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„Die Dritte Welt existiert, um die Europäer vor der Langeweile zu retten“, heißt es böse Roman.

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Juan Villoros Mexiko-Roman „Das dritte Leben“: Ökotourismus, Tequila Sunrise und Enthauptungen

Juan Villoro wirft in seinem Roman „Das dritte Leben“ ein grelles Licht auf seine zerrüttete Heimat Mexiko.

Was für eine kaputte Gesellschaft, die Juan Villoro in seinem Roman „Das dritte Leben“ beschreibt. Ein Hotel an der karibischen Küste Mexikos. Das Gebäude, ein Etablissement für anspruchsvolle Touristen vor allem aus den USA und Europa, ist architektonisch einer Maya-Pyramide nachempfunden. Hier wird ihnen etwas Besonderes geboten: Sie können einen Abenteuerurlaub verbringen, Gefahren bestehen, Angst verspüren. Bungee-Jumping und vorgetäuschte Entführungen durch Schauspieler, die den Guerillero geben, stehen auf der Tagesordnung. Die Gäste ergeben sich dem Nervenkitzel, um abends im Hotel wieder ihren Tequila Sunrise zu genießen.

Das für Fremde exotische Land wird touristisch missbraucht: Es soll gefälschte Erfahrungen bereitstellen. „Die Dritte Welt existiert, um die Europäer vor der Langeweile zu retten“, heißt es einmal. Villoro, 1956 in Mexiko-Stadt geboren und Anfang der 80er Jahre Kulturattaché in der DDR, muss es wissen. Und verlogen sind die Besucher aus den reichen Nationen: Sie fordern Bio-Gemüse und Ökotourismus, stellen dabei selbst aber die größten Umweltverschmutzer dar.

Ein kaputter Erzähler in mehrfacher Hinsicht

Die Drogenmafia hat unterdessen das Land fest im Griff und ist nicht zimperlich, wenn es um die ganz und gar nicht vorgetäuschte Beseitigung und Enthauptungen ihrer Gegner geht. Die Gewalt der Maya setzt sich fort aus alten Zeiten, als die Götter edle Opfer forderten, möglichst Prinzen, nicht irgendwen aus dem niederen Volk. Überfälle gehören zum Alltag; der Sicherheitschef des Hotels wird von Maskierten niedergeschlagen. Auch die Natur ist schwer in Mitleidenschaft gezogen; der Strand wird fortgeweht, Wirbelstürme fegen über das Land, Bohrinseln verseuchen das Wasser. Die Hotels in der neu errichteten Urbanisation stehen größtenteils leer, Ratten hausen in den Rohrleitungen.

Der Erzähler, ein ehemaliger Rockmusiker, entstammt einer kaputten Familie und hat selbst kaputte Züge. Von einem Autounfall rührt ein hinkendes Bein, ein Fingerglied fehlt. Nun arbeitet er in der Pyramide, wo er die Bewegungen der Fische im Aquarium in Töne umsetzt. Er unterhält eine lockere sexuelle Beziehung zu der Amerikanerin Sandra und ist mit dem Hotelchef befreundet. Der hat einen unheilbaren Tumor und will mit dem Helikopter in ein Unwetter fliegen, um sich in die tosenden Fluten zu stürzen. Er nimmt dem Erzähler das Versprechen ab, sich nach seinem Tod um seine kleine Tochter zu kümmern, die dieser zum Schluss bei sich aufnehmen und mit ihr in die Hauptstadt fliegen wird.

Ein Feuerwerk treffsicherer Beschreibungen

Eines Tages wird ein toter Taucher im Neoprenanzug gefunden, in dessen Rücken eine Harpune steckt. Fast zur gleichen Zeit wird ein weiterer Mann ertrunken angespült. Die Ermittlungen beginnen. Handelt es sich um zwei Schwule, die sich verabredet haben, gemeinsam den Tod zu suchen? Ist es die Tat von Terroristen oder Drogenhändlern?

Die Handlung, in der die Funken stieben, wird durch einen ausgearbeiteten Stil zusammengehalten. Villoro, heute einer der angesehensten und vielseitigsten Autoren seines Landes, schreibt detailreich und plastisch: „Sieben Stockwerke weiter unten rührte das Meer seine Wellen mit immer neuer, fließender Schwermut: ein anämischer Blues.“ Auch sonst brennt er ein ganzes Feuerwerk treffsicherer Beschreibungen ab. Dieses Buch wirft ein grelles Licht auf sein zerrüttetes Mexiko.

Juan Villoro: Das dritte Leben. Roman. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Carl Hanser Verlag, München 2016. 288 Seiten, 19,90 €.

Eberhard Geisler

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