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Dichter, Seher, Künstler: Die Kunsthistorikerin Kirsten Claudia Voigt untersucht in einer Studie die Beziehung zwischen Nietzsches „Umwertung aller Werte“ und Beuys' „Erweiterung des Kunstbegriffs“.

© WDR/picture alliance

Joseph Beuys und Max Frisch: Widerstand und Hoffnung

Der Mystiker und der Intellektuelle: Zwei sehr lesenswerte Bücher nähern sich dem Denken der Kunst- und Literaturheroen Joseph Beuys und Max Frisch.

Gerade sind die Siegerfilme der vergangenen Berlinale und des Festivals von Cannes in die Kinos gelangt, und die kommenden Festspiele werfen schon wieder ihre ersten Lichter voraus. Keine Sieger, aber bemerkenswert waren im Berlinale-Programm 2017 zwei Filme, die auf höchst unterschiedliche Weise sich nicht nur den Werken, vielmehr auch der Person zweier Künstler zu nähern suchten. Andres Veiels Beuys-Doku und Volker Schlöndorffs Variation über Max Frischs „Montauk“-Erzählung – beide Mal rückten Heroen der Kunst- und Literaturszene aus dem späten 20. Jahrhundert nochmals in den Mittelpunkt.

Spiel des Zufalls: Im letzten und in diesem Jahr gab’s Wiederannäherungen an Frisch und Beuys auch in zwei verschieden konzipierten, jeweils sehr lesenswerten Büchern. Unterm Titel „Max Frisch. ,Wie Sie mir auf den Leib rücken!‘ “ hat Thomas Strässle 14 Interviews mit Max Frisch ausgewählt und sorgfältig kommentiert (Suhrkamp Verlag, Berlin, 237 Seiten, 22,- Euro). Das beginnt mit einem Fundstück aus dem Jahr 1934, einem Kuriosum: weil an dem „Gespräch mit einem jungen Autor“ der darin nach seinem Debüt-Roman „Jürg Reinhart“ befragte 23-jährige Max Frisch gar nicht teilgenommen hat. Der Kritiker und damalige Feuilletonchef der „Neuen Zürcher Zeitung“ Eduard Korrodi hatte das Interview erfunden und damit Rezension und Porträt in einem imaginären Dialog vereint. Eine frühe Form von empathischem Borderline-Journalismus.

Selbst „Montauk“ war für Frisch virulent politisch

Frisch, dessen Bücher, nunmehr (wieder) gelesen, vielleicht nicht mehr alle seinen berühmten und zugleich sprechenden Namen beglaubigen, er war tatsächlich ein glänzender, nachdenklicher, bis heute ungemein anregender Gesprächspartner. Einer, der in seine erzählende Prosa nie plakative Botschaften verpackt hat, aber bis zu seinem hier letzten Interview im Jahr 1989 darauf beharrt: „Ich kann mir kaum vorstellen, dass ohne politisches Bewusstsein große Literatur entsteht.“ Auch im titelgebenden langen, streckenweise kontroversen Gespräch mit Fritz J. Raddatz 1981 in der „Zeit“ leuchtet das auf. Ja, indem er seinen französischen Übersetzer zitiert (einen der KP angehörigen Professor), nennt Frisch sogar die scheinbar nur private „Montauk“-Liebesgeschichte „politisch-virulenter als meine politischen Polemiken“.

Überraschend und erstaunlich aktuell wirkt es, wenn der Schweizer Max Frisch vor fast 45 Jahren ausgerechnet im Kapitel „Rückzug auf die Poesie“ die Entleerung der „formalen“ Demokratie beschreibt und von der „Manipulierbarkeit der Mehrheit“ spricht. Oder wenn er als Problem für einen sozialen Wohnungsbau in den verdichteten, kapitalistischen Großstädten eine fehlende „Bodenreform“ definiert. Wie ein Vermächtnis klingt dazu gegen Ende sein Stichwort „Ohne Widerstand keine Hoffnung“.

Nietzsches Einfluss auf Beuys' Kunstbegriff

Das hätte oder hat so ähnlich auch Joseph Beuys formuliert. Aber Beuys war kein systematischer Denker, schon gar kein klassischer Intellektueller (wie Frisch). Er war Mystiker, rabulistischer Mythologe und utopischer Visionär („Jeder Mensch ist ein Künstler!“) – und so einem Philosophen nah, der selber kein Systematiker oder Logiker war, sondern eher Dichter, Seher, Künstler.

Darauf macht Kirsten Claudia Voigts interessante Studie „Joseph Beuys liest Friedrich Nietzsche. Das autopoetische Subjekt“ aufmerksam, die in keinem wissenschaftlichen Fach-, sondern schön illustriert in einem Kunstverlag erschienen ist (Schirmer/Mosel, München, 303 Seiten, 58,- Euro). Voigt zeigt, wie Nietzsches Gedichte oder sein „Zarathustra“ für Beuys zur Inspiration wurden, belegt dies auch durch Faksimiles mit Unterstreichungen aus Beuys’ Nietzsche-Werkausgabe. Nietzsches „Umwertung aller Werte“ habe dann in der Beuys’schen „Erweiterung des Kunstbegriffs“ eine neue Antwort gefunden. Der eine wollte eine „Experimentalphilosophie“, der andere seine künstlerisch wie ökologisch grundierte „Freiheitswissenschaft“. Die Karlsruher Kunsthistorikern verweist dabei auf den amerikanischen Philosophen Richard Rorty, der Friedrich Nietzsche einen Propheten der „kreativen Selbstbestimmung“ nannte. Das könne gleichfalls für Joseph Beuys gelten.

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