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Redetherapie. Ulrich Matthes, Maren Eggert und Felix Goeser (v.l.)

© Imago

Jette Steckel: "Das weite Land" am Deutschen Theater: Autsch, eine Couch

Arthur Schnitzler wusste allein aus Selbstwahrnehmung, was Freud in mühseliger Arbeit mit anderen Menschen erst entdecken musste - auch in seinem Stück "Das weite Land". Jette Steckel inszeniert es jetzt am Deutschen Theater.

Der Glühbirnenfabrikant Friedrich Hofreiter ist entsetzt. Hausfreund Korsakow, attraktiver Jungpianist und dankbarer Billard-Partner, hat sich aus unerfüllter Liebe zu Hofreiters Frau Genia erschossen! Dabei speist sich die Irritation des Leuchtmittelkonzernchefs weniger aus der Tatsache, dass in seiner Villa erotische Verbindungen existieren, von denen er keine Ahnung hatte. Was ihn an der Sache ernsthaft befremdet, ist die sexuelle Treue, die seine Frau ihm entgegenbringt. „Dass deine Tugend einen Menschen in den Tod getrieben hat“, schleudert er ihr mit vorwurfsvollem Blick entgegen, „ist mir einfach unheimlich!“ Klar: Hofreiter selbst wäre solch ein Fauxpas nicht unterlaufen. Gerade hat er seine Affäre mit Adele (Natali Seelig) beendet, der Gattin des befreundeten Bankiers Natter (Helmut Mooshammer). Jetzt steht bereits die jugendliche Erna Wahl (Anna Drexler) in den Startlöchern.

Obwohl man in Arthur Schnitzlers Tragikomödie „Das weite Land“ (1911) ständig fremdgeht und anderweitig miteinander spielt, spart der Fünfakter an Aktionismus. In erster Linie wird hier – für uns 2014er durchaus anschlussfähig – endlos geredet. Schnitzler legt sein Personal gleichsam auf die Couch. Er habe den Eindruck gewonnen, schrieb Sigmund Freud anno 1922 an den dichtenden „psychologischen Tiefenforscher“, dass selbiger durch „Intuition“ und „Selbstwahrnehmung“ all das längst wisse, was er selbst – Freud – „in mühseliger Arbeit an anderen Menschen aufgedeckt“ habe.

Gefühlt hundert Zweisitzer türmt Bühnenbildner Florian Lösche übereinander

Auf diesem nahe liegenden (Psycho-) Couch-Fundament baut Regisseurin Jette Steckel im Deutschen Theater buchstäblich ihre Inszenierung auf: Gefühlte hundert Zweisitzer hat Bühnenbildner Florian Lösche kunstvoll in- und übereinander gestapelt. Der Sofa-Tower eignet sich nicht nur als Illustration des symbolschwangeren Aignerturms, den Friedrich mit Erna auf einer Bergtour affärenbeschleunigend (und bei Steckel entsprechend in Unterwäsche) erklettert. Sondern er lässt sich auch ebenerdig hervorragend umlaufen und umturnen – gern bei rotierender Drehbühne zu emotionsverstärkender Musik und Bühnennebel. Für die mal mehr, mal weniger gehobene Konversation, die zwischen Tee und Tennis auf dem Hofreiter-Anwesen stattfindet, schieben die Schauspieler dann einfach ein bis zwei Couch-Exemplare an die Rampe.

Dabei erhebt Steckels „talking cure“ klaren Heutigkeitsanspruch: Maren Eggert spielt Hofreiter-Gattin Genia in grauen Jeans zur trendigen Seidenbluse und ist sichtlich darum bemüht, ihre Ehe- frustration vor allem vor sich selbst zu verdrängen. Auch Felix Goeser stellt als Womanizer-Gatte Friedrich überzeugende Zeitgeistanschlüsse her: Da es dem Glücklichen an lästiger Gefühls- und Gedankentiefe fehlt, wirken seine robusten Charmebolzen-Offensiven entwaffnend authentisch. Von ganz anderem Kaliber: der ärztliche Hausfreund Doktor Mauer, den Ulrich Matthes mit Rückgrat und Röntgenblick, aber auch mit dem untergründigen Witz eines moralinfreien Moralisten spielt. Kein Wunder, dass der feinsinnige Gegner jedweder „Herzensschlampereien“ in diesem verbindlichkeitsfreien Partner-wechsel-dich-Spiel als ewiger Single hocken bleibt.

Es macht Spaß zuzusehen, wie sich das Trio Eggert, Goeser und Matthes auf der Couch verbale Bälle zuwirft. Bei Schnitzler entlädt sich die Verkrampfung, die die Gesprächskonventionen zeitigen, ja vornehmlich im Tennisspiel. Bei Steckel kanalisiert sich das, was beim Reden verschwiegen wird, in übersprungsartigen Berührungen, tragikomischen Verknotungsversuchen oder anfallartigen Fingerfood-Verschlingungen. Genia, Friedrich und Mauer bringen es in dieser Disziplin tatsächlich zu darstellerischer Meisterschaft. Auch Almut Zilcher gelingt als Genias Freundin und Burgschauspielerin Anna Meinhold-Aigner ein absolut überzeugendes Zeitgenossinnen-Porträt: Pathos und Depression werden in ihrem Referat über lebenslängliche Liebesenttäuschungen präzise ins semi-ironische Spiel ausgelagert. Und Ole Lagerpusch weiß den Schauspielerinnen-Sohn Otto, mit dem Genia schließlich eine Affäre beginnt, als durchaus interessante Mixtur aus autistischem Nerd und Nurejew-affinem Spontan-Springteufel anzulegen.

Dennoch: Die tragende Aussage des Abends, die Bernd Stempel zu vorgerückter Stunde als Hoteldirektor Aigner ohne Fehl und Tadel über die Rampe transportiert, ist uns allen eben nicht erst seit gestern bekannt. Im grauen Anzug doziert Aigner über die „Seele“ als „weites Land“ und klärt auf: „Wir versuchen wohl, Ordnung in uns zu schaffen.“ Doch: „Das Natürliche ist das Chaos.“ So fühlen sich die drei Stunden, über die hinweg diese Erkenntnis mehr oder weniger variantenreich illustriert wird, zunehmend länger an. Dass Schnitzlers Stück in einem Duell zwischen Hofreiter und Otto gipfelt, macht die Sache nicht einfacher. Denn dieser finale Handlungsstrang holpert in einem ansonsten größtenteils plausibel verheutigten Abend umso gestriger daher.

Wieder am 25. und 28. Dezember

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