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Der amerikanische Schriftsteller John Green

© imago/Future Image

John Green und sein neuer Roman: Gedanken sind manchmal blöde Gesellen

"Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken": Der neue Roman des amerikanischen Erfolgsjugendbuchautors John Green.

Dass in diesem Roman des amerikanischen Schriftstellers John Green von allem Guten und pädagogisch Bedenklichen vielleicht ein bisschen viel des Guten und pädagogisch Bedenklichen ist, merkt man gleich am ersten Satz, der sich liest, als hätte Green vielleicht doch ein bisschen zu häufig in Creative-Writing-Seminaren herumgesessen:  „Als mir zum ersten Mal klar wurde, dass ich vielleicht Fiktion bin, verbrachte ich meine Tage an einer öffentlichen Bildungsanstalt namens White River High im Norden von Indianapolis, wo ...“ Und dann, gleich im nächsten Absatz, da Green noch mit den Perspektiven herumspielt: „Natürlich tust du so, als wärst du der Erzähler. Das musst du.“

Von dieser metafiktionalen Einführung muss sich allerdings niemand erschrecken lassen. In der Folge lässt Green seine Hauptfigur, die sechzehnjährige Aza Holmes, von ihrer Freundin Daisy immer nur Holmesy genannt, trotz ihrer leichten Persönlichkeitsstörung und ihrer schweren, behandlungsbedürftigen Angst- und Zwangsneurosen durchweg in der Ich-Perspektive erzählen. Aza bildet sich unentwegt ein, von Mikroorganismen bevölkert zu werden (was ja Fakt ist), aber eben auch krank zu werden, wenn sie in Kontakt mit anderen kommt, die ihr Mikrobiom bei ihr abladen. Weshalb vom Händeschütteln bis zum Küssen der Alltag für sie ein überaus problematischer ist – zu schweigen davon, dass sie die ihre Psyche durchaus stützende Angewohnheit hat, mit dem rechten Daumennagel in die Kuppe des rechten Mittelfingers zu bohren, die daraus resultierende Wunde regelmäßig aufkratzt und sie dafür unentwegt Pflaster braucht.

Green ist nahe an der smarten Wirklichkeit junger Menschen

„Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“, wie dieser neue Roman von John Green nach seinem Welterfolg „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ heißt, dieser Satz bleibt für Aza ein Wunschtraum. Von ihren krankhaften Gedanken wird sie bedrängt und beherrscht, und irgendwann leider auch die Leserinnen und Leser dieses Romans, so intensiv setzen sich Green und seine Heldin immer wieder mit diesem Leiden auseinander. Nur gut, dass es ein wenig Ablenkung gibt, dass Green sich auch eine Handlung ersonnen hat, eine fast kriminalistische dazu. Der Milliardär Russel Pickett ist spurlos verschwunden, und es winkt eine Belohnung von 100 000 Dollar für Hinweise auf seinen Aufenthaltsort oder ob er wirklich entführt wurde. Aza und Daisy versuchen, Licht ins Dunkel von Picketts Verschwinden zu bringen, suchen dessen Anwesen auf und treffen hier auf die halbwüchsigen Söhne des Milliardärs, Noah und Davis. Aza kennt Davis von früher, sie fühlen sich, auch weil ihnen jeweils ein Elternteil fehlt, einander nahe. Und verlieben sich.

Schön und gelungen ist es, nicht zuletzt weil nahe an der smarten jugendlichen Wirklichkeit, wie Green seine Helden sich über das Internet noch besser kennenlernen lässt. Aza forscht dem Online-Verhalten von Davis nach, stöbert in seinen Social-Media-Profilen und spürt einen Blog von ihm auf. Immer wieder schicken beide sich zudem bedeutsame Nachrichten auf ihren Handys hin und her. Nur: Davis ist nicht nur ein nachdenklicher junger Mann, sondern auch ein bildungsbewusster, weshalb er in seinem Blog mit vielen literarischen Zitaten prunkt, von Emily Dickinson über Robert Frost bis hin zu vor allem Shakespeare, „Der Sturm“. Das wirkt überinstrumentiert, so wie eine F.-Scott-Fitzgerald-Kinotür bei den Picketts, wie die Star-Wars-Fan-Fiction, die Daisy schreibt (mit Aza als Vorbildfigur), wie die kitschigen Sternenhimmelbeobachtungen, zu denen der Junge Aza oft einlädt. Und so wie viele Sätze mit Pseudotiefe über das Leben und die Welt, etwa: „Aber die Welt besteht auch aus Geschichten, die wir über sie erzählen.“ Oder: „In die Augen kann man jedem sehen. Aber jemanden zu finden, der dieselbe Welt sieht, ist ziemlich selten.“

Das Leben geht immer weiter, mag man mit einer abgewandelten Robert-Frost-Sentenz anfügen, Fiktion hin, psychische Schäden her. Und das Gute ist, nach der manchmal wenig faszinierenden, sondern oft ermüdenden Lektüre dieses Romans: Die Literatur geht auch immer weiter.

John Green: Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken. Roman. Übersetzt von Sophie Zeitz. Hanser Verlag, München 2017. 282 Seiten, 20 €. Ab 12 Jahren

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