass Knausgård sich überhaupt mit Hitler auseinandersetzt, liegt daran, dass er nach dem Tod seines Vaters zwischen dessen Sachen er eine Nadel mit einem deutschen Reichsadler gefunden hat – und überdies nach dem Tod der Großmutter anderthalb Jahre später in einer Truhe in deren Wohnzimmer eine Ausgabe von eben „Mein Kampf“. Beide seien für ihn „ungelöste Mysterien in dieser Geschichte“ gewesen, also seiner Geschichte, sie gehören „zu den Feldern aus der Vergangenheit, die sich in der Gegenwart zeigen und die ich auf nichts zurückführen konnte, was mir bekannt war.“

Knausgård porträtiert Hitler als Kind seiner Zeit

Knausgård beschäftigt sich mit dem Nationalsozialismus, liest unter anderem Ian Kershaws Hitler-Biografie, die Speer-Tagebücher, die Bücher der österreichisch-britischen Historikerin und Biografin Gitta Sereny über Speer und Treblinka („Am Abgrund“), und schließlich das Buch, „das mehr als ein Text“ ist, nämlich „das Symbol für das Böse im Menschen“, „Mein Kampf“. Mithilfe der Bücher des Hitler-Freundes August Kubiczek und des frühen Hitler-Mentors Ernst Hanfstaengl ist so eine Art Biografie des jungen Adolf Hitlers in „Kämpfen“ eingeklinkt, die ausführlich dessen familiären Beschädigungen und psychischen Deformationen auf den Grund zu kommen versucht, dessen Beziehungsunfähigkeit, Angst vor Intimität und Sexualität und so weiter. Knausgård porträtiert Hitler als Kind seiner Zeit, das noch nicht das Monster war, zu dem es dann wurde (dabei kritisiert er häufig Ian Kershaw, dessen Suggestionen), er kann vieles in Hitlers Entwicklung nachvollziehen. Allerdings nicht den Judenhass, der für ihn so befremdlich ist in seiner Kraft, „dass es einem schwerfällt, ihn wirklich ernst zu nehmen“. Und er verzweifelt am „unangenehm platten und oft niederträchtigen Stil“ und analysiert schließlich, dass „Mein Kampf“ sich nie an ein „Du“ wende, stets nur an ein „Wir“, außerhalb dessen aber sein „Ich“ stehe: „Hitlers Ich fehlt ein Du, es ist zu nichts verpflichtet, und damit auch, in letzter Konsequenz, amoralisch oder frei von Moral.“

Knausgård geht es schließlich darum, was jetzt nicht weltbewegend neu und umstürzend ist, dass das Böse eben nicht vom Himmel fällt, sondern sich immer mitten unter uns zuträgt, so wie auch ein Anders Breivik nie isoliert betrachtet werden kann. Ja, und dass alle Katastrophen im Menschlichen beginnen, im Kleinen, und letztendlich die Literatur der Ort ist, an dem man alldem am nahesten kommen kann. Wo aber, fragt man sich bei der Lektüre dieses langen Essays, steht eigentlich Knausgård? Wie verhält sich innerhalb des von ihm so häufig angewandten psychoanalytischen Koordinatensystem sein Ich zum Du und Es und Wir? Die Kunst, die Literatur zur Psyche, zur Psychotherapie? Das Heimliche und Verborgene hätte ihn gereizt, schreibt er und fragt: „Welchen Wert hat das Rücksichtslose?“ Das diskutiert er wiederum in der eigenen Lebenserzählung, deren Rückführung auf die essayistischen Passagen großen Reiz ausübt, nicht zuletzt weil Knausgård genug verpflichtende Dus hat.

Ob die Angriffe seines Onkels Knausgård wirklich schwer getroffen haben?

Hinsichtlich des Gefühligen kennt Knausgård nichts, da besteht er in seiner ganzen Romantik und bei aller Härte drauf. Genau wie auf der Schönheit, der Wahrheit – und der Freiheit, diese Wahrheit anderen zuzumuten. Schließlich, so seine Poetologie, sei der Roman eine Form des Denkens, aber „radikal anders als die Form des Denkens in Essays, Artikeln oder Abhandlungen, weil im Roman die Reflexion der Erkenntnis nicht als Mittel übergeordnet, sondern allen anderen Elementen gleichgestellt ist.“

In "Kämpfen" nun steht alles schön beieinander, und wer jetzt am Leben des norwegischen Autors von "Sterben" an teilgenommen hat, wird in den Passagen vor und nach dem Großessay nicht mehr viel Überraschendes finden, (mit der Beschreibung von Lindas manisch-depressiver Erkrankung endet der Schlussteil). Diesen Erzähler kennt man in seiner Flächigkeit, mit seinen Traumatisierungen und seinem nichtsdestotrotz ziemlich gesunden Selbstbewusstsein doch sehr gut. Es geht bei der Lektüre primär um Komplettierung, das Ende einer Serie, das abermals suchterzeugenden Momente hat. Mit dem Surplus des Essays und der Exposition einer ganzen Poetologie. Ob man Knausgård jedoch glauben soll, dass die Angriffe seines Onkels, die zwiespältigen Reaktionen Lindas, ihrer Mutter und so manchem anderen wirklich so schwer getroffen haben?

Als schmerzende Sozialübertretung bezeichnet er sein eigenes Vorgehen. Doch nur zu gut weiß man um das Zusammenspiel von Fiktion und Wirklichkeit in seinem Roman: „Hätte ich ihn noch schmerzhafter werden lassen, wäre er noch wahrer geworden.“ Unverzeihlich sei es, was er seiner Familie angetan habe, heißt es auf der letzten Seite, „aber ich habe es getan, damit muss ich leben.“ Das ist kokett, wie so vieles in diesen Ich-Büchern. „Kämpfen“ beweist, dass Knausgård mit seiner Schuld ganz gut zurechtgekommen ist.

Karl Ove Knausgård: Kämpfen. Roman. Aus dem Norwegischen von Paul Berf und Ulrich Sonnenberg. Luchterhand Literaturverlag, München 2017. 1276 Seiten, 29 €.

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