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Zweiter Sieger beim Bachmann-Lesen. John Wray, 46. Foto: Gert Eggenberger/AFP

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John Wray im Porträt: Auffällig unauffälliger Eindringling

Literatur ist kein Sport, und der Bachmann-Wettbewerb keine Wohlfühloase: Eine Begegnung mit dem amerikanischen Schriftsteller John Wray.

Es ist nicht leicht und ziemlich turbulent, das Kind einer österreichischen Mutter und eines amerikanischen Vaters zu sein. Zumindest vermittelt das der Erzähler von John Wrays 2016 veröffentlichtem, genauso wildem wie komplexem Zeitreise-Roman „Das Geheimnis der verlorenen Zeit“, Waldemar Tolliver, der seiner Familiengeschichte auf den Grund zu kommen versucht. Obwohl in den USA geboren, war seiner Mutter Ursula nie daran gelegen, dass er sich anpasste. Sie fand, „es sei eine Frage österreichischen Stolzes, in der Öffentlichkeit mit mir deutsch zu reden, und sie kleidete mich auf eine Weise, die eine Collegefreundin beim Durchblättern meines Fotoalbums später ,saloppe Hitlerjugend‘ nannte.“

Wer in den vergangenen Tagen den Bachmann-Wettbewerb verfolgt hat, weiß, dass John Wray die gleiche Herkunft wie sein Held hat und Bekenntnisse wie obige womöglich autobiografischer Natur sind. So wie die Einschätzung Tollivers, die Gabe zu besitzen, „Aufmerksamkeit von mir abzulenken: Ich war geradezu auffällig unauffällig.“

Genauso wirkt John Wray, wenn man ihm begegnet: zurückhaltend freundlich, trotzdem zugewandt, relativ offen Auskunft gebend. In Klagenfurt hat er nun viel Aufmerksamkeit mit seiner Bruder-und-Schwester-Geschichte „Madrigal“ auf sich gezogen und damit schließlich den zweiten Preis des Wettlesens gewonnen. „Die Leute stellen sich das Leben eines amerikanischen Schriftstellers wohl sehr glamourös vor. Ich habe den Eindruck, dass man mich hier ein bisschen wie einen wohlhabenden Eindringling wahrnimmt“, sagt Wray auf einer der Holzbänke im Garten des ORF-Studios sitzend. Einen Tag zuvor war in der Jury-Diskussion zwar seine Geschichte größtenteils gelobt, aber auch die Frage gestellt worden, ob er bei dem Wettbewerb eigentlich gut aufgehoben sei.

Der Roman "Retter der Welt" war sein Durchbruch

Allein von der Herkunft her gibt es da keine Zweifel. Überdies verbringt Wray jedes Jahr ein, zwei Monate im Haus seiner Großeltern in Friesach, und selbst mit dem Klagenfurter Wettlesen verbindet ihn eine Geschichte: „Als 23-Jähriger saß ich verschüchtert und ehrfurchtsvoll in der ersten Reihe und habe zugeschaut. Ein Schweizer namens Reto Hänny hat damals den Bachmann-Preis gewonnen.“

Damals studierte Wray noch Anglistik, nicht Medizin, wie seine beiden in der Krebsmedizin tätigen Eltern sich das vorgestellt hatten. Später schlug er sich als Taxifahrer in Alaska durch, bestieg Berge in Ecuador und Chile, spielte jahrelang in einer Band in New York und veröffentlichte 2001 seinen Debütroman „Die rechte Hand des Schlafes“. Darin hat er er die Erfahrungen des österreichischen Familienteils zur Zeit des Nationalsozialismus verarbeitet. Für Lesungen aus seinem zweiten, bislang nicht ins Deutsche übersetzten Roman „Canaan’s Tongue“ schipperte er auf einem Floss den Mississippi hinunter – im Mittelpunkt stehen Sklavenhändler auf dem Mississippi zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs. 

Mit „Retter der Welt“, einem Roman über einen schizophrenen Jungen, der mit der U-Bahn durch New York irrt, hatte er schließlich seinen ersten größeren, auch kommerziellen Erfolg. Da schien sich einzulösen, dass er vom britischen Literaturmagazin „Granta“ 2007 unter die 20 besten jungen englischsprachigen Autoren gewählt wurde und Kollegen wie Jonathan Lethem und Colum McCann Lobeshymnen auf ihn sangen.

Trotzdem gilt er immer noch als Geheimtipp – und bezweifelt, dass er in Deutschland bekannter ist als in seiner Heimat, so wie einst Paul Auster oder T. C. Boyle. Sein jüngster Roman sei zwar bei der Kritik in den USA wie hierzulande gut wegkommen, die Resonanz bei einem größeren Publikum jedoch eher bescheiden, „das Buch ist ja ein ziemlicher Ziegelstein“. Der Wettkampf in Klagenfurt mag ihm in seiner Grundstruktur zwar suspekt sein – „Literatur ist kein Sport, keine Mathematik, ich halte nicht so viel davon“ –, am Ende aber sieht er es sportlich amerikanisch: „Jeder Autor kommt nach Klagenfurt, um hier etwas zu gewinnen.“

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