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Kultur: Jedem ein Schicksal

über gute Manieren und ein Skelett im Wald Stellen Sie sich vor, Sie stehen in Straßburg auf dem Bahnhof und werden von einem wildfremden Menschen angesprochen. Ob Sie auch ein Hotel suchen?

über gute Manieren und ein Skelett im Wald Stellen Sie sich vor, Sie stehen in Straßburg auf dem Bahnhof und werden von einem wildfremden Menschen angesprochen. Ob Sie auch ein Hotel suchen? Man könne sich ja gemeinsam auf den Weg machen? Klar kann man das. So weit ist alles gut. Aber dabei bleibt es nicht. Der Mann kann sich nämlich einfach nicht verabschieden, wie ein Basler Philosophie-Professor in Karl-Heinz Otts Roman „Endlich Stille“ (Hoffmann und Campe) erfahren muss. Der aufdringliche Fremde, vorgeblich Musiker, nistet sich erst in der Wohnung des Erzählers ein, dann in seinem Leben – und ist drauf und dran, es zu ruinieren. Anstatt ihn einfach vor die Tür zu setzen, lauscht unser geduldiger Philosoph den Redetiraden des Eindringlings. Er kann eben nicht Nein sagen. Bei Ott geht es allerdings um mehr als die verheerenden Auswirkungen einer guten Erziehung: Es geht um die Frage der Willensfreiheit und darum, ob wir tatsächlich Herren unseres Schicksals sind. Am 31.3. (21 Uhr) liest Karl-Heinz Ott im Buchhändlerkeller (Carmerstr.1) aus seinem in höchsten Tönen gepriesenen Roman.

Das Mädchen Eli Reich jedenfalls wird seinem Schicksal gedankt haben: Während 21 Tote in den Trümmern ihres Wohnhauses liegen, hat sie allein das Dresdener Bombeninferno im Februar 1945 überlebt. Vom Wunsch beseelt, die Ruinenlandschaft zu „dekorieren“, beginnt Eli eine Gärtnerlehre. Und Helga Schütz , ihre Autorin, begleitet sie in „Knietief im Paradies“ (Aufbau) durch die ostdeutschen Nachkriegsjahre. Wie Eli – frei nach Voltaires „Candide“ – inmitten der großen gesellschaftlichen Umwälzungen ihren Garten bestellt und das kleine Glück sucht, erfahren Sie am 31.3., wenn Helga Schütz ins Brecht- Haus kommt (20 Uhr).

Wer Zweifel am Glück in der deutschen demokratischen Nische hegt, darf sich von Hans Girod bestätigt fühlen. Ausnahmsweise geht es einmal nicht um politische Repressalien. Im Ländchen zwischen Elbe und Oder gab es schließlich auch den „ganz normalen“ Mord und Totschlag. Nur wurde der meist unter den Teppich gekehrt. In mehreren Büchern hat der Kriminalist Girod derlei Fälle aufgerollt. Auch „Das Skelett im Wald“ (Das Neue Berlin) spart nicht mit unappetitlichen Einblicken in die Niederungen der menschlichen Habgier. Wenn Sie starke Nerven und das Mittagessen gut verdaut haben, sollten Sie am 2.4. (14 Uhr) in die Buchhandlung Ludwig im Bahnhof Lichtenberg kommen. Dann können Sie einiges über 15 „unbekannte und vergessene Mordfälle aus der DDR“ lernen.

Und Sie, wollten Sie Ihr Schicksal nicht längst selbst in die Hand nehmen, noch einmal ganz von vorn anfangen? So wie die 100 000 Menschen, die Deutschland jedes Jahr verlassen? Kerstin E. Finkelstein („Ausgewandert“, Links Verlag) hat sie besucht: in Argentinien, Belgien, Australien, China, Thailand und den USA. Wie Deutsche in ihren Parallelwelten zurechtkommen und was ihnen in ihren Traumidyllen fehlt (Schwarzbrot, Novembermatsch) erfahren Sie am Sonntag im Café Steffens (Potsdamer Str. 131, 11 Uhr). Wer weiß, es könnte sich herausstellen, dass es hierzulande gar nicht so schlecht ist.

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